Mum drückte mir einen weiteren Stapel Kleider in die Arme und ich machte mich seufzend auf den Weg in die Umkleide.
Natürlich waren die Kleider alle nach Mums Geschmack: Das erste war hochgeschlossen, und ging mir bis zu den Knöcheln, dazu war es in einem schrecklichen Fliederton, und mit Rüschen überladen, kurz gesagt, fühlte ich mich wie ein braves Mädchen aus dem Jahr 1905.
Augenverdrehend schlüpfte ich in das nächste. Erstaunlicherweise war es gar nicht so schlecht: Mitternachtsblau, schlicht und nicht allzu enganliegend. Dazu ging es mir knapp über die Knie.
Zufrieden legte ich es auf den sehr kleinen Nehme-Ich-Stapel, wohingegen die restlichen Kleider auf dem Auf-Gar-Keinen-Fall-Stapel landeten.
Ich trat wieder aus der Kabine und sah sofort meine Mutter, die sich angeregt mit einer der Verkäuferinnen unterhielt.
Ohne ein Wort zu sagen ging ich mit den Klamotten zur Kasse und bezahlte.
Dann lief ich zu meiner Mutter, um sie in den nächsten Laden zu ziehen.
~*~
Ich trug inzwischen zehn, mehr oder weniger große, Tüten mit mir herum.
Zwei davon waren mit Abendkleidern gefüllt, der Rest mit Alltagskleidung.
Endlich konnte ich Mum überreden, etwas Essen zu gehen.
Es war keins von ihren geliebten Nobelrestaurants in der Nähe, also zwang ich sie, mit mir in einen Fast-Food-Laden zu gehen.
Ich bestellte für sie einen einfachen Salat und für mich einen Hamburger, bevor wir uns an einen der unzähligen Tische setzten.
Selbstverständlich konnte Mum es nicht unterlassen, ihre Nase zu rümpfen, als sie die schlichten Lederbänke sah, und keine separaten Stühle, und auch der Anblick, wie ich den Hamburger mit den Händen aß, ließ sie einen angewiderten Laut ausstoßen.
Ich ignorierte es, und genoss den Geschmack des fetttriefenden Fleisches.
Dazu trank ich eine zu neunzig Prozent aus Zucker bestehende Cola aus einem XXL-Pappbecher, der leider viel kleiner war als die Jumbo-Versionen in New York.
Das bedeutete allerdings nicht, dass sie nicht schon nach kurzer Zeit einen unangenehmen Druck auf meine Blase ausübte.
Also entschuldigte ich mich bei Mum und verschwand auf's Klo - pardon, die Toilette.
Nachdem ich mich erleichtert und mir die Hände gewaschen hatte, überprüfte ich noch schnell mein Make-Up in dem verdreckten Spiegel.
Ich wollte mich gerade auf den Rückweg machen, als die Tür aufging und ein vertrautes Mädchen mit Snapback, Hotpant, löchriger Strumpfhose, schwarzem Top, unzähligen Ketten und diesen unverwechselbaren giftgrünen Haaren hereinkam.
Darf ich vorstellen: Kim, die beste Freundin, die man sich vorstellen konnte, und gebürtige New Yorkerin, was wohl auch erklärt, woher ich sie kannte.
"Kimmy!", rief ich und fiel ihr um den Hals.
Etwas perplex erwiderte sie meine Umarmung.
"Gaby, was machst du denn hier?", fragte sie überrascht und drückte mich etwas von sich weg. "Und wo, zum verflixten Springerstiefel, sind deine Waschbäraugen hin?"
Gaby war die Abkürzung für Gabriella, was mein Zweitname war, und auch der Name, unter dem mich meine Freunde aus New York kannten. Nur Kim wusste, dass ich eigentlich Delilah hieß.
Ich lachte und löste mich von ihr, während ich antwortete: "Mein Make-Up ist mir ausgegangen." Dann wurde ich ernster. "Nee, im Ernst, meine Ma ist nicht so 'n Fan von übermäßiger Schminke, und mein Emo-Ich hätte sie nicht bei sich wohnen lassen."
Ich zwinkerte ihr zu und sie nickte wissend.
"Aber erzähl, was führt dich hierher?"
Interessiert sah ich sie an und bekam dementsprechend auch mit, wie sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig zum negativen änderte.
"Danny ist total ausgerastet, als du plötzlich nicht mehr da warst und ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Also bin ich nach London geflogen, du weißt doch, meine Cousine Rita hat hier eine Wohnung. Mom und Dad hätten mich ja schlecht aufnehmen können."
Sie lächelte mich schief an. Ihre Eltern waren bei einem Schiffsunglück gestorben, als sie fünfzehn war, und sie hatte bei ihrer Tante gelebt, bis sie mit achtzehn ausgezogen war - auch wenn sie damals in Amerika noch nicht offiziell volljährig war.
Danny hingegen war bereits dreiundzwanzig und so etwas wie der Anführer unserer 'Gang' in New York.
Wir wohnten zu Zehnt in einer Wohnung, und arbeiteten alle in einem Club.
Außerdem war er mein Freund, und ich war abgereist, ohne ein Wort des Abschieds an ihn.
"Wie geht es ihm?", fragte ich und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare.
Kim lächelte mich mitleidig an. "Es geht ihm Scheiße. Hattest du erwartet, dass er sich freut? So nach dem Motto: Endlich ist sie weg und ich kann wieder jede Hure ficken, die mir über den Weg läuft?", sie schüttelte ihren Kopf, "Du kennst ihn. Aber in spätestens vier Monaten hat er sich wieder eingekriegt, dann geh ich zurück. Außer du-"
"Nein", ich schüttelte jetzt ebenfalls den Kopf, "wir hatten über dieses Thema doch schon ausgiebig geredet. Er will, dass ich für immer da bleibe. Aber ich bin nicht der Typ dafür. Auch nicht in New York."
Sie seufzte. "Ich konnte es ja wenigstens noch mal probieren. Hör mal, ich muss wirklich dringend pissen, also - bleiben wir in Kontakt? Du hast meine Nummer noch, denke ich, aber deine ist nicht mehr aktuell", sie grinste, "Also, schreibst du mich an?"
Ich nickte lächelnd, nahm sie noch kurz in den Arm und lief zurück zu meiner Mutter, die mich schon ungeduldig erwartete.
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Was haltet ihr von Kim? :3
Mein Handy funktioniert wieder, lag glaube ich nur an meinem geschrotteten Ladekabel :D
Hm, die Frage des Tages: Fantasy oder Horror?
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Fanfiction»Was ist verdammt noch mal passiert in den zwei Jahren?« »Diese Sache, die sich Leben nennt.«