Grenzüberschreitung

666 26 3
                                    


»Wird die Grenze des Leidens überschritten, gerät die unerschütterlichste Tugend auf Abwege. »

- Victor Hugo, Die Elenden

»Es gibt keine Grenzen. Nicht für den Gedanken, nicht für die Gefühle. Die Angst setzt die Grenzen.«

- Ingmar Bergman

Kapitel 3: Grenzüberschreitung

Der karge Raum, mit nur einem einfachen Tisch und wenigen Sitzgelegenheiten, war alles andere als passend für den gegebenen Anlass. Von den drei Personen, die um den Tisch standen, wirkten zwei völlig fehl am Platz. Sie waren viel zu feierlich angezogen.

Sowohl Harry als auch Hermione waren überaus nervös. Er spürte, wie ihre Hand leicht zitterte, ermutigend drückte er sie, woraufhin Hermione ihn mit einem zaghaften Lächeln ansah.

Noch vor Monaten hatten sie gemeinsam die erste magischen Hochzeit miterlebt, nun standen sie selbst kurz davor sich gegenseitig das Versprechen zu geben. Es kam ihm vor wie aus einem anderen Leben.

Vor ihnen stand auf der anderen Seite des Tischs, William Brennan, der weder Harry noch Hermione bewusst wahr nahm und dennoch seinen Text sprach. Zwar mit einer leichten Firewhiskeyfahne aber doch mit der nötigen Erhabenheit in der Stimme, die man diesem Mann nicht zu getraut hätte.

»Darum Frage ich dich, Harry James Potter, willst du, Hermione Jane -«,

Überrascht über den Zweitnamen, sah Harry zu ihr und sprach stumm den Namen nach, sie zuckte nur leicht die Schultern.

»Zu deiner angetrauten Frau nehmen?«, fuhr der Zauberer unbeirrt fort.

»Ja, ich will.«, antwortete Harry, während er Hermione ansah, zu seiner Verwunderung, klang seine eigene Stimme fest und zitterte überhaupt nicht.

»So frag ich auch dich, willst du, Hermione Jane Granger, Harry James Potter zu deinen Mann nehmen?«

Anders als bei Harry, kam ihre Antwort zögerlicher, emotionaler.

»Ja, ich will.«, hörte er sie leise sagen.

Zu seiner Erleichterung in der ihm bekannten Stimme, aber er kam nicht umhin zu bemerken wie ihre Augen leuchteten und sie sich zum ersten Mal seit Langem mit einem wirklichen Lächeln ansahen.

»Reichen sie mir beide die linke Hand.«, bat Mr. Brennan sie nun.

Er legte Harrys Hand auf die von Hermione, dann nahm er den Zauberstab, sprach: »Coniuncti in aeternum.«

Die Hände wurden in ein gelblich, goldenes Licht getaucht. Als das Licht nachließ, konnte man am jeweiligen linken Ringfinger einen feinen goldenen Reif finden. Sie waren nun tatsächlich verheiratet.

»Sie dürfen sich nun küssen.«, unterbrach die leicht amüsierte Stimme von Mr. Brennan die kurzweilige Stille.

Diesen Teil der Trauung, hatte wohl weder Harry noch Hermione bedacht, aber mittlerweile hatte all das eine eigene Dynamik angenommen. Es war fast so als ob sie eine Rolle spielten, eine in der sie für sich selbst, die Schrecken und Ängste kurzweilig ausschlossen. Sie sahen sich skeptisch an.

Doch dann fast wie selbstverständlich, gab Harry Hermione einen Kuss auf den Mund und stellte verblüfft fest, dass es sich ganz und gar nicht wirr oder gar falsch anfühlte.

»Darf ich gratulieren, Mr und Mrs Potter?«, entzauberte Mr Brennan den flüchtigen, viel zu kurzen Moment.

»Es tut mir leid, Mr. Brennan, aber es geht nicht anders. Obliviate.«

Der Effekt war direkt spürbar, der Hermiones Zauberspruch auf William Brennan hatte. Er verstummte und nahm weder Harry noch Hermione wahr. Harry nahm die Gelegenheit und apparierte sie beide aus dem Haus, weg in ein entferntes Waldstück.

Viele, viel zu viele Gedanken gingen Harry durch den Kopf. Der goldene Ring an seinem Finger erinnerte ihn, dass sie nun tatsächlich verheiratet waren, so unwirklich es sich auch im Augenblick anfühlte. Hermione schien sich damit zu beschäftigen, verschiedene Schutzzauber rund um deren Nachtlager aufzusagen. Bei aller Geschäftigkeit, konnte Harry nur schwerlich seinen Blick von Hermione abwenden.

Es war, als ob sie über Nacht eine andere Person geworden wäre, etwas das auch teilweise zutraf. Sie war nun Hermione Potter und Harry kam nicht umhin so etwas wie Stolz, Freude zu verspüren so abwegig es auch klang.

Als alles fertig war, ging Hermione ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ins Zelt. Es gab ihm die Gelegenheit zu überlegen wie es nun weiter gehen sollte. Zwar konnten sie nicht einmal annähernd eine Feier haben, wie es bei Hochzeiten üblich war, doch wollte Harry, dass der Tag anders endete als andere zuvor.

Beim Betreten des Zelts bemerkte er als erstes wie das Radio im Hintergrund lief, dann im schwachen Schein der Laterne, dass Hermione in einem alten Sessel saß, Löcher in die Luft starrte. Zuerst hatte sie sein Eintreten nicht registriert, dann aber wohl wie sein Blick auf sie fixiert war.

Zögerlich, ja, schüchtern, er kannte sie so gar nicht, sah sie zu ihm auf und für einen Moment glaubte er, dass er einen Anflug von einem Lächeln ausmachen konnte. Vor ihr angelangt, hielt er ihr seine linke Hand entgegen, darauf wartend, dass sie ihre in seine legen möge. Fragend sah sie ihn an, doch ging sie auf seine Aufforderung ein.

Harry Potter war vielleicht einer der besten Sucher, die Hogwarts erleben durfte, für die Zaubererwelt ein Held aber ein unsäglich schlechter Tänzer. Hier und jetzt war es ihm entsetzlich gleichgültig, was zählte war, dass er mit seiner Ehefrau tanzte so unbeholfen es auch war, so machte es ihn glücklich. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er so das letzte Mal empfunden hatte. Die Welt wirkte nicht mehr ganz so schwarz, hoffnungslos. Harry dachte nicht einmal daran was sie morgen erwarten könnte. Eine Woge von Dankbarkeit überschwemmte ihn und er wusste ihr kein Ventil zu bieten.

»Meine Frau.«, flüsterte er kaum hörbar und doch trafen sich ihre Blicke, hielten inne.

Unbemerkt, standen sie nun eng bei einander, musterten sich. Er überwand die Distanz und seine Lippen berührten zum zweiten Mal an diesem Tag, die ihren. Kurz ließ er ab, nur damit sie es war, die ihn nun auf die leicht zitternden Lippen, diesmal wesentlich inniger, küsste. Wie durch einen Damm brachen die unterdrückten Gefühle hindurch, die Nähe versprach Trost. Seine Arme wanden sich um ihre Hüften, während ihre sich um seinen Nacken legten.

In wenigen Stunden würden sie nebeneinander im spartanischen Bett wieder erwachen, entscheiden dass es an der Zeit war nach Godric Hollow zu reisen, völlig schleichend zurück in ihre Wirklichkeit tauchen und mit Erstaunen feststellen, dass sie trotz allem überleben würden. Vielleicht, im Nachhinein, waren es eben diese Stunden, die es überhaupt erst möglich machten.

VerzweiflungstatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt