Das Dröhnen von lauter Musik hallte wahrscheinlich im gesamtem Hausaufgang wieder, jedoch war es mir egal. Ich hatte meine Bluetooth-Box auf die beinahe höchste Stufe aufgedreht und saß kraftlos und doch auch irgendwie aufgekratzt auf meiner Couch, starrte ins Leere.
An der Garderobe neben meiner Wohnungstür hing das wunderschöne Kleid aus der Boutique, geschützt durch einen durchsichtigen Kleidersack. Ich hatte am Vorabend schon alles zusammengestellt und bereitgelegt, um heute Nachmittag auch ja nichts zu vergessen. Maxim hatte ich in meiner Favoritenliste im Handy gespeichert, damit ich ihn sofort informieren konnte und er entsprechend mit mir abgeholt werden würde.
Noch immer hatte ich keinerlei Informationen über den Veranstaltungsort erhalten, lediglich eine kurze Nachricht, dass man mich mit einer Limousine abholen würde und ich mich bereithalten solle, da der Anruf diesbezüglich nur ein Zeitfenster von zwanzig Minuten offenlassen werde. Meine Aufregung war Neugierde gewichen, ich konnte es gar nicht mehr erwarten, dass der Tag endlich voranschritt und mein Telefon klingelte. Ich wollte endlich wissen, was auf mich zukommen würde und ob ich eventuell jemanden von den Gästen, trotz der vorgeschriebenen Masken, erkennen könnte.
Raisa hatte sich am frühen Morgen bei mir verabschiedet, nachdem sie die letzte Nacht bei mir geschlafen hatte. Sie hatte mich fest umarmt, mir einen Kuss auf die Wange gedrückt und mir mit glühendem Blick viel Spaß gewünscht. Ich wusste, dass ich sie nicht mehr kontaktieren können würde, denn allen Gästen würden, so stand es ebenfalls in der letzten Nachricht, die Telefone abgenommen werden.
Keine Fotos, keine Videos. Niemand würde für die Dauer des Abends erreichbar sein oder seinen Standort verraten können. Ich hatte im ersten Moment darüber gestutzt und war verwundert gewesen, allerdings leuchteten mir, Maxim und Raisa das Ganze dann doch sehr schnell ein. Wenn es diese Regel nicht gegeben hätte, dann wäre der Platina-Ball wahrscheinlich auch nicht so geheim die Jahre über geblieben, er hätte seinen Zauber und seine Exklusivität verloren.
Ich rechnete bereits damit, bei der Ankunft noch eine Geheimhaltungserklärung unterschreiben zu dürfen, damit auch danach nichts über den Ort an die Öffentlichkeit sickern konnte.
Ich verspürte einen leichten Anflug von Kopfschmerzen, schrieb diese der Aufregung zu und stand auf um in die Küche zu gehen. Gedankenverloren machte ich mir einen Tee und viertelte, während ich auf das kochende Wasser wartete, eine Tablette. Seit ich denken konnte hatte ich es noch nie über mich gebracht, egal wie klein sie doch waren, eine Tablette als Ganzes herunterzuschlucken. Immer hatte ich das Gefühl, sie würde mir im Hals stecken bleiben und ich könnte ersticken. Mein Vater hatte mich immer ausgelacht und dabei belustigt den Kopf geschüttelt. Natürlich hatte er recht damit gehabt, dass dies niemals passieren könnte, ein kleiner Funken Angst steckte jedoch noch immer in mir und somit wusste ich, dass ich diese Gewohnheit wahrscheinlich bis ins Alter nicht ablegen würde.
Mit meiner Teetasse in der linken Hand warf ich einen Blick auf mein Handy in der Rechten. Es war kurz nach halb eins, während Paulina Gagarina auf meiner Musik-Box ihre grandiose Stimme zum Besten gab. Während sie den Refrain ihres Liedes mit Innbrunst schmetterte vernahm ich das laute Klopfen einer meiner Nachbarn an den Heizungsrohren. Ich hatte es offenbar wirklich übertrieben mit der Lautstärke und drehte den Regler ein bisschen runter. „Banause", murmelte ich vor mich hin und lehnte mich wieder an meine Küchenzeile um an meinem Tee zu nippen.
In Gedanken ging ich noch einmal alles durch: Kleid und Maske zusammengepackt und bereitgelegt. Tasche mit Wechselklamotten und Sachen für den morgigen Tag auch bereitgelegt und neben der Garderobe verstaut. Plötzlich erstarrte ich mit der Tasse in meiner Hand. Ich musste unbedingt noch einmal ein Bad nehmen!
Auch wenn es definitiv nicht mein erklärtes Ziel war mit irgendwem intim zu werden, so würde ich doch nichts dem Zufall überlassen wollen, also mussten Epilierer und Rasierer doch noch einmal ran, sicher ist sicher.
Auch in mein kleines, enges Badezimmer begleiteten mich mein Telefon und die Musik-Box, während ich also noch einmal jedes Körperteil inspizierte und kontrollierte lauschte ich erneut den Klängen von Paulina und seufzte leise vor mich hin. Mein Magen verzog sich immer wieder kurzzeitig beim Gedanken an den bevorstehenden Abend, ich konnte es nunmehr kaum noch abwarten und hoffte jedoch inständig, dass ich wieder angezogen sein würde bevor mein Fahrer sich meldete.
Vor dem Waschbecken stehend blickte ich in mein Spiegelbild und musterte mich kritisch. Meine Augenbrauen waren von Maxim bereits vor zwei Tagen in Form gezupft worden, sodass ich nicht mit Monobraue herumlaufen musste. Ich war manchmal einfach wirklich zu bequem für die kleinen Dinge im Leben. Vor meinem inneren Auge sah ich den entrüsteten Gesichtsausdruck von Maxim, als ich ihm eröffnet hatte, dass meine letzte Augenbrauenbehandlung beinahe ein Jahr zurücklag und ich mir nicht wirklich etwas draus machte, da ich mit einem leichten, langsamen Wuchs gesegnet war.
Trotz des überbelichteten Spiegels waren meine Augen beinahe schwarz, nur ein leichter, heller brauner Rand war um die Pupille herum zu erkennen. Als Kind hatte ich mit diesen „Hexenaugen", wie meine Klassenkameraden sie damals immer so schön bezeichnet hatten, wirklich zu kämpfen, doch mit dem Alter und der Reife kamen Akzeptanz und auch Zufriedenheit. Ich mochte sie mittlerweile sehr und war stolz auf meine Augenfarbe, die ich von meiner Mutter geerbt hatte.
Durch den Wasserdampf hatten sich in meinen langen braunen Haaren leichte Wellen gebildet. Eigentlich hatte Maxim mich darum gebeten Wasser zu meiden, da er sonst kaum eine ordentliche Frisur zaubern könne. Ich musste leicht kichern, als ich an seinen ersten Versuch zurückdachte, meine frisch gewaschenen Haare zu bändigen und seinen verzweifelten Gesichtsausdruck, als selbst Haarspray und Schaumfestiger nichts erreicht hatten.
In meinen Bademantel gekleidet verließ ich das Bad und wollte mich gerade wieder anziehen, als mein Telefon schrill klingelte und mein Herz dadurch einen kurzen Stillstand erlitt. Ich blickte aufgeregt auf das Display und war enttäuscht: Raisa rief an.
„Hallo Kleines, gibt's was Neues?" Sie ließ eine Begrüßung meinerseits erst gar nicht zu und plauderte einfach weiter: „Maxim meinte, du hättest dich bis dato noch nicht bei ihm gemeldet. Verdammt, ich werde langsam auch immer nervöser!" Ein kurzes Lachen glitt über meine Lippen und ich entgegnete: „Bis jetzt hat noch niemand angerufen, Raisa. Sobald ich Bescheid weiß schreibe ich dir eine kurze Nachricht. Du weißt doch, dass ich wahrscheinlich schon direkt im Auto mein Telefon abgeben darf. Geheimhaltung und so weiter." Raisa stimmte mir am anderen Ende der Leitung zu. „Hauptsache ich habe dich morgen unversehrt wieder, nicht, dass das vielleicht doch so eine Sektenveranstaltung ist und sie dich opfern wollen! Kein Wunder, dass man nie etwas von ehemaligen Gästen erfährt!" Im ersten Moment hatte es mir bei ihren Worten schockiert die Sprache verschlagen, doch dann lachte ich laut los und konnte mich beinahe nicht mehr bremsen. Irgendwann, ich hatte schon Tränen in den Augen, stimmte Raisa mit ein und wir verabschiedeten uns voneinander, nachdem ich ihr erneut versprechen musste, mich zu melden und heil zurückzukehren.
Ich hatte mein Telefon gerade auf dem Tisch abgelegt und mir meinen Pullover über den Kopf gestülpt, als es erneut klingelte und ich dachte, dass Raisa noch etwas eingefallen wäre. „Na, was haben wir vergessen?" Stille am anderen Ende der Leitung. Irritiert sah ich auf das Display und diesmal rutschte mir mein Herz wirklich in die Hose. ‚Anonym' stand groß und fett auf dem Bildschirm. „Äh...Alika Zueva am Apparat?"
„Miss Zueva, wir sind in zwanzig Minuten bei Ihnen. Verständigen Sie Ihren Stylisten, wir werden ihn unterwegs abholen." Keine Begrüßung, kein Name, keine weitere Erklärung.
Dann ging es jetzt wohl los.
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Maskenball - Nur ein Augenblick - ABGESCHLOSSEN-
ChickLitDer Platina-Ball. DAS Ereignis des Jahres der Moskauer High Society. Nur ausgewählte Oligarchen, erfolgreiche Emporkömmlinge und die schönsten der Schönen haben als persönlich eingeladene Gäste Zutritt. Alika Zueva ist weder reich, noch besonders s...