Gefühle.

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Noch Stunden später saßen Niall und Louis auf Louis' Bett und arbeiteten fleißig an der neuen Single. Der Ire hatte sehr begeistert reagiert und auch nach dem dritten Durchgang hatten beide zum Glück nicht viel anzumerken. Niall hielt sich mit Verbesserungsvorschlägen generell zurück und das nicht nur, weil er den Song perfekt fand, sondern auch, weil die beiden Sänger ihn nicht bei den Mitwirkenden auflisten wollten, aus Angst, die Fans könnten zu viel hineininterpretieren.

„Arrghhh", ließ Louis verlauten und ließ sich mit einem dramatischen Seufzen auf sein Kissen fallen. „Das reicht mir jetzt für heute. Nein, ehrlich, ich bin durch!"
„Wir sind ja auch eigentlich schon fertig", merkte Niall diplomatisch an. „Hast du noch was Bestimmtes vor?"
Louis fiel auf, dass Niall sehr zögerlich sprach. Nachdem die beiden sich so lange nicht gesehen hatten, war es natürlich zunächst etwas seltsam zwischen ihnen. Sie konnten nicht so direkt, überdreht und neckend sein, wie es früher immer der Fall gewesen war. Aber entgegen seiner Erwartungen war Louis trotzdem positiv von ihrem Verhältnis überrascht. Er hatte befürchtet, dass es viel unangenehmer werden würde, aber Niall und er verhielten sich beinahe so, als hätten sie sich gestern erst gesehen.

„Nein", antwortete er deshalb und konnte den Spott nicht gänzlich aus seiner Stimme vertreiben. Als hätte er irgendwas vorgehabt in den letzten Wochen! „Ich habe nichts mehr zu tun für heute. Möchtest du noch eine Weile dableiben?"
Auf Nialls Gesicht breitetet sich ein Lächeln aus. „Sehr gerne." Er warf einen Blick auf die Handyuhr. „Es ist gerade 16 Uhr vierzehn. Ich muss in drei Stunden im London Borough of Hammersmith and Fulham sein, habe also noch etwas Zeit."
„Super", Louis klatschte in die Hände. „Was wollen wir machen?"
Niall starrte ihn irritiert an. „Woher kommt dieser plötzliche Enthusiasmus?"
Der Ältere lachte. „Ich habe keine Ahnung. Genießen wir einfach, dass er da ist!"
„Gute Idee", stimmte Niall mit ein. „Und ich weiß auch schon wie."

Louis folgte seinem Kumpel die Treppe hinunter und beobachtete skeptisch wie dieser in seine Schuhe schlüpfte und seine Jacke überstreifte. „Niall, was wird das?"
Niall guckte ihn ungläubig an. Die Antwort schien so offensichtlich zu sein, dass er es nicht für notwendig hielt, sie auszusprechen.
„Willst du gehen?", fragte Louis, und zog eine Augenbraue hoch.
„Ja, du Schlaukopf", Niall seufzte, klang aber gleichzeitig amüsiert, „Und du kommst mit!"
Wie bitte? Louis starrte ihn entsetzt an. „So kann ich mich nicht blicken lassen!"

Anfangs hatte er es als beleidigt empfunden, als Niall ihm gesagt hatte, dass er furchtbar aussah, allerdings musste er nach einem Blick in den Spiegel gestehen, dass ein wenig Pflege ihm tatsächlich guttun würde. Seine Haare standen ihm wild vom Kopf ab und wenn er ehrlich war, hatte er bestimmt einige Kilo mehr abgenommen, als er gedacht hatte.
„Da musst du durch, Louis", meinte Niall trocken. „Du musst mal wieder rauskommen. Außerdem müssen wir eh dafür sorgen, dass uns niemand erkennt. Dein", er ließ seinen Blick über ihn schweifen und Louis war sich sicher, Missbilligung in seinem Blick zu erkennen, „ramponiertes Aussehen wird bestimmt eher dabei helfen, unerkannt zu bleiben."
„Ja, dafür wird es umso schlimmer sein, wenn mich jemand erkennt", murmelte Louis. Er sah es schon vor sich: ‚LOUIS TOMLINSON – von den Toten auferstanden?' Obwohl vermutlich nicht mal die Klatschmagazine so herzlos sein könnten. Niall schien ihn nicht gehört zu haben, denn er öffnete ohne zu fragen Louis' Garderobenschrank und warf ihm eine Mütze und einen Mantel zu. „Hier, zieh das an, damit wir endlich loskönnen. Ich habe Hunger!"

Grummelnd zog Louis sich die Jacke über und war froh, dass er sich morgens noch nicht zu schade zum Umziehen gewesen war. So trug er wenigstens eine annehmbare Jogginghose. Er suchte seine Vans und fand sie schließlich in der untersten Schublade seines Schrankes. Gott, wie lange war er nicht mehr draußen gewesen? Es grenzte an ein Wunder, dass er noch nicht verhungert war. Niall öffnete bereits die Haustür, während Louis die Mütze vom Boden fischte, die Niall dorthin geworfen hatte. „Mütze? Muss das sein?"
„Ja", lautete die knappe Antwort und Louis musste zugeben, dass Niall Recht hatte, sobald er vor die Tür trat. „Huh, ganz schön kalt hier." Er fröstelte. 
„Es ist ja auch schon Herbst", sagte Niall belustigt. „Hast du Geld dabei?"
„Naja, nicht wirklich, ich weiß ja gar nicht, was wir vorhaben", gab Louis zu. 
„Macht nichts, ich habe genug", meinte Niall großzügig. „Hast du denn deinen Schlüssel?"
Die Haustür fiel ins Schloss.

Bei ihrem Glück hatte natürlich keiner der beiden an einen Schlüssel gedacht und beide wollten die Schuld dafür nicht auf sich nehmen. „Du hast die Tür aufgemacht, ich dachte, du hättest den Schlüssel mitgenommen!"
„Es ist doch dein Haus, da kann ich ja nicht einfach den Schlüssel mitnehmen", protestierte Niall.
„Du siehst doch in welcher Verfassung ich bin! Als ob ich da an meinen Schlüssel denke!"
„Ach, hör schon auf mit der Mitleidsnummer", seufzte Niall genervt.
Louis stockte. „Was soll das denn heißen? Ich versuche doch kein Mitleid zu erregen." 
Niall blieb stehen und sah Louis eindringlich an. „Glaubst du das wirklich? Du lässt alle zehn Minuten einen Kommentar zu deinem ach-so-schlechten Zustand fallen. Ich sehe ja ein, dass du dein Leben lange Zeit etwas vernachlässigt hast, aber so scheiße geht es dir jetzt auch nicht. Du versinkst seit Monaten im Selbstmitleid, statt einfach mal etwas dagegen zu unternehmen."
Louis starrte ihn überrumpelt an. Aber Niall war noch nicht fertig. „Louis, statt deinem Leiden die Schuld an deinem Zustand zu geben, solltest du anfangen deinen Zustand für dein Leiden zu beschuldigen. Ich will nicht sagen, dass Harry und die Trennung nichts damit zu tun haben, dass es dir schlecht geht, aber das ist Vergangenheit und lässt sich nicht mehr ändern. Dagegen könntest du zurzeit vieles anders machen, damit es dir besser geht!"

Hatte Niall Recht? War er selbst schuld? Schuld daran, dass er sich zurzeit so abkapselte? Und was könnte er anders machen? Aber allgemein musste Louis zugeben, dass sein Freund gar nicht so falsch lag. Ihm selber war ja auch schon lange klar, dass er sich anders verhalten könnte. Dass er einfach mal leben sollte, sich auf sich selbst konzentrieren, sich selbst wiederfinden.
„Aber ich – ich will ihn nicht einfach so vergessen, Niall", sprach Louis zum ersten Mal vor jemandem aus, was ihn seit Monaten davor abhielt weiterzugehen.
„Wer spricht denn von Vergessen für immer? Du musst einfach mal für ein paar Stunden aus deinen Gedanken raus", meinte Niall aufmunternd. „Also komm, wir können eh nicht wieder rein, also lass uns einfach gehen."
Louis nickte. „Okay."
„Okay?"
„Okay, lass uns gehen. Befreie mich von meinen tyrannischen Gedanken, oh Retter in der Not."
„Dein Ritter in glänzender Rüstung."
Louis kniff die Augen zusammen und funkelte Niall wütend an. Er wollte nicht an Harry erinnert werden. Er versuchte so sehr, nicht mehr bei jeder Kleinigkeit an ihn zu denken, aber er konnte es einfach nicht lassen. Ritter in glänzender Rüstung. Knight in shining armour. ‚Perfect' hatte er zusammen mit Harry geschrieben. Als noch alles gut gewesen war. Oder zumindest besser. Einer der wenigen Momente, die er zu dem Zeitpunkt noch zusammen mit Harry gehabt hatte. Sein Herz zog sich zusammen, als ihm klar wurde, wie unwissend er damals noch gewesen war. Wie naiv es war, zu glauben, es würde besser werden. Vielleicht sollte er diese Therapiestunden mit Niall fortführen. Oder wenigstens irgendetwas in der Richtung. Alles systematisch durchgehen, damit seine unkontrollierbaren Gedanken ihn nicht jedes Mal überrumpeln konnten.

„Und – nicht böse gemeint – aber du hättest schon immer deinen Schlüssel vergessen", unterbrach der junge Ire seine Gedanken.
Louis musste lachen. „Das ist wahr. Aber zeigt umso mehr, dass ich Recht habe!"
„Recht womit?", Niall sah so verdutzt aus, dass Louis noch mehr lachen musste. „Dass du schuld bist, dass wir den Schlüssel vergessen haben! Wenn auf mich eh kein Verlass ist, hättest du da ja dran denken können."

Not who we used to be | Larry Stylinson 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt