Kekse.

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„Okay, was ist dein Plan?", fragte Louis, nachdem er Niall seit gefühlten Stunden hinterhergelaufen war. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Sie liefen nun schon geschlagene vierzehn Minuten durch die Gegend, ohne dass sein Kumpel es für nötig befunden hatte, ihm zu sagen, wo sie hinliefen.
„Wir gehen dir was kaufen", erklärte Niall schließlich, der zielstrebig durch Londons Straßen lief. Louis ließ einen abgrundtiefen Seufzer ertönen. „Was willst du denn kaufen?"
„Also eigentlich wollte ich was zu essen kaufen, aber in Betracht der Tatsachen... Vielleicht gehen wir einfach gleich etwas essen."
„Und wohin willst du jetzt?"
Niall warf ihm nur einen verschmitzten Blick über die Schulter zu. „Plan B."

Wenige Minuten später erblickte Louis vor sich den Hertfordshire Market. Hastig zog er sich seine Mütze tiefer in die Stirn und schloss zu seinem Freund auf, der schon einige Schritte weiter war. Er war nicht darauf vorbereitet, falls Fremde ihn erkennen würden. Doch seine Sorge erwies sich als unbegründet. Die Menschen strömten hier in einem fröhlichen Gewusel von einem Stand zum nächsten, ohne allzu sehr auf ihre Mitmenschen zu achten. Niall lenkte sie unbeachtet durch die Menschenmenge und machte vor einem kleinen Lädchen Halt. Bis hierhin hatte Louis lediglich Obst- und Gemüsestände gesehen, einige hatten auch Brot verkauft. Dieser hier hatte eine gemütliche Ausstrahlung, Louis konnte verschiedene Holz- und Stoffgegenstände erkennen. „Warte mal", Niall drehte sich zu ihm um, „Wie wäre es, wenn du schonmal da vorne an der Ecke wartest." Er nickte mit dem Kopf vage in eine Richtung. „Wenn du willst, kannst du dir noch irgendwas Kleines kaufen, was wir gleich essen können, ich komme gleich nach."

Louis verdrehte die Augen, drehte sich aber um und schlenderte über den Rest des Marktes zum Treffpunkt. Wie ein kleines Kind hatte Niall ihn vorgeschickt! Außerdem nervte ihn die Heimlichtuerei, und er musste zugeben, dass ihn interessierte, was Niall vorhatte, wobei er Louis extra hatte wegschicken. Doch ehe er sich darüber aufregen konnte, wurde er von einem Duft abgelenkt und blickte sich suchend um. Links von sich entdeckte er himmlisch aussehende Schokoladenkekse und blieb stehen, um einen kleinen Jungen vorbeizulassen, der sich an den Arm seiner Mutter klammerte. Mit seinen dichten dunkelbraunen Locken und den niedlichen grünen Augen erinnerte er ihn an Harry. Daran, wie er sich damals endlich eingestanden hatte, dass er Gefühle für seinen besten Freund hegte. Wie es ihm von Tag zu Tag plötzlich offensichtlicher schien.

Energisch schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Er wollte doch nicht so viel an Harry denken. Er musste damit aufhören! Schnell richtete er seine Konzentration wieder auf seine Umgebung. Die Kekse! Er trat an den Stand heran und blickte auf das weite Angebot hinab. Es gab Schokoladenkekse mit weißer, mittlerer und dunkler Schokolade, es gab Kekse mit Nüssen, Kekse mit bunten Farben – Streuseln? – und alle möglichen Mischungen. „Die riechen wirklich lecker", hörte er sich sagen.
„Danke", eine freundlich aussehende Dame auf der anderen Seite der Theke lächelt ihn herzlich an. „Möchtest du welche kaufen?"
„Ja gerne. Welche können Sie denn empfehlen?", erkundigte sich Louis.
„Meine persönlichen Lieblinge sind die klassischen Schoko-Nuss-Kekse", erklärte die Frau, „oder die blau-grünen hier."
Wollte das Universum ihn eigentlich verarschen? „Die Schoko-Nuss-Kekse wären super", entgegnete er schnell, um nicht zu lange über irgendwelche Zufälle nachdenken zu müssen. „Wie viel würde es kosten, zehn zu kaufen?"
„3 Pfund 50."

Louis steckte seine Hände in seine Hosentasche, um nach Münzen zu kramen, als ihm auffiel, dass er gar kein Geld mitgenommen hatte. Sein Gesichtsausdruck schien seine Lage zu verraten. „Kein Geld dabei?", die Dame bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick.
„Nein", bedauernd schüttelte Louis seinen Kopf. „Leider nicht. Tut mir leid. Auf Wiedersehen." Er wandte sich ab. Diese Kekse sahen so lecker aus, dass er später auf jeden Fall nochmal mit Niall wiederkommen musste.
„Macht doch nichts", sagte die Verkäuferin gut gelaunt und hielt ihn mit ihren Worten zurück. „Nimm den hier, und denk nächstes Mal an dein Geld."
Louis drehte sich überrascht wieder um. Er war hin- und hergerissen. Er fand es nicht richtig, wenn er sich einfach etwas schenken ließ, für das er hätte bezahlen müssen, nur weil er sein Geld zuhause gelassen hatte. Andererseits sahen diese Kekse natürlich sehr verlockend aus. Und wer sagte denn, dass nicht auch Leute, die nicht arm waren, nette Geschenke annehmen durften? „Sind Sie sicher?", hakte er unsicher nach.
„Natürlich!", lachte die Frau, „Ich verkaufe diese Kekse doch, weil ich anderen Leuten eine Freude machen möchte." Louis' Herz erwärmte sich.
„Vielen Dank", bedankte er sich, nahm den Keks entgegen und nahm sich vor, auf dem Rückweg noch einmal vorbei zu kommen. Oder besser, sobald er wieder mit seinem eigenen Geld bezahlte.

Wenige Sekunden später lehnte er an der Wand, wo er auf Niall warten sollte und knabberte an seinem Keks. Vorsorglich hatte er bereits ein Drittel abgebrochen, damit er ihn seinem Kumpel gleich anbieten konnte. Zugegeben, anfangs war es noch eine Hälfte gewesen, aber dann hatte ihn sein Appetit leider mitgerissen. Er war begeistert von den Backkünsten dieser Verkäuferin – und von ihrer Güte. Harry hätte sie ebenso sehr gemocht, da war er sich sicher. Ach verdammt. Wieso war es so schwer, für eine Stunde mal nicht an ihn zu denken? Und nun war Niall nicht da, das hieß, seine Gedanken würden sich wieder ungehindert ausbreiten können.
Louis warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sechzehn Uhr dreiundvierzig. Hoffentlich würde Niall schnell wiederkommen. Solange würde er seine Erinnerungen wohl oder übel über sich ergehen lassen müssen.
Er wusste noch genau, wie gut gelaunt er damals in Harrys Nähe gewesen war, und dass er am liebsten jede einzelne Sekunde mit ihm verbracht hatte. Mit Harry an seiner Seite hatte er sich jedes Mal vollständig gefühlt, als wäre er alles, was er brauchen würde, so kitschig das auch klingen mochte. Damals hatte er diese Gefühle jedoch für starke Freundschaft gehalten. Anfangs war es das auch sicherlich gewesen, aber irgendwann hatte sein Herz angefangen, jedes Mal schneller zu schlagen, wenn Harry ihn angelächelt hatte oder wenn sie miteinander gekuschelt hatte. Louis konnte sich noch dran erinnern, wie er eines Tages gemerkt hatte, was er für Harry empfand. Es war kurz nach dem Ende von X-Factor gewesen, er hatte mit den anderen Jungs auf der Couch gesessen, weil sie es alle lustig gefunden hatten, ihre Video-Diaries anzugucken. Natürlich war seine Konzentration nur auf Harry gerichtet gewesen. 

Nachdem sie sich über Zayns „Vas happenin'"s, Louis' Auftritt als Mülltonne, seine Jimmy-Imitation und alle weiteren lustigen Momente kaputtgelacht hatten, hatten sie sich auch einige Kommentare durchgelesen. Viele hatten einfach die besten Zitate des Videos aufgegriffen oder ihre Begeisterung gegenüber der fünf Jungs ausgedrückt, aber es waren vermehrt auch Kommentare zu Harry und Louis aufgetaucht. „Omg wie süüüüß! ‚And I'd marry you, Harry'", „Ich wette Louis und Harry sind zusammen" oder „Guckt mal wie Harry Louis ansieht, das muss Liebe sein!" waren Louis besonders ins Auge gefallen. Als alle aufgestanden und gegangen waren, hatte er überlegt, ob die Fans vielleicht Recht haben könnten. Immerhin löste Harry immer irgendetwas in ihm aus, was er nicht beschreiben konnte. Die nächste Stunde hatte er damit verbracht sich sogenannte „Larry Stylinson"-Videos auf YouTube anzugucken und sich einzugestehen, dass er sich in den niedlichen Lockenkopf verliebt hatte. In den darauffolgenden Tagen waren seine Gefühle für Harry immer stärker gewachsen, als hätten sie nur darauf gewartet, dass Louis sie endlich bemerken würde. Jeder einzelne Blickkontakt und jede einzelne Berührung mit Harry hatten sein Herz in helle Aufregung versetzt.

„Louis, mein Freund", Nialls Stimme platzte mitten in seine Gedanken. Der Ire stand mit einer großen braunen Stofftüte vor ihm, dessen Inhalt Louis leider nicht erraten konnte. „Da bist du ja!"
„Da bist du ja", gab Louis leicht patzig zurück. „Ich stehe hier schon seit Minuten."
Ihm fiel der Keks ein, den er Niall aufbewahrt hatte, und er holte ihn schnell aus seiner Jackentasche. „Hier, ich war vorher sogar produktiv. Naja, mehr oder weniger. Der ist für dich."
Niall sah das Drittel des Kekses kritisch an, ehe er sich in den Mund schob. „Oh, der ist echt lecker! Warum hast du nicht mehr davon gekauft?", mampfte er. 
„Hatte kein Geld."
„Schlüssel vergessen, Geld vergessen... Louis, was soll nur aus dir werden, wenn du groß bist?", Niall grinste ihn an. Louis funkelte zurück.
„Du wusstest, dass ich kein Geld dabeihabe."
„Also ich würde sagen, ich weiß, wo wir jetzt hingehen", überging Niall seinen Kommentar, „Folge mir."
Mal wieder. Louis verdrehte die Augen.

Not who we used to be | Larry Stylinson 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt