Kapitel 4

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Die Tage vergingen beinahe wie im Flug und langsam aber sicher machte sich eine unglaubliche Nervosität in mir breit, je näher der Termin, der jedoch noch immer nicht verkündet worden war, zu rücken schien.

Ich hatte nach der letzten E-Mail bisher nichts weiter gehört und war zwischenzeitlich schon so verunsichert gewesen und hatte Raisa gefragt, ob ich mir das nicht doch alles nur eingebildet hatte. Da wir keinerlei Erfahrungen anderer ehemaliger Gäste hatten, immerhin schien das eine Top-Secret-Veranstaltung zu sein, konnten wir uns nur auf Mutmaßungen und Gerüchte verlassen.

Alle wussten Bescheid, aber niemand war jemals dabei gewesen. Dieser Ball schien das bestgeschützte Geheimnis dieses verdammten Staates zu sein!

Mittlerweile war der Oktober dem November gewichen, die Einladung war mir somit vor beinahe zwei Monaten ausgesprochen worden und ich versuchte einfach nicht mehr so viel daran zu denken, um mich nicht selbst verrückter zu machen.

Ich traf mich regelmäßig mit den anderen und wir scherzten wieder über allerhand normalem Frauenkram, nach unserer letzten Auseinandersetzung schien nun auch Anna sich für mich zu freuen und vor allem selbst Erfolg zu haben. Schon vor zwei Wochen hatte sie uns von einem vielversprechenden Kandidaten für eine potenzielle Hochzeit und ein Zusammenleben berichtet.

Sie hatte ihn widererwartend nicht im Maxima kennengelernt, sondern er hatte sie mitten auf der Straße einfach im wahrsten Sinne des Wortes umgerannt und ihr seinen Kaffee beinahe komplett auf ihrer weißen Bluse verteilt. Ich musste noch immer schmunzeln, als ich sie mir dabei bildlich vorstellte, in der linken Hand ihre kleine schwarze Clutch und die Arme von sich gestreckt, den Mund weit aufgerissen und den Typen entgeistert und wütend anstarrend.

Victor, so hieß der Glückliche, hatte die Standpauke seines Lebens von ihr erhalten und sie hatte sich selbst als Wiedergutmachung von ihm zum Essen eingeladen. Tatsächlich war Victor erschienen und die beiden hatten sich auf Anhieb verstanden. Er hatte zwar noch nicht das von Annas gewünschte Oligarchen-Bankkonto, jedoch war er wohl ein ehrgeiziger und aufgeweckter Geschäftsmann, hatte irgendwas in der Computer-Branche zu tun und trug unsere anstrengende und eigensinnige Anna auf Händen. Ich gönnte es ihr von Herzen, immerhin war sie nun immer viel entspannter und ausgeglichener, der Druck lastete nicht mehr auf ihr und ihre Mutter ließ sie in Ruhe.

Lenja hatte eine riesige Kampagne an Land gezogen und strahlte mich von fast allen Werbeplakaten und Zeitschriften an, sobald ich in der Moskauer Innenstadt unterwegs war. Sie konnte sich vor Terminen kaum retten und wurde hinter hervorgehaltener Hand bereits als das nächste Victorias Secret Model gehandelt. Und trotzdem war sie verfressen wie immer und wir konnten sie jedes Mal aufs Neue nur entgeistert anstarren, wenn sie sich von Ivanka das dritte oder vierte Stück Kuchen bringen ließ.

Bei mir hatte sich auch abseits des Wartens auf den Ball viel getan. Ursprünglich hatte ich meine neue Stelle in der Marketingagentur erst im Januar antreten sollen, allerdings fiel mir die Decke vor lauter Warten und Anspannung zu Hause auf den Kopf, somit schaute ich zwei bis dreimal in der Woche bei meinem neuen Arbeitsplatz vorbei, um mich schon ein bisschen mit dem Umfeld vertraut machen zu können und nicht ganz so unvorbereitet hineinzustolpern, wie ich es sonst wahrscheinlich getan hätte.

Meine neuen Kolleginnen und Kollegen waren allesamt unfassbar freundlich und aufgeschlossen, man beantwortete mir so ziemlich jede Frage, die ich stellte und scheute sich nicht, mich in die Abläufe bereits jetzt schon zu integrieren.

Waldimir Markow war ebenfalls äußerst entspannt mir gegenüber. Ich muss ehrlich zugeben, die Befürchtung, dass es sich bei ihm um einen hochnäsigen und aufgeblasenen Geschäftsmann handeln würde, hatte bereits Einzug in meine Gedanken gehalten, doch ich wurde zum Glück eines Besseren belehrt. Ich erfuhr auch, dass er nicht der alleinige Geschäftsführer und Inhaber war, sein Bruder Dimitri und er hatten die Firma gemeinsam gegründet, nur scheute Waldimirs Bruder die Öffentlichkeit und ich hatte ihn bisher auch nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, wo er augenverdrehend die Einladung zu einer Galaveranstaltung abgesagt hatte und sich dann wieder aus dem Staub machte.

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