Kapitel 6
„Erde an Hel, Erde an Hel!" Meine liebste und beste Kollegin Julia wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. „Weilst du noch unter den Lebenden oder muss ich Daryl Dixon anrufen, damit er dir den Garaus macht." Konsterniert sah ich sie an. Da hielt man einmal auf einem Stapel Klausuren ein Nickerchen und schon hielt die liebenswerte Umgebung einen für einen Zombie.
Ich streckte mich erst einmal ausführlich, bevor ich antwortete: „Bin doch wach, was ist denn los? Ich habe eine Freistunde, da darf man entspannen." „Eher eine Schlafstunde", kicherte Julia. „Soll ich dir vielleicht einen Kaffee holen?", erkundigte sie scheinheilig.
„Bloß nicht! Die Plörre schlägt mir immer auf den Magen. Blümchenkaffee ist eine noch zu freundliche Bezeichnung dafür." Ich schielte rüber zu unserer Lehrerküche. Ein unheimlicher und sehr sehr dreckiger Ort. Letztens hatte ich im Kühlschrank ein Stück Käse mit so vielen Haaren entdeckt, dass ich es spontan für ein Mitglied der Kelly-Family gehalten hatte und es Angelo taufte. Julia, die bekennender Fan dieser langhaarigen Familie war, hatte das nicht sehr lustig gefunden, besonders als ich Angelo auf ihren Platz gelegt hatte, mit einem niedlichen Herzchen daneben. Vielleicht war dieses fiese Weckkommando eine Retourkusche dafür.
„Also", Julia fixierte mich mit einem Blick, mit dem sie schon so manchen Schüler nervös gemacht hatte, „du hast mir letztens gesagt, dass du mehr unter Leute kommen willst. Richtig?"
Ich nickte zögerlich. „Richtig." Irgendwie machte dieser Blick nicht nur Schüler nervös, ich war auch schon ganz eingeschüchtert.
„Super!" Sie klatschte bei meiner Antwort vergnügt in die Hände. „Dann fangen wir doch heute Abend gleich damit an. Ich habe da diesen süßen Typen im Internet kennengelernt, mit dem ich mich heute Abend treffen möchte und er bringt einen guten Freund mit und da kannst du dann gleich mitkommen und wir haben ein perfektes Doppeldate." Ich brauchte einen Moment, bis das Gewirr in ihrer Satzreihe verstanden hatte, doch dann entfuhr mir mit Inbrunst: „Nie im Leben!"
„Na komm", sie klopfte mir auf auffordernd auf die Schulter, „du willst neue Leute kennenlernen. Das kann man nirgendwo besser als auf einem Date und wenn er doof ist, dann triffst du ihn nie wieder."
„Vorher muss ich aber eventuell einen ganzen Abend mit ihm aushalten!", gab ich zu bedenken. „Peanuts", Julia griff nach einem der Donuts, die bei uns auf dem Tisch standen, „wir gehen ja erst was essen, da muss man nicht so viel reden und danach geht's tanzen."
„Tanzen?"
„Na ja, wir treffen uns in Münster. Erst was Essen im Pumpkins und danach in der Fledermaus tanzen."
„Du weißt schon, dass Morgen noch Schule ist?", wandte ich ein.
„Schnurz, danach ist Wochenende und du kannst dich erholen. Außerdem haben wir Morgen nur einen pädagogischen Tag. Da kannst du mit offenen Augen schlafen. Na komm, sag schon, kommst du mit?" Sie setzte ihren patentierten Dackelblick auf. Zögerlich nickte ich. „Na gut." „Super!" Sie umarmte mich kurz. „Ich hole dich um 18 Uhr ab. Dann sollten wir es zu 19 ins Pumpkins schaffen."
„Ja, ja, und jetzt lass mich noch ein wenig schlafen, ich habe gleich die Achter und da kann man jede Erholung brauchen, die man bekommen kann. Soviel Pubertät gibt es nämlich sonst kaum in einem Raum."
Julia kicherte, tat mir aber den Gefallen und ließ mich weiterschlafen.
*
Gaius weilte mal wieder bei mir und sah mir zu, wie ich den Inhalt meines Kleiderschranks im Schlafzimmer verteilte. Eigentlich wollte ich diesen Tom, so hieß der beste Freund von Julias Date, gar nicht beeindrucken, trotzdem stand ich vor meinem Kleiderschrank und stieß die Worte aus, die jede Frau in so einer Situation gern sagt: „Ich habe nichts anzuziehen!"
DU LIEST GERADE
Rabenschwarze Nächte
Misteri / ThrillerEr fuhr unbarmherzig mit seiner Sicht auf die Dinge fort: „Helena, damit wir uns richtig verstehen. Was du siehst und spürst, warum dir dein Überlebensinstinkt zubrüllt, dass du laufen sollst, ist der Tod, der an meinen Händen klebt. Du lebst, weil...