Tag 500 ohne dich

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Vor einigen Tagen haben wir den ersten Geburtstag unserer süßen Tochter gefeiert. Ein ganzes Jahr begleitet sie mich nun schon. Es war ein schöner Kindergeburtstag, es hat nichts gefehlt. Nur deine Abwesenheit erfüllt noch immer den ganzen Raum. Ich kann mich noch sehr gut an die Gespräche erinnern, die wir geführt haben - was wir für den ersten Geburtstag alles planen wollten. Doch jetzt musste ich alles alleine organisieren und das fühlt sich merkwürdig und falsch an. So sollte es nie sein, das habe ich niemals in Betracht gezogen.

Ich weiß, dass nicht immer alles gut lief zwischen uns. Nicht immer waren wir auf Wolke 7, manchmal standen wir direkt unter einer Regenwolke, aber wir haben alles zusammen gemeistert, weil wir miteinander gesprochen haben. Manchmal hätte ich dir den Kopf abreißen können, aber Streit gehört dazu. Zu jeder guten Beziehung. Und mir fehlt sogar unser Streit. Wir haben nicht allzu oft gestritten, aber wenn, dann hat es richtig gekracht. Und der Versöhnungssex war klasse.

Henriette übernachtet heute bei Lina und Felix, sie kümmern sich wirklich toll um sie. Bald wird Lina mir noch mehr unter die Arme greifen, denn ich muss demnächst wieder arbeiten. Ich freue mich auf die Kinder, ich darf meine alte Klasse wieder übernehmen. Vielleicht ist das ganz gut, denn so gewöhne ich mich wieder an einen geregelten Tagesablauf. Gerade leben wir eher in den Tag hinein.

Übrigens haben wir den Krippenplatz bekommen, den wir zusammen ausgesucht haben. Wir stecken gerade mitten in der Eingewöhnung und die Kleine schlägt sich tapfer. Sie ist sehr neugierig und möchte alles in die Hand nehmen und es sich dann in den Mund schieben. Ich habe dir vor einiger Zeit erzählt, dass ich überlege, uns eine Katze zu holen. Vielleicht aus dem Tierheim. Ich werde jetzt schauen, wie es mit dem Job und Henriette läuft und wenn alles klappt, dann werde ich dieses Projekt in Angriff nehmen.

Kannst du dich noch an unseren letzten Urlaub am Meer erinnern? Wie wir abends Pizza bestellt haben und uns mit einer Decke und Bier ans Wasser gesetzt haben? Ich habe diesen Abend sehr genossen. Eigentlich sogar den ganzen Urlaub, aber dieser Abend hatte seinen ganz besonderen Reiz. Du weißt, was ich meine, oder? Ich muss schmunzeln, wenn ich daran zurückdenke und das mache ich oft. Wir haben uns extra eine kleine Nische gesucht, damit wir unentdeckt blieben, um... ja, um uns zu lieben. Das trifft es genau. Ich kann mich noch so gut an dein Gesicht erinnern, als der Lichtstrahl uns traf und eine Gruppe gerade an einer Führung teilnahm, die direkt an uns vorbeiführte. Alle nahmen es sehr gelassen, aber dir war es so peinlich, dass wir am nächsten Tag einen anderen Strand aufsuchen mussten, weil du Angst hattest, dich würde dort jemand erkennen.

Wir haben so viele gemeinsame Erinnerungen geschaffen für die Ewigkeit. Ich merke, dass du mir noch immer fehlst, aber ich merke auch, dass ich loslasse. Und hat es sich am Anfang noch wie Verrat angefühlt, ist es nun befreiend. Du weißt, dass ich dich nie vergessen werde und du der wichtigste Mensch in meinem Leben warst, aber du weißt auch, dass mein Leben weitergehen muss. Irgendwann muss der Punkt kommen, an dem ich mich von dir emotional lösen muss. Jedenfalls muss ich mich so lösen, dass es keinen Einfluss mehr auf meinen Alltag hat. Natürlich denke ich weiterhin an dich, aber es tut nicht mehr so weh wie am Anfang. Die Narbe verheilt langsam, aber sie verheilt. Der Schorf wird fester und ich kann ihn nicht mehr so leicht abkratzen.

Da ich heute sturmfrei habe, treffe ich meine Kolleginnen heute in einer Bar. Auch sie freuen sich, mich bald wieder bei sich zu haben. Ich bin gespannt, wie das wird. Die Abende, die ich im letzten Jahr ausgegangen bin, kann ich an einer Hand abzählen. Deshalb habe ich mir fest vorgenommen, den heutigen Abend zu genießen. Wir haben uns für eine neue mexikanische Bar entschieden. Vielleicht berichte ich dir morgen davon.

Eigentlich müsste ich mich jetzt auch langsam fertig machen, aber ich habe das Gefühl, dir noch etwas sagen zu müssen. Es liegt mir auf der Zunge, aber ich komme nicht darauf. Mittlerweile habe ich herausgefunden, warum Menschen so schlecht loslassen können. Auch wenn wir es uns nicht eingestehen können - das Problem ist die Hoffnung. Natürlich weiß ich, dass du nicht zurückkommst. Das ist nicht möglich. Ich weiß gar nicht so genau, worauf ich gehofft habe, aber ich weiß, ich habe es getan.

Wahre Liebe ist nicht immer nur lachen, streiten, sich wieder versöhnen und zusammen glücklich zu sein. Manchmal bedeutet es auch, dass man gerade den Menschen, den man am meisten und mit ganzem Herzen liebt, loslässt. Auch wenn man sich die Zukunft ohne ihn nicht vorstellen kann. Und das habe ich nun begriffen, denn du weißt, dass ich dich wirklich liebe. Und deshalb ist es an der Zeit, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Ich werde über dich hinwegkommen. Ganz egal, wie unmöglich es erscheint.

Nun muss ich aber wirklich unter die Dusche hüpfen und mich fertig machen. Ich möchte die anderen nicht warten lassen, mein Schatz.

In Liebe
Amelie

In Liebe, Amelie || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt