Hallöchen allerliebste Leica,
darf ich vorstellen? Ein Tier, einen Vogel, ein von Gott geschaffenes Wesen, welches ich absolut bewundere und welches auf eine merkwürdig faszinierende und besondere Art ziemlich lehrreich sein kann. Lass mir dir das Ganze erklären.
Ich spreche von einem Adler und ich würde dieses Tier nicht so hoch loben, wenn es dafür keinen Grund gäbe. Schauen wir uns mal meine Augen an, die wirklich nicht sonderlich schlecht sind. Immerhin trage ich keine Brille und kann die meisten Dinge noch so mehr oder weniger gut erkennen. Weniger gut immer dann, wenn irgendein Lehrer etwas undefinierbares an die Tafel kritzelt, aber seien wir mal ehrlich, dann sind nicht meine Augen der Übeltäter sondern ganz einfach angesprochener Lehrer, oder besser gesagt seine Schrift.
Jaja, Lehrer und ihre Sauklauen, darüber könnte ich vermutlich einen ganzen Brief schreiben, aber das ist nicht so ganz der Plan und auch nicht sonderlich wichtig.
Zurück zum Adler. Zahlen und Fakten unnötig - meiner Meinung nach, aber ich liste sie hier trotzdem einmal auf, weil ich weiß, dass du sie interessant findest und weil sie, wenn man es genauer betrachtet, vielleicht doch ziemlich spektakulär sind. Ein Adler nämlich, sieht bis zu 8 Mal schärfer als ein Mensch, wohl bemerkt ein Mensch mit mindestens so guten Augen wie ich, was heißt, dass so ein Tier eigentlich im Großen und Ganzen einen weit größeren Prozentsatz schärfer sieht. Wie dem auch sei aufgrund seiner wahnsinnig guten Sehfähigkeit, kann ein Adler aus über drei Kilometern höhe eine Maus am Boden sehen. Wenn er schließlich ein Tier fängt, dann lässt er sich von absolut nichts ablenken, während er auf seine Beute hinunterstürzt.
Letztendlich geht es mir aber dann doch relativ wenig um die Zahlen, sondern vielmehr um die Flughöhe. Ich finde es absolut faszinierend wie hoch ein solcher Adler fliegen kann. Manchmal, da wünschte ich, auch ich könnte so einfach abheben, die Welt von ganz oben sehen, nicht mitten drin stecken und einfach fliegen, leben, die Freiheit genießen. Dieser Möglichkeit steht dem Adler nichts im Wege. Aber er fliegt nicht immer nur ruhig und gleichmäßig kilometerweit über uns, zumal das auf Dauer bestimmt absolut langweilig wäre, nein so ein Adler kann binnen Sekunden zurück auf die Erde kommen, die Perspektive wechseln. Während er da oben das große Ganze wahrnimmt und doch nicht so richtig mitten im Geschehen steckt, so sieht er unten nur einen Bruchteil dieser Welt, wiederum alles näher, genauer, einfach anders.
Es sind zwei ganz verschiedene Perspektiven, die dieses wundervoll faszinierende Tier da einnehmen kann und genau um jene Perspektiven soll es heute gehen, um unsere Perspektiven, denn seien wir mal ehrlich zu uns selbst, wie oft in unserem Leben sehen wir Dinge nur so wie wir sie sehen wollen. Das Ganze beginnt schon in den Nachrichten. Ein Erdbeben als Beispiel, tausende Tote. Einer zum Beispiel nimmt sofort die vielen Hilfsbedürftigen wahr, packt seine Sachen und fliegt auf der Stelle in das Land um dort zu helfen. Ein anderer nimmt die Bedürftigen zwar wahr, hilft aber nicht und wieder ein anderer sieht nur die Zahl der Toten und beobachtet die Katastrophe im Fernsehen für wenige Sekunden, bevor er weiter klickt.
Jeder hat eine andere Perspektive auf dieses Erdbeben und vermutlich ist es unmöglich einen desinteressierten Zuschauer dazu zu bewegen, in das Land zu reisen, um zu helfen. Andersherum ist es vermutlich nicht anders. Jeder hat seinen Blickwinkel, seinen Standpunkt, aber zu wechseln, einmal andere Dinge wahrzunehmen, das große Ganze zum Beispiel, oder das besonders Kleine, das Detail, fällt einem Adler wohl um einiges leichter als uns Menschen.
Ich möchte gerne wieder einmal aus meine Leben berichten. Inzwischen weißt du ja, dass ich das absolut gerne mache. Die Unmöglichkeit den Blickwinkel zu wechseln, das kenne auch ich nur zu gut, beziehungsweise ist es manchmal viel mehr die Festgefahrenheit, die wir im Hinblick auf manche Dinge haben.
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Back to Life
Teen Fiction*** WATTYS 2018 GEWINNER *** Nachdem Betty den Kampf gegen den Krebs verloren hat, hinterlässt sie nichts als 12 Briefe für ihre beste Freundin Leica. Für jeden Monat des folgenden Jahres einen. Briefe über gemeinsame Erlebnisse, unvergessliche Mome...