Manchmal, ganz manchmal, wünsche ich mir, dass er mich in der Nacht damals doch umgebracht hätte. Nicht falsch verstehen, ich lebe sehr gern, aber mit seinem Erscheinen war meine bescheidene Existenz ein ganz Stück verkorkster und definitiv anstrengender geworden.
Nach dem unfreiwilligen Blutaustausch erwachte ich am nächsten Morgen in meinem Bett mit monströsen Kopfschmerzen. Da glaubte ich noch, dass ich das Ganze nur geträumt hatte. Zwar fragte ich mich wirklich, wie mein Unterbewusstsein etwas so Abstruses hatte fabrizieren können, doch da ich zuvor die ganzen schlechten Klausuren und noch davor gruseligere Fanfictions gelesen hatte, war zumindest in Ansätzen eine Erklärung für die krankhaften Auswüchse meiner Fantasie da.
Ich meldete mich an dem Morgen krank und schob meine Kopfschmerzen auf eine ausbrechende Grippe. Selten hatte ich mich so geirrt. Am Abend lag ich nach unzähligen Kopfschmerztabletten, definitiv über der empfohlenen Tagesmenge, in meinem abgedunkelten Schlafzimmer im Bett und versuchte zu schlafen. Besser ging es mir da definitiv nicht, eher schlechter. Den ganzen Tag über war mir übel gewesen, ich konnte mich auf nichts konzentrieren und Essen stieß mich ab. Allein der Geruch von Kaffee hatte dafür gesorgt, dass ich mich übergeben hatte. Ich lag also in meinem Bett und litt still (mehr oder weniger) vor mich hin, als ich auf einmal eine Stimme hörte.
„Helena!"
Das Problem war nur, dass ich definitiv allein in meinem Zimmer war. Die Zimmertür sowie das Fenster waren geschlossen. Fernseher und Radio waren aus. Den ganzen Tag über war ich dank meiner Kopfschmerzen schon sehr lärmempfindlich. Die Stimme in meinem Kopf war daher alles andere als angenehm.
„Helena, mache das Fenster auf und bitte mich herein." Ich hatte Halluzinationen. Es konnte gar nicht anders ein. Hier war niemand und trotzdem hörte ich Stimmen. Scheinbar war ich nun endgültig übergeschnappt. Ruckartig zog ich mir das Kopfkissen über den Kopf. Vielleicht verdrängte das die Stimme. „Mach' das Fenster auf!" Dieses Mal klang die Stimme ein Stück schärfer. „Helena!" Jepp, definitiv gereizter. Unfreiwillig, ich wollte wirklich nicht aufstehen, erhob ich mich von meinem Bett, ging zum Fenster und öffnete es.
Unten auf dem Hof stand er.
Andrej Tepeš.
„Bitte mich herein!", erklang es wieder in meinem Kopf.
„Bitte komm' herein." Meine Stimme hörte sich für mich selbst ganz fremd an, als ich das sagte. Langsam wich ich von dem Fenster zurück und setzte mich wieder auf mein Bett. Mein Schlafzimmer befand sich im ersten Stock, wie er das Kunststück vollbrachte, da ohne weiteres hochzukommen, entzog sich mir, aber kurz darauf stand er mitten in meinem Zimmer und knipste gnadenlos die Lampe auf meinem Nachtisch an. Geblendet kniff ich die Augen zusammen.
„Du siehst fürchterlich aus", kommentierte er meine ungewaschene Erscheinung. Ich zog nur eine Grimasse, woraufhin er leicht lächelte und sich neben mich setzte. „Vielleicht beginnst du nun doch noch mit dem Verzehr von Insekten", feixte er. Ich rückte weg von ihm, was ihm wieder dieses heisere Lachen entlockte, das ich schon am Abend zuvor gehört hatte. Spontan hielt ich mir die Ohren zu.
„Du weißt, dass das sinnlos ist, oder?" Wieder hörte ich seine Stimme nur in meinem Kopf. So wie einen lästigen Tinnitus. Ich klopfte mir an die Schläfe, in der stillen Hoffnung seine Stimme so zu vertreiben.
„Das ist ebenso sinnlos", kommentierte er meine Versuche.
„Kannst du bitte normal mit mir sprechen? So bekomme ich nur noch mehr Kopfschmerzen."
Er tat mir den Gefallen. „Die Kopfschmerzen werden sich legen. Dein Körper gewöhnt sich gerade einfach nur an mein Blut."
Oh Gott, musste er mich daran erinnern? Ich spürte, wie mir wieder übel wurde.
DU LIEST GERADE
Rabenschwarze Nächte
Misteri / ThrillerEr fuhr unbarmherzig mit seiner Sicht auf die Dinge fort: „Helena, damit wir uns richtig verstehen. Was du siehst und spürst, warum dir dein Überlebensinstinkt zubrüllt, dass du laufen sollst, ist der Tod, der an meinen Händen klebt. Du lebst, weil...