Greta, ich bin es mal wieder. Der letzte Brief ist schon wieder eine Weile her. Es ist viel passiert in dieser Zeit und ich möchte dir gern davon erzählen, weil wir uns früher doch auch immer alles erzählt haben. Und ich es dir schuldig bin. Denke ich. Es fühlt sich jedenfalls richtig an für mich.
Ich arbeite wieder und es tut mir wirklich gut. Die Arbeit mit den Kindern bereitet mir noch immer viel Freude und es ist nicht zu fassen, wie groß sie geworden sind. Natürlich ist es nun etwas stressiger, alles unter einen Hut zu bekommen. Aber das ist völlig normal. Ich muss (was ich natürlich liebend gern mache) mich um Henriette kümmern, es gibt für mich keine bessere Aufgabe. Und auf der anderen Seite muss ich auch meinem Job nachgehen. Manche Tage sind sehr anstrengend und zehren an meinen Kräften und Nerven, aber auch das gehört dazu.
In den nächsten Tagen fahren Lina und ich ins Tierheim. Wir wollen ein Kätzchen aussuchen. Ich bin schon ganz gespannt. Henriette nehmen wir natürlich mit. Ich möchte erst sehen, wie die Katze auf sie reagiert und natürlich auch andersrum. Im Internet habe ich schon recherchiert nach Namen, aber ich kann mich noch nicht entscheiden. Man muss die Katze wohl erst sehen, um diese Entscheidung treffen zu können, denke ich.
Kannst du dich daran erinnern, dass ich dir von dem Treffen in der Bar erzählt habe? Das mit meinen Kolleginnen? Es war ein wunderschöner Abend, muss ich sagen. Mittlerweile fühlt es sich nicht mehr so falsch an, wenn ich es offen sage. Ich kann wieder Spaß haben. Auch ohne dich. Auch wenn es ein weiter Weg bis hier war.
An diesem Abend lernte ich meine neue Kollegin kennen. Sie heißt Marta und hat gerade ihr Studium abgeschlossen. Es ist ihre erste Stelle, aber sie macht ihren Job gut. Sie ist ein sehr lebensfroher Mensch und diese Einstellung bringt sie mit zur Arbeit und überträgt sie an alle. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Eigentlich ist sie optisch gesehen genau das komplette Gegenteil von dir, aber trotzdem sehr hübsch. In den letzten vier Monaten kam es in der Schule häufig zu Gesprächen, hauptsächlich ging es um schulische und organisatorische Dinge, aber natürlich redet man mit Kollegen, mit denen man sich gut versteht, auch über private Sachen.
So war es dann schließlich auch bei uns. Ich habe von Henriette erzählt und sie hat nach dem Vater gefragt. Als ich ihr erzählte, dass es ihn nicht gibt - zumindest nicht in unserem Leben - kamen wir auf dich zu sprechen. Als ich ihr von dir erzählte, tat ihr ihre Nachfrage total leid, aber sie konnte es ja nicht wissen. Ich sagte ihr, dass es in Ordnung war. Ich kann wieder über dich sprechen, ohne gleich zu weinen. Mittlerweile kann ich sogar lächeln dabei, denn du hast mein Leben zu einem besseren Leben gemacht mit deiner Liebe.
In einer Freistunde erfuhr ich, dass sie ebenfalls lesbisch war. Wir saßen beide im Lehrerzimmer und bereiteten den Unterricht vor, da erzählte sie es mir im Vertrauen. Sie wollte nicht, dass die Kollegen es schon erfuhren. Bei mir ist ihr Geheimnis natürlich sicher, das habe ich ihr auch gesagt. In diesem Moment hatten wir so eine vertraute Basis. Wir saßen uns gegenüber und sahen uns in die Augen, es war fast ein magischer Moment, möchte ich behaupten. Wir saßen eine Ewigkeit da, bis die Schulklingel uns unterbrach. Ich stand auf, räumte meine Sachen zusammen und wollte gehen, aber sie hielt mich zurück. Nicht körperlich, aber mit ihren Worten.
Als ich mich umdrehte, war ihr Gesicht errötet, aber sie fragte mich nach einem Treffen. Nach einem privaten Treffen. Nach einem Date. Sie stammelte etwas davon, dass der Zeitpunkt vielleicht unpassend war und sie es auch verstehen würde, wenn ich verneinte. Aber ich wollte es in diesem Moment so sehr. Sie ist wirklich eine tolle Frau. Seit deinem Tod habe ich nicht ein einziges Mal an Dates gedacht. Ich sagte ihr, dass ich etwas aus der Übung war, aber ich glaube, dass sie darüber insgeheim froh war. Verstehe mich nicht falsch, sie ist eine selbstbewusste Frau, aber ich habe auch gemerkt, dass ich sie etwas nervös mache.
Genau dieses Gespräch hat gestern Vormittag stattgefunden. Wir wollen uns morgen Abend treffen. Und jetzt habe ich das Bedürfnis, dir davon zu erzählen, weil ich hin- und hergerissen bin. Ich weiß, dass ich dir damit nicht in den Rücken falle, aber gerade fühlt es sich so an. Aber das ist normal, oder? Wir waren so viele Jahre glücklich miteinander. Nie habe ich an eine andere Frau gedacht, weil ich die perfekte Frau schon an meiner Seite hatte. Aber nun ist alles anders gekommen und ich muss mich anpassen. Das wird ein neues Kapitel werden für mich, aber ich bin bereit, die Seite umzuschlagen.
Ich bin sogar etwas aufgeregt. Eigentlich ist es gelogen. Ich bin nämlich sehr aufgeregt. Ich möchte natürlich nichts überstürzen, immerhin muss ich auch an Henriette denken, aber ich werde Lina gleich anrufen und ihr davon erzählen. Ich finde es ihr gegenüber nur fair. Irgendwie. Sie hat es verdient, das zu wissen. Dass ich mich mit einer anderen Frau treffe. Oder? Eigentlich ist es meine Entscheidung, aber so fühle ich mich besser.
Ich rufe sie jetzt direkt mal an. Ich halte dich auf dem Laufenden. Das verspreche ich.
In Liebe
Amelie
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In Liebe, Amelie || gxg
RomanceACHTUNG SPOILERGEFAHR! Ich würde euch ans Herz legen, erst die Geschichte »The way I feel for her« zu lesen, denn das hier ist eine kleine Erweiterung. Amelie kann nicht zufriedener sein. Sie und Greta führen ein glückliches Leben, auch wenn der A...