Prolog

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Claire

Ich frage mich, ob ich es schaffen werde, aber ich habe keine andere Wahl. Ich werde es versuchen müssen.

Ich blicke gen Himmel und sehe den hohen Turm des Internats. Ich merke, dass ich nicht mehr weit entfernt bin und laufe wieder los. Meine Beine tun weh und mein Herz rast, aber ich zwinge mich trotzdem den Pfad zum Internat entlang zu rennen.

Ich höre seine Schritte hinter mir, das Knacken, wenn er auf einen Ast tritt. Panisch schaue ich mich um, dabei stolpere ich über einen spitzen Stein und falle der Länge nach hin.

Ich bilde mir ein, seinen Atem zu hören, aber das kann nicht sein, da er eben noch weit hinter mir war. Ich stehe hastig auf und zwinge mich trotz des Schmerzes in meinem Fuß weiter zu rennen.

Ich habe das Internat fast erreicht, als plötzlich ein Arm aus dem Dickicht schießt und mich mit sich reißt. Ich schreie laut auf, denn ich denke, er, mein Verfolger, ist es. Ich wundere mich, wie er es geschafft hat mich so schnell einzuholen. Ich will erneut aufschreien, aber da legt sich sanft eine Hand auf meinen Mund, um mich zum Schweigen zu bringen und der Schrei bleibt mir im Halse stecken.

Ich atme hastig, um meine Panikattacke zu unterdrücken und nehme den mir allzu bekannten Duft nach Jakes After Shave wahr.

Ich drehe mich um, in der Hoffnung Jake hinter mir zu sehen und seufze erleichtert auf, denn er ist es wirklich. Ich stürze mich heftig schluchzend in seine, für mich geöffneten Arme und er drückt mich fest an sich.

Ich würde am liebsten für immer in dieser Umarmung verweilen, doch ich weiß, dass es nicht möglich ist, da mein Verfolger immer noch hinter mir her ist. Ich greife nach Jakes Hand und er umschlingt meine Finger mit seinen.

Ich bin froh, dass Jake in meiner Nähe ist, denn bei ihm fühle ich mich sicher. Ich flüstere ihm zu, dass wir von hier verschwinden müssen. Er fragt nicht nach dem Warum, sondern umfasst meine Hand noch fester und rennt los. Ich stolpere hinter ihm her. Ich schaue mich immer wieder um, aber von meinem Verfolger ist nichts zu sehen oder zu hören. Trotzdem halten wir erst an, als wir die riesige Eingangstür des Internats erreicht haben.

Ich stoße die schwere Tür auf und ziehe Jake mit mir hinein. Als wir endlich drinnen sind, schmeißt er sie von innen mit so einem lauten Knallen zu, dass ich erschrocken zusammenfahre.

Wir lehnen uns gegen die Wand und sinken erschöpft auf den Boden. Ich lasse meinen Kopf auf Jakes Schulter sinken. Er streicht mir mit einer Hand die verschwitzten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mein Atem geht immer noch stoßweise. Ich drehe mein Gesicht zu ihm und sehe, dass auch er heftig nach Atem ringt.

Ich greife nach seiner Hand, die immer noch durch meine Haare fährt und nehme sie in meine. Er sieht mich an und beugt sich zu mir hinunter. Jetzt küsst er mich, denke ich und ich bin erstaunt, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als dass er mich endlich küsst. Doch im letzten Moment, als seine Lippen nur noch wenige Zentimeter von meinen entfernt sind, zieht er den Kopf zurück und steht auf.

Er streckt mir die Hand entgegen und ich greife zu. Er zieht mich zu sich hinauf und wir beide gehen schweigend nebeneinander die Treppe hoch. Oben angekommen trennen sich unsere Wege, denn er muss nach links um in sein Zimmer zu gelangen und ich in die entgegengesetzte Richtung.

Als er sich von mir abwendet um zu seinem Zimmer zu gehen, halte ich ihn zurück. „ Was wolltest du eigentlich im Wald und wie hast du mich gefunden?", frage ich ihn.

Wenn ich mich nicht täusche, spielt ein kleines Lächeln um seine Lippen, aber so genau weiß ich es nicht. „Ich bin immer in deiner Nähe.", antwortet er und kommt einen Schritt auf mich zu.

Einen Moment lang sieht es aus, als ob er noch etwas hinzufügen will, aber scheinbar überlegt er es sich anders, denn er nimmt seine Hand von meinem Arm, auf den er sie bei seiner Antwort gelegt hat und geht davon.

„Ach ja, und danke", rufe ich ihm noch hinterher. Er dreht sich nicht mehr um, zuckt aber mit den Schultern. Ich denke über den Satz nach, den Jake grade zu mir gesagt hat, als ich zu meinem Zimmer gehe: „Ich bin immer in deiner Nähe."

Was hat er damit wohl gemeint?

Auch, als ich eine halbe Stunde später in meinem Bett liege, kann ich nur noch an seine Worte denken. Ich verstehe es einfach nicht, was er damit gemeint haben könnte, denn schließlich bin ich erst seit zwei Wochen hier.

Hier in dem Internat Rosendorf, auf welches mich mein Vater geschickt hat. Er hat einfach keine Zeit mehr für mich gehabt und dann hat er mich auf dieses Internat abgeschoben.

Ich bin nicht sauer auf meinen Vater, tief in meinem inneren habe ich es schon vermutet. Er kommt nicht damit klar, dass meine Mutter ihn für einen jüngeren Mann verlassen hat.

Das Ganze war vor drei Jahren und damals war ich auch tierisch sauer auf meine Mutter, weil sie meinen Vater und mich einfach alleine gelassen hat. Aber so langsam verstehe ich das ganze viel besser.

Mein Vater arbeitet viel und hat einfach nicht genügend Zeit sich um seine Familie zu kümmern. So wie ich mich die letzten drei Jahre gefühlt habe, muss meine Mutter sich die ganzen Jahre über gefühlt haben.

Im Grunde genommen bin ich froh, dass mich mein Vater auf diese Internat geschickt hat, dann muss er sich nicht mehr so viele Sorgen um mich machen und er hat sowieso schon genug mit der Arbeit als Hotelmanager zu tun, so dass ich ihn immer nur abgelenkt habe.

Und meine Mutter... Ja, die wollte zunächst nicht, dass Frank mich auf ein Internat gehen lässt, sie selbst ist aber auch einfach mit ihrem neuen Lover nach München gezogen.

Anstatt mich zu fragen, ob ich vielleicht mit ihnen gehen möchte, ich hätte es zwar abgelehnt, weil ich meinen Vater nicht auch noch alleine lassen wollte, aber ich hätte es wenigstens nett von ihr gefunden, wenn sie mich gefragt hätte, aber so ist sie nun einmal...

Dann schweifen meine Gedanken von der Vergangenheit ab und mir kommen wieder Jakes Worte in den Sinn. In letzter Zeit denke ich oft an ihn. Dabei hatte ich mir doch vorgenommen, nicht mehr an ihn zu denken, da er genauso ist wie alle anderen Jungs auch. Ein Macho.

Weiter über Jake nachdenkend, schlafe ich ein.

Jake

Ich muss mich wirklich bemühen, mich nicht doch noch einmal nach ihr umzudrehen. Nur, wenn ich mich jetzt noch mal zu ihr umgedreht hätte und sie mir in die Augen gesehen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich zu ihr zurückgegangen und hätte sie doch geküsst.

Weiß sie eigentlich, was sie mit ihren Blicken bei mir anrichtet? Ihre Augen sind so grün, wie ein Smaragd und es ist verdammt schwer ihr nicht zu verfallen, wenn man in ihre Augen blickt.

Ich glaube allerdings, dass sie gar nichts von mir will, sie ist nun einmal so anziehend und... Ach, ich muss aufhören dauernd an sie zu denken. Ich darf mich einfach nicht in sie verlieben. Doch ich glaube, dafür ist es bereits zu spät. Obwohl ich mich am Anfang schon wie ein Macho verhalten habe, um Abstand zwischen uns zu bringen, denn ich habe gewusst, dass ich ihr sonst irgendwann verfallen würde. Aber obwohl ich mich ihr gegenüber so oberflächlich verhalten habe, sind wir uns näher gekommen.

Wenn ihre Augen mich nur nicht immer so hypnotisieren würden...

Auch nach einer heißen Dusche, glaube ich immer noch den Duft ihres Parfüms und den Duft ihrer Haut auf meiner wahrzunehmen. Ich versuche meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, zum Beispiel auf die Person, die Claire heute verfolgt hat. Wie konnte das denn nur passieren?

In der nächsten Zeit muss ich wohl noch mehr Acht auf sie geben. Das wird aber auch heißen, dass ich noch mehr Zeit in ihrer Nähe verbringen muss.

Ich muss versuchen meine Gedanken nur auf ihren Schutz zu lenken und nicht etwa auf ihre tollen Augen, ihren heißen Körper oder ihre wunderschönen lockigen Haare. Ich könnte noch viele weitere Punkte an ihr aufzählen, aber ich zwinge mich, ihr Bild aus meinem Kopf zu bekommen.

Viel wichtiger ist es zu erfahren, wer sie im Wald verfolgt hat und wie das überhaupt passieren konnte. Doch zum Schluss schweifen meine Gedanken wieder zurück zu ihr.

Immer noch an sie denkend, schlafe ich schließlich ein.

Der Unbekannte FremdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt