Kapitel 12

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Atemlos erreichte ich die Damentoiletten und wie schon einige wenigen Stunden zuvor stützte ich mich auf dem Mamorwaschbecken ab. Dass ich einige Berühmtheiten treffen beziehungsweise erkennen würde hatte ich erwartet. Ich hatte mich sogar ein wenig darauf gefreut. Allerdings war diese Begegnung mit Wladimir einfach so unvorhergesehen, sie hatte mir quasi den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich wollte nicht mehr zurückkehren.

Es war mir so unfassbar unangenehm, dass er mich ebenfalls erkannt zu haben schien und ich keine andere Wahl hatte als zu flüchten.
Was würde er von mir denken? Konnte ich ihm noch einmal unter die Augen treten? Panisch gingen mir unzählige Gedanken durch den Kopf. Kündigen, Namen ändern, auswandern. Ab und an war eben auch ich für melodramatisches Verhalten zu haben.

Um mich selbst zu beruhigen lies ich mir ein wenig kaltes Wasser über die Handgelenke laufen und versuchte meinen Nacken zu entspannen. Kopfschmerzen waren das letzte, was ich jetzt noch gebrauchen könnte.

Ich wusste nicht woher die Verzweiflung kam, die sich in meinem Körper ausbreitete. Mir war zum Heulen zumute. Nur mit Mühe konnte ich die Tränen, welche sich ihren Weg nach außen Bahnen wollten, zurückhalten und atmete noch einmal tief und zitternd durch.

In diesem Moment knalle die Tür auf und eine schon sehr gut angetrunkene Dame betrat kichernd den Waschraum. Als sie mich wahrnahm verhärteten sich ihre Züge für den Bruchteil einer Sekunde, fast hätte ich es nicht bemerkt.
Mit einem aufgesetzten Lächeln sprach sie mich direkt an: „Sieh einer an, das Highlight des Abends, die Dame im Munde aller Herren." Ihre Feindseligkeit war beinahe greifbar. Ihr blasses Gesicht strahlte im gedämmten Licht und ich konnte trotz der dicken Schicht Make-Up sehr gut ihre Fältchen um den Mund um die Augen herum erkennen. Offenbar war da mal wieder eine Botox-Behandlung fällig.


Sie kramte in ihrer Clutch herum und zog ein kleines, durchsichtiges Tütchen hervor. Meine Augen weiteten sich und ich konnte feines, weißes Pulver darin erkennen. Schockiert über ihre Arroganz und die Selbstverständlichkeit, in meiner Gegenwart - und immerhin war ich eine für sie fremde Person - offenbar einfach eine Line ziehen zu wollen, blieb mir der Mund ein kleines bisschen offen stehen.

Madame Überheblich störte sich nicht im Geringsten an mir und bereitete munter weiter alles vor, schob mit einer Kreditkarte das Kokain zurecht und grinste dabei die ganze Zeit hämisch.

„Weißt du..." fing sie plötzlich wieder an zu reden und schaute mich dabei schief von der Seite an. Erwartungsvoll hielt ich die Luft an und wartete auf das, was kommen würde.

„Frischlinge wie du werden immer begafft. Sie sind einmal dabei, wenn sie Glück haben und sich gut gemacht haben vielleicht auch noch ein zweites Mal." Sie schnaubte verächtlich und beugte sich dann zu dem Waschtisch herunter, nahm einen zusammengerollten Geldschein und zog sich das weiße Pulver durch die Nase.

Seufzend und schniefend riss sie den Kopf nach oben und wischte sich die Überreste aus den Nasenflügeln, stützte sich dann mit einem Arm ab und wühlte mit ihrer freien Hand suchend in ihrer Clutch herum.

Ein silbernes Etui kam zum Vorschein und sie öffnete es umständlich, zog eine lange, dünne Zigarette heraus und steckte sich diese an. Dreist blies sie den Rauch direkt in meine Richtung, sodass ich ein Husten unterdrücken musste.


"Wenn du auch nur im Ansatz annimmst, dass dieser wunderschöne Mann da draußen, mit dem du getanzt hast, auch nur im entferntesten an dir interessiert ist, dann mein Beileid." Genüsslich zog sie immer wieder an ihrer Kippe und verpestete ihre Umgebung und meine Luft.

"Vielleicht wird er dich flachlegen. Vielleicht auch nicht. Aber dir sollte eins klar sein: Danach lässt er dich fallen wie ein Stück wertloser Dreck. Mehr bist du auch nicht. Du gehörst hier nicht her!"

Ich wollte zu einer bissigen Antwort ansetzen und spannte meine Schultern an, als die Tür erneut aufflog und meine wundervolle blonde Gesprächspartnerin eintrat. Sie wirkte, als hätte sie die Situation sofort durchschaut und verschränkte die Arme.

„Wie geht's deinem Näschen? Du hast da was!" Symbolisch kratzte sie sich am Nasenflügel und setzte ein diebisches Grinsen auf. Vollkommen unbeeindruckt hielt Madame Arroganz ihren Blick fest auf mich gerichtet und drückte ihre Kippe im Waschbecken aus.

Die blonde Frau trat an meine Seite und fragte ruhig: „Alles in Ordnung?" Ich nickte einfach nur und brachte keinen Ton hervor. Zu schockiert war ich über die Feindseligkeit und den Hass, der mir meiner Meinung nach unbegründet entgegengebracht wurde.

"Machen Sie sich keine Sorgen. Ich denke, die liebe Dame wollte grade gehen!" Und mit diesen Worten trat sie ihr noch einen Schritt entgegen und vollzog eine wegwischende Handbewegung, als würde sie etwas verscheuchen wollen.


Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass Madame Arrogant wirklich den Worten folgen und das Feld räumen würde. „Denke an meine Worte, er wird dich spätestens nach dieser Nacht fallen lassen und vergessen haben, noch bevor du deine Augen morgen früh öffnest!"
Mit dieser letzten Botschaft schnappte sie sich ihre Clutch und verließ mit einer theatralischen Drehung den Raum.

Meine Anspannung wich purer Erleichterung und mir entwich ein Stöhnen.
„Bitte, schenken Sie ihr keinen Glauben. Seit mittlerweile drei Jahren ist sie hinter ihm her und wurde jedes Mal sehr direkt abgewiesen. Offensichtlich geht das einfach nicht in ihren zugekoksten Schädel."

Mir lag die brennende Frage auf den Lippen, wer er war und scheinbar war es mir gut anzusehen, denn sie grinste wissend.

„Das müssen Sie schon selbst herausfinden. Kommen Sie. Es wird Zeit, dieser Frau mal zu zeigen, dass sie partout keine Chance bei ihm hat!"

Wieder hakte sie sich bei mir ein, wie beim ersten Mal, und führte mich bestimmend wieder zurück zum Saal. Ich ließ es einfach geschehen. Sie wirkte auch nicht so, als hätte sie irgendwelche Widerworte meinerseits akzeptiert.

Beim Eintreten ertappte ich mich dabei, wie ich mich vorsichtig auf Zehenspitzen stellte um ihn zu erspähen. Irgendwie verzweifelt.
Dann sah ich ihn. Und Madame Arroganz. Ich erstarrte auf dem Fleck und konnte mich nicht bewegen, die blonde Dame wandte sich irritiert um, als sie bemerkte, dass ich ihr nicht folgte. Stirnrunzelnd drehte sie sich in die Richtung keines Blickes und erkannte den Grund für meine Starre.

Das gekünstelte Lachen dieser unangenehmen Person konnte ich bis zu uns hören und mir wurde schlecht. Als sie den Arm hob und ihre Hand an seine Wange legte hielt mich nichts mehr.

Mit einer Bewegung drehte ich mich um und verließ diesen Ort. Ich wollte nur noch weg. Egal, wie kindisch ich mich aufführte, es gab kein Halten mehr.
Natürlich hatte ich keine Ansprüche an ihn, hatte keinen Grund, solch eine eifersüchtige Szene abzuziehen. Er war frei, ich war frei. Und doch hatte es mir einen Stich ins Herz versetzt, Zeugin dieser Berührung sein zu müssen.

Atemlos erreichte ich meine Suite, riss mir die Maske vom Gesicht und öffnete meine Frisur, alles an meinem Aufzug fühlte sich surreal an.
Achtlos warf ich die Maske auf den Schreibtisch, ging ins Badezimmer und befreite meine Haut von dem Kleid, stieg unter die Dusche und drehte das heiße Wasser voll auf.

Lächerlich. Mein Verhalten war einfach nur lächerlich.
Kein Wunder, dass es bei mir noch nicht wirklich mit den Männern funktioniert hatte. In beinahe jedem Fall nutzte ich die erste sich bietenden Gelegenheit um Reißaus zu nehmen.

Erschöpft rief ich den Zimmerservice an und bestellte mir eine heiße Milch mit Honig, um besser einschlafen zu können. Je schneller die Nacht vergehen würde, desto eher konnte ich in mein gewohntes Leben zurückkehren und das alles vergessen.

Das Kleid hatte ich feinsäuberlich wieder im Sack verstaut und mein knielanges Nachthemd angezogen. Schwarzer Stoff mit Spitze am Saum. Gedankenverloren fuhr ich mir durch die Haare und träumte vor mich hin, als es an der Tür klopfte.

Mit langsamen Schritten ging ich durch den Wohnbereich, um meine Bestellung entgegen zu nehmen, öffnete die Tür und schluckte hart, als ich mein gegenüber erkannte.

„Hallo Alika."

Er stand vor mir. Noch immer mit der Maske im Gesicht. Panisch erinnerte ich mich meine abgelegt zu haben und fühlte mich ausgeliefert.

„Darf ich reinkommen?"

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