Tag 31 ohne dich

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Greta, ich kann es noch immer nicht fassen. Seit einem Monat bist du nicht mehr bei uns. Wir vermissen dich so schrecklich, das kannst du dir nicht vorstellen. So langsam realisiere ich, dass es dich nicht mehr gibt, aber das zu akzeptieren, fällt mir noch immer schwer. Ich hatte meine ersten Termine bei einer Psychologin. Sie ist sehr nett und hübsch, aber du bist noch immer die schönste Frau der Welt für mich und daran wird sich auch nie etwas ändern. Sie hat mich viele Dinge gefragt, um mich und die Situation besser kennenzulernen. Ich bin gespannt.

Lina wollte dieses Jahr doch eigentlich heiraten, sie hat es abgesagt und auf das nächste Jahr verschoben, weil sie deinen Verlust natürlich noch nicht verarbeitet hat. Sie ist so fürchterlich traurig, dass du nicht an ihrem großen Tag bei ihr sein kannst. Ich meine, wer möchte schon ohne Mama an der Seite heiraten? Ich hatte mit Felix gesprochen, er sorgt sich gut um sie, aber sie ist sehr in sich zurückgezogen. Ich kann sie verstehen. Du bist gegangen und hast so viel Leere in unseren Herzen zurückgelassen.

Mein Bauch wird immer größer und es macht mich abgrundtief traurig, dass du es nicht miterleben kannst. Ich wünsche mir so sehr, dass du jetzt hier bist und zärtlich über die Kugel streichelst. Mir fehlt deine Sicherheit. Ich weiß nicht, ob ich dem Ganzen alleine gewachsen bin, das macht mir Angst.

In den letzten Tagen hatte ich mich um einige Dinge gekümmert, was Versicherungen und Verträge anging. Deinen Namen auf den Schreiben zu lesen, hatte mein Herz bluten lassen. Aber es sind Sachen, die ich machen muss, auch wenn ich mich komplett ausgelaugt und nicht bereit dafür fühle.

Alleine schlafen ist nichts für mich. Ich habe es verlernt. Die letzten Jahre warst immer du da und hast mich nachts im Arm gehalten oder mir eine Wärmflasche gebracht, wenn es mir nicht gut ging. Wenn ich meinen Arm im Schlaf noch immer ausstrecke, ist dort nichts. Nur dein leeres Kissen. Ich merke, wie unruhig ich dann schlafe und schrecke auf, nur um zu realisieren, dass du nicht mehr da bist. Danach brauche ich wieder eine Ewigkeit, bis ich einschlafen kann. So ist es fast jede Nacht.

Heute Nachmittag hatte ich wieder unsere Hochzeitsfotos angesehen. Wir waren so glücklich an diesem Tag und hatten geglaubt, dass es für immer so bleiben würde. Manchmal habe ich das Gefühl, dass du direkt hinter mir stehst. Ein Luftzug kommt und sofort rieche ich dein Parfüm und mir schießen Tränen in die Augen. Es ist, als würdest du mir in den Nacken atmen und kurz davor sein, mich dort zu küssen. Aber wenn ich mich umdrehe, bist du nicht da. Der Raum bleibt leer.

Meine Freunde kamen mich des Öfteren besuchen. Es war anders als sonst. Sie wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollten, waren aber immer für mich da. An ihren Blicken konnte ich erkennen, wie sehr es ihnen leid tat. Gestern Abend waren wir das erste Mal wieder miteinander unterwegs. Wir hatten uns einen Film im Kino angesehen und es hatte mich unglaublich viel Kraft gekostet. Weißt du noch, wie wir uns monatelang auf den einen Film gefreut hatten? Zu dem wir unbedingt ins Kino gehen wollten? In dem waren wir gestern und es hatte so an meinen Nerven gezerrt, dass ich danach nach Hause fuhr, weil ich es nicht länger ertragen konnte. Die Mädels sind weitergezogen in eine Bar, aber da war es für das Baby und mich sowieso zu laut.

Jetzt sitze ich wieder hier am Küchentisch. Das ist so etwas wie mein Stammplatz geworden. Mir hat es gefehlt, dir zu schreiben, aber ich war im Zwiespalt die letzten Tage. Mal schauen, wann und ob ich dir wieder schreiben werde.

Als du gegangen bist, hast du ein Stück von mir mitgenommen. Wir hatten viel zu wenig Zeit miteinander, wir wollten noch so viel zusammen erleben. Unser Baby aufwachsen sehen, viele Städte und Länder bereisen und viele andere Dinge machen, die wir nun nicht mehr tun können. Du bist ein Teil meines Lebens, aber irgendwie bist du auch kein Teil meines Lebens. Nicht mehr, doch trotzdem spüre ich dich noch immer.

Ich kann nicht aufhören, an dich zu denken. Vielleicht will ich das auch gar nicht, denn so bist du immer noch bei mir. Es fühlt sich an, als würde ich dich endgültig verlieren, wenn ich dich loslasse. Als würde ich dir in den Rücken fallen, aber das ist doch Quatsch, oder? Du würdest doch wollen, dass ich meinen Blick auf die Zukunft richte. Denke ich jedenfalls. Ich weiß nicht, was du willst. Je mehr Zeit vergeht desto mehr habe ich das Gefühl, gar nicht mehr zu wissen, was du möchtest.

Dieses Jahr wird die Stromrechnung wohl etwas höher sein. Den ganzen Tag läuft der Fernseher, weil ich die Stille nicht ertragen kann, ich brauche diese Stimmen im Hintergrund, auch wenn ich gar nicht richtig zuhöre, beruhigen mich die Geräusche. Ab und zu schaue ich mir Videos auf meinem Handy an von uns. Sobald du zu sehen bist, muss ich lächeln und weinen gleichzeitig. Ich weiß, dass es unsinnig ist, aber trotzdem muss ich jedes Mal über mein Display streicheln und wünsche mir so sehr, dich wirklich berühren zu können, was niemals mehr passieren wird.

Gerade habe ich wieder ein Video angeklickt, aber die Gefühle sind zu stark. Sie überwältigen mich und ich kann kaum atmen, deshalb werde ich kurz an die frische Luft gehen. Die Kälte wird mir gut tun. Ich liebe dich.

In Liebe,
Amelie

In Liebe, Amelie || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt