Nur noch eine Woche bis zum größten, geheimsten Ereignis des Jahres in Moskau. Nur noch eine Woche. Nur noch eine verdammt lange Woche!
Ich war ein nervliches Wrack. Ich war durcheinander, schusselig, überfordert und übermüdet. Meine neuen Kollegen hatten mehr als zwei Stunden auf mich einreden müssen, mit schlussendlicher Unterstützung durch Waldimir – meinem Chef – und hatten mich dann schließlich so weit, dass ich zustimmte bis zum eigentlichen ersten offiziellen Arbeitstag nicht mehr zu kommen.
Es wusste zwar niemand von ihnen, warum ich so durch den Wind war, doch ich musste einen bemerkenswert jämmerlichen Eindruck bei ihnen hinterlassen haben.
Selbst Raisa hatte mir in den letzten Tagen nicht mehr wirklich helfen können und verzweifelte an meiner Unsicherheit. Fast den gesamten Tag hockte sie mit mir zusammen in meiner oder aber ihrer Wohnung und passte auf, dass ich mir aufgrund meines Zustandes nicht noch den Hals brach oder versehentlich meine Haare abrasierte. Ich hatte keine Ahnung, wie sie auf die Sache mit den Haaren gekommen war, doch leider traute auch ich mir alles zu.
Anna war in letzter Zeit auch regelmäßig vorbeigekommen und hatte mir versucht einen Crashkurs in Sachen Ball, Abläufe, gesellschaftliche Gepflogenheiten und dergleichen zu verpassen. Ich hatte das Gefühl, auf ganzer Linie versagt zu haben. Anstatt von außen nach innen griff ich immer genau umgekehrt nach dem Besteck auf dem Tisch, hatte bereits mehrere Male das Zitronenwasser trinken wollen, welches eigentlich zum Händesäubern gedacht war und so lief es die ganze Zeit.
Raisa und Anna hatten einen Heidenspaß an manchen Situationen und ich wollte eigentlich die ganze Zeit nur noch heulen und hatte bereits mehrfach angedroht, einfach nicht zum Ball zu gehen, mich zu verkriechen, aus Moskau zu verschwinden oder mich einweisen zu lassen, weil es mir einfach nur verdammt schlecht ging. Das waren jedoch auch immer wieder die Momente gewesen, wo vor allem Raisa mich an den Schultern gepackt hatte um mich wirklich im wahrsten Sinne des Wortes zu schütteln und wieder zur Besinnung zu bringen.
„Reiß dich gefälligst zusammen!", rief sie dann immer und sah mir ernst in die Augen, teilweise mit einem Schmunzeln, versteckt in ihrem Blick, teilweise jedoch auch wirklich besorgt und kurz davor mir Recht zu geben und mir zu helfen, alles einfach abzublasen.
Allerdings war ich auch noch nie ein Mensch gewesen, der einfach so den Kopf in den Sand gesteckt hatte oder einfach so einfach alles hinschmiss. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich mir so unendlich viele Gedanken über diesen Abend machte und mit Albträumen mitten in der Nacht aufwachte, schweißgebadet und mit Bildern vor meinem inneren Auge, in denen ich mich vor allen auf diesem Ball lächerlich gemacht hatte, ausgelacht wurde oder man mir einfach das Gefühl vermittelt hatte, dass ich absolut nichts in dieser Gesellschaft zu suchen hatte und man sich nicht erklären konnte, wie ich dort hineingeraten war.
Ich hatte es ja selbst noch immer nicht wirklich verstanden.
In der Zwischenzeit hatte ich mir einen Stylisten von der ellenlangen Liste ausgesucht und mit Maxim einen wundervollen Fang gemacht. Er war herzallerliebst und fröhlich, trieb gerne seinen Schabernack mit Raisa und ich hätte zu gerne darauf gewettet, dass er sie heimlich versuchte rumzukriegen.
Auch wenn es gegen die Regeln war, Maxim hatte Raisa von Anfang an miteinbezogen, auch weil es mein Wunsch gewesen war. Sollten sie mich doch wieder ausschließen!
Stundenlang hatte ich in seinem Apartment an einem überdimensionalen Schminktisch gesessen und mich von ihm bearbeiten lassen mit allerhand Zaubermitteln der Make-Up-Industrie. Ich selbst war nie der große Fan von Schminken gewesen. Ich musste mich dabei immer an die Anfänge meiner Teenager-Zeit erinnern und an die Worte meines Vaters, als er mich das erste Mal geschminkt gesehen hatte: „Indianer!"
Heute konnte ich darüber lachen und verstand, was er damals damit gemeint hatte. Das Make-Up war mindestens drei Nuancen zu dunkel für meinen Hauttyp gewesen, ich hatte den typischen Anfängerfehler gemacht und nicht ausgeblendet, sodass ich den gesamten Tag mit einem viel zu dunklen Gesicht herumgerannt bin. Allerdings wollte ich meinem Vater nicht die Genugtuung geben und ihn Recht haben lassen, also bin ich damals wirklich so herumspaziert.
Heute wusste ich es zumindest ein bisschen besser, auch wenn ich mich wahrlich nicht als Kenner oder Profi bezeichnen würde. Ich konnte diese ganze Prozedur einfach nicht leiden, dieses frühe Aufstehen am Morgen, um sein Gesicht unter einer Vielzahl von Produkten zu verstecken und förmlich mit einer Maske durch das Leben zu wandern. Das höchste der Gefühle waren für mich Mascara und ab und an vielleicht auch mal ein klein wenig Lidschatten.
Maxim gab mir Gott sei Dank recht und meinte nur, dass ich für den Ball gar kein wirklich ausgefallenes Make-Up brauchen würde, da beinahe die Hälfte meines Gesichtes eben unter einer Maske versteckt sein würde.
Eine wunderschöne Maske, nur am Rande erwähnt. Sie passte perfekt zu meinem Kleid, die Mitarbeiterin hatte mir die Nummer eines Kostümverleihs etwas außerhalb von Moskau gegeben und nachdem ich dem netten älteren Herrn dort ein Bild des Kleides gezeigt hatte, welches ich auf dem Ball tragen würde, hatte er sofort aus dem Lager ein Glanzstück hervorgezaubert.
Die Maske war dunkelblau, und doch etwas heller als die Farbe des Kleides und war am Rand mit Silberfäden durchzogen. Schlicht und doch trotzdem elegant. Ich liebte sie. Als ich ihm sagte, dass ich sie nach dem Anlass zurückbringen wolle, schüttelte er nur zufrieden den Kopf und meinte: „Sie passt perfekt zu ihnen. Sie sollten sie behalten und als Erinnerung an das nutzen, was Sie auf dem Ball erleben werden." Die letzten Worte sprach er mit einem schelmischen Lächeln und zwinkerte mir zu.
Ich hatte mit keinem Wort erwähnt, dass ich auf den Platina-Ball gehen würde, allerdings schien er genau Bescheid zu wissen.
Maxim und Raisa hatten riesige Augen gemacht, als sie die Maske das erste Mal gesehen hatten und waren hin und weg.
„Schätzchen. Wir werden nur ein klein wenig deine Augen mit Mascara zur Geltung bringen. Vielleicht noch ein leichter, unaufdringlicher und farbloser Gloss auf deinen Lippen und schon bist du fertig! Es sei denn, du erleidest jetzt plötzlich einen post-pubertären Akne-Schock. Lasst uns beten, dass das nicht passiert!" Manchmal neigte Maxim zur Theatralik und übertrieb sehr gerne. Doch jedes Mal, wenn Raisa genau über einen seiner Ausbrüche dieser Art kicherte und sich verlegen an den Haaren spielte, war ich zufrieden und freute mich für sie.
Manchmal ertappte ich mich mit einer gewissen Melancholie bei dem Wunsch, ebenfalls dieses Glück der Verliebtheit erfahren zu können, die ich so oft bei Raisa erahnen konnte. Die langen Umarmungen zwischen ihr und Maxim machten mich auf eine ungewollte, neidische Art traurig und doch wollte ich genau das für meine beste Freundin.
Wer konnte schon ahnen, dass ich in der kommenden Woche, auf diesem mysteriösen Ball jemanden kennenlernen würde, der mir so massiv den Kopf verdrehte? Wer hätte voraussagen können, wie sehr dieser Abend und diese Nacht mein Leben verändern würden?
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Maskenball - Nur ein Augenblick - ABGESCHLOSSEN-
ChickLitDer Platina-Ball. DAS Ereignis des Jahres der Moskauer High Society. Nur ausgewählte Oligarchen, erfolgreiche Emporkömmlinge und die schönsten der Schönen haben als persönlich eingeladene Gäste Zutritt. Alika Zueva ist weder reich, noch besonders s...