So langsam brechen die letzten Tage an. Es kann jeden Moment losgehen. Ich bin mit den Nerven am Ende, aber voller Vorfreude. Mein Bauch ist so verdammt dick und ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn das Baby auf der Welt ist. Dann ist nichts mehr in mir. Niemand wird mehr treten und strampeln. Ob es mir fehlen wird? Ich bin so gespannt auf das kleine Würmchen, welches bald das Licht der Welt erblickt. Auch wenn meine Welt momentan so grau erscheint, möchte ich dem Baby die andere Welt zeigen. Die, die voller Farben ist und viele Abenteuer bereithält. Eine Welt, in der alles in Ordnung ist.
Gerade jetzt könnte ich dich besonders gut an meiner Seite gebrauchen. Ich weiß, ich erzähle dir seit Wochen immer wieder, wie sehr du mir fehlst, aber es ist so. Ich kann es nicht ändern und auch nicht wirklich in Worte fassen. Was in mir vorgeht, kann ich dir nicht sagen, denn es gibt dafür keine Worte. Zumindest kenne ich sie nicht. Du wirst immer meine erste große Liebe bleiben und niemals wird dir jemand das Wasser reichen. Du hast die Messlatte ziemlich hoch gelegt, Greta.
Meine täglichen Gedanken kreisen immer wieder um dich. Jede Sekunde werde ich an dich erinnert. Wenn ich nach Hause komme, bist du nicht da. Früher konnte ich es kaum erwarten, dich nach Feierabend sehnsüchtig zu küssen. Und wir taten es immer so, als hätten wir uns Wochen nicht gesehen, dabei hatten wir jeden Morgen zusammen gefrühstückt. Auch wenn ich an bestimmten Orten oder Geschäften vorbeigehe, muss ich an dich denken. Es quält mich auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite sind das die Erinnerungen, die mir für immer bleiben.
Wer hätte gedacht, dass ich heute so ein Leben führe? Ein Leben, das mir Angst macht und mich in vielen Dingen verunsichert. Ich nicht. Ich habe nie daran gedacht, dass ich ohne dich leben muss. Dass uns etwas trennen könnte und es so aus den Fugen gerät. Wärst du doch bloß nie gefahren!
Oft spüre ich den Schmerz in meiner Brust, ein fürchterlicher Druck, der mir das Atmen erschwert. Alles zieht sich dann zusammen, aber ich kann nichts dagegen tun. Wenn ich deine Sachen berühre, dann brennt meine Haut noch immer. Aber ich habe gelernt, dass das völlig normal ist, ich muss die Schmerzen zulassen. Nur so kann ich mit deinem Verlust umgehen.
Gerade bin ich wieder an einem Punkt, an dem ich innerlich mit mir kämpfe. Ich möchte nicht, dass du mich schwach und zerbrechlich wahrnimmst, aber warum zur Hölle mache ich mir darüber überhaupt Gedanken? Du nimmst mich gar nicht mehr wahr, denn das ist unmöglich. Du bist tot.
Dieses Wort zu schreiben, es fühlt sich so falsch an. So grausam. Aber bei der Therapie lerne ich, damit umzugehen. Ich glaube, ich mache gute Fortschritte, auch wenn sie klein sind. Gerade in meinem Fall ist es noch etwas schwieriger. Ich habe nicht nur meine Frau verloren, sondern auch die Mama meines ungeborenen Kindes. Die Tatsache lässt mich manchmal noch immer erstarren.
Aber nun muss ich auf andere Gedanken kommen, sonst weine ich mich wieder in den Schlaf und das möchte ich nicht. Meine Augen schmerzen von den letzten Wochen sowieso schon genug. Ich habe dir noch gar nicht erzählt, dass ich doch tatsächlich einen Erziehungsratgeber lese. Ich weiß, früher habe ich mich darüber immer lustig gemacht, wenn ich Mütter damit gesehen habe, aber es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich möchte nichts falsch machen und ich weiß auch, dass da nicht nur die richtigen Dinge drinstehen, aber trotzdem. Es hilft mir, meine Angst etwas zu überwinden. Ich muss noch 17 Seiten lesen, dann bin ich damit durch. Vielleicht fühle ich mich so einfach besser vorbereitet auf das Baby. Wer weiß?
Früher habe ich Horrorfilme/ serien immer so geliebt. Kannst du dich daran noch erinnern? Ständig wollte ich so etwas anschauen und du hast immer verschiedene Gründe gesucht, um es nicht zu gucken, aber am Ende hast du dich dann doch breitschlagen lassen. Mystische und paranormale Sachen waren immer voll mein Ding. Seitdem du weg bist, habe ich nichts mehr gesehen, was gruselig ist. Es ist nicht so, dass ich mich nicht traue, obwohl das Haus leer ist und ich alleine bin, aber ich habe gelesen, dass es sich auf das Baby nicht gerade positiv auswirkt. Und ohne dich fühlt es sich sowieso anders an. So wie alles, was ich mache.
Wenn ich mich bei Netflix anmelde, besteht noch immer unser gemeinsamer Account. Ich kann mich nicht überwinden, deinen Namen dort zu löschen. Also schauen noch immer Amelie und Greta Serien, auch wenn das natürlich Blödsinn ist. Irgendwann werde ich ihn löschen können, aber noch bin ich für diesen Schritt nicht bereit.
Oh, Gott. Ich glaube, es geht los. Unser Kind kommt! Wahrscheinlich. Vielleicht. Oder nicht? Ich habe schreckliche Schmerzen. Ich denke, es sind die Wehen. Oder ist etwas nicht in Ordnung? Ich weiß doch nicht, wie es sich richtig anfühlen muss. Ich bete zu Gott, dass alles gut ist. Ich muss Lina anrufen und ins Krankenhaus fahren. Ich melde mich ganz bald. Versprochen.
In Liebe,
Amelie
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In Liebe, Amelie || gxg
RomansaACHTUNG SPOILERGEFAHR! Ich würde euch ans Herz legen, erst die Geschichte »The way I feel for her« zu lesen, denn das hier ist eine kleine Erweiterung. Amelie kann nicht zufriedener sein. Sie und Greta führen ein glückliches Leben, auch wenn der A...