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2018-11-01
03:58 a.m.

Wir irrten durch die verschiedensten Stattteile und jedes Mal, wenn das Mädchen, das die Führung übernommen hatte, einen Lufthauch oder auch das Rascheln einer Plastiktüte auf dem Asphalt hörte, zog sie mich hinter die nächste Ecke und murmelte etwas zu ihrem Buch, ehe sie eröffnete, dass die Luft doch rein war.
Das hätte ich ihr auch sagen können, ohne dass sie ihrem Buch auf einer seltsamen Sprache irgendetwas zunuschelte.

"Wenn wir doch diesen Geistern aus dem Weg gehen wollen, warum siehst du dann so aus, als wärst du jederzeit bereit für einen nahenden Kampf? Ich dachte, wir müssen in Bewegung bleiben, damit sie uns nicht finden?"
Mit einem kurzen Blick über die Schulter musterte sie mich abschätzig und ich hob die Hände, um ihr zu verdeutlichen, dass sie auf meine Fragen gar nicht achten sollte. Sie antwortete mir netterweise trotzdem.

"Bewegung verwirrt die vom Körper getrennten Seelen und es wird schwerer für sie uns zu finden. Für mich wäre es jedoch ein leichtes, sie zu finden, wenn mein Buch nicht auseinander fallen würde."
Sie hielt das zerfledderte Teil am Buchrücken in die Höhe und ein paar weitere gelbliche Seiten fielen heraus und verteilten sich auf dem grauen Boden.
"Damit kann ich jeden Todgeweihten finden. Jeden in meinem Zuständigkeitsbereich zumindest."

Ich hob die Augenbrauen und hob das Kinn.
"Und was wäre dein Zuständigkeitsbereich? Die ganz fiesen Kerle?"
Sie atmete in einem theatralischen Ton und hob dabei die Schultern, um sie anschließend wieder sacken zu lassen. Ich sah, wie sie bei dieser Bewegung zusammenzuckte, als war ein kurzer Schmerz durch ihren Körper gefahren.

"Die übermotivierten Mörder und ihre Mordopfer. Das sind diejenigen, die ich in den Tod geleite."
"Mein Dad hat mir allerdings vorhin berichtet, dass der Mann, dem du vorhin zuerst seiner Seele beraubt hast, gar kein Mörder, sondern ein Menschenhändler war."
Mit einem Ruck blieb sie stehen und ich rannte beinahe in sie hinein.
Als sie sich umdrehte stierte sie mich mit einem feurig bösen Blick an und bleckte die Zähne, als sie sprach.

"Erspar dir diesen 'ich bin Daddy's Liebling'-Ton und hör mir jetzt mal genau zu, du unreifer Mensch!", herrschte sie mich an und berührte mit ihrer Brust nur ganz leicht meinen oberen Bauchbereich. Auch wenn diese Berührung bloß leicht und unabsichtlich war, fühlte ich mich plötzlich ganz warm und spürte, wie mein Puls raste.
Ich wollte zur Seite blicken, doch erhaschte einen kurzen Blick auf ihren verrutschten Ausschnitt und mir wurde noch wärmer.

Durch einen Hieb auf meinem Arm mit ihrem Buch, zwang sie mich, sie wieder anzuschauen und ich schluckte hart.
"Dieser Mann war verantwortlich für sämtliche Tote bei einem geheimen Transport von Indien hierher. Er hat viele Kinder so sehr unter Drogen gesetzt, dass sie daran starben. Seine eigene ...  Sklavin hat er zu Tode geprügelt. Und seine Frau ...", sie brachte nicht zu ende, was sie sagen wollte, denn ihre Stimme brach und ihre großen, dunklen Augen hatte sie zu trotzigen Schlitzen verengt, um zu verbergen, wie feucht sie geworden waren.

Ich konnte nur eines aus diesem Gefühlsausbruch schließen.
"Und du hast das alles mitangesehen."
Mehr musste ich nicht hinzufügen. Meine Stimme war leise, kratzig und schien ihre Gesichtszüge um einiges zu glätten.
"Vielleicht bist du ja doch nicht so schwer von Begriff.", gab sie mit belegter Stimme zu und zog dann leise die Nase hoch, ehe sie sich wieder abwandte, die rechte Hand auf ihre linke Schulter gepresst, welche sie nun kreisend bewegte.

"Gehen wir weiter, wir haben lange genug hier gestanden und Lärm gemacht. Es wird Zeit den ersten Entflohenen zu schnappen."
Sie ließ von ihrer Schulter ab, trat vom Bürgersteig auf die Straße und hielt auf die Straßenmitte zu, was mich ganz schön irritierte.
"Und wo soll dieser zu finden sein? Sag mir nicht, in der Kanalisation."

Mit einem Zucken ihrer rechten Schulter sah sie mich an und legte ihr Buch neben den Gullideckel, den sie versuchte anzuheben. Vergebens.
Mit einem Ächzen erhob sie sich und als ich bei ihr angekommen war, hatte sie den Stoff ihres Kleides von der Schulter geschoben und eine blutige Wunde kam zu Vorschein.
"War das von ... von eben? In der Gasse?", fragte ich, ewas durch den Wind, doch das Mädchen schob einfach ihren Ärmel wieder zurecht und versuchte es ein weiteres Mal.

Sie sah zu mir auf, zum Zeichen, dass ich ihr helfen sollte.
"Solltest du das nicht erst einmal reinigen und verbinden? Das sah ganz schön übel aus.", sagte ich, ging aber ebenfalls in die Hocke, um ihr zu helfen.
"Das bringt nichts mehr. Wenn ich das Chaos aufgeräumt habe, verschwindet die Wunde wieder.", entgegnete sie mir, sah dabei aber nicht sehr überzeugt von sich selbst aus.

Als wir den Gullideckel endlich beiseite geschafft hatten, kletterte das Mädchen mit ihrem Buch hinunter und ich zögerte einen Moment. Ich konnte einfach wegrennen und diese seltsame Mission mit diesem sonderbaren Mädchen hinter mir lassen. Allerdings bewegte mich etwas in mir dazu ihr nachzuklettern und so verschwand ich ebenfalls in der Öffnung und fand mich in kompletter Dunkelheit wieder.

Unten angekommen empfing mich ein ekelerregender Geruch und meine Schuhe wurden komplett unter Wasser gesetzt. Das ärgerte mich an dem Ganzen am meisten.
Ich fragte nicht, warum wir unbedingt hier hinunter klettern mussten und wie wir überhaupt etwas erkennen sollten. Das Mädchen schien von sich aus wieder zu spüren, welche Fragen mir am meisten auf der Zunge brannten.

"Das Buch dirigiert mich hierhin. Eine der entflohenen Seelen muss sich hier versteckt halten. Ich kann sie spüren, sie ist verängstigt und Angst ist bei den Verlorenen manchmal unberechenbarer als die Wut, die manche mit sich tragen. Ängstliche Seelen sind häufig die stärksten. Und da sie es selbst nicht wissen, macht es sie noch unkontrollierbarer."
Sie hatte einen verheißungsvollen Ton in ihre Stimme gelegt, verbarg damit aber nicht, dass sie womöglich jedes Wort mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen ausstieß.

Die Blondine atmete zitternd aus, schien sich zu sammeln und murmelte dann wieder, flüsternd und mit warmer, sanfter Stimme, etwas ihrem Buch entgegen.
Langsam entstand ein Licht und als ich das Gesicht des Mädchens vor mir sah, erkannte ich, dass es das Buch in ihrer Hand war. Das Licht hielt jedoch nicht lange an und nachdem es erloschen war, schien es noch dunkler zu sein.
"Das kann doch jetzt nicht wahr sein.", sagte sie und stöhnte entnervt auf. "Reiß dich zusammen du verflixtes Buch."

Sie schien das alte Teil zu schütteln und mit einem plötzlichen schmerzerfüllten Aufschrei, hörte ich einen lauten, platschenden Aufprall, begleitet von einem leisen Wimmern vor mir.
Ich fischte unentwegt mein Smartphone aus der Hosentasche und schaltete die Taschenlampe an.
In einer enormen Menge von Dreckswasser fand sich das Buch wieder. Als ich es angewiedert aufhob war es allerdings vom Wasser komplett unberührt.
Während ich zu dem Mädchen leuchtete und sie damit blendete, erkannte ich, dass sie ihre Hand fest in ihre linke Schulter krallte. Zwischen Daumen und Zeigefinger rann ein dünnes Rinnsal aus Blut über ihre bleiche Haut.

"Es wird immer schlimmer.", sagte ich erschrocken. "Was ist passiert?"
"Jetzt verstehe ich es erst selbst so richtig. Der Bann des Todes. Er fällt wohl langsam von mir ab. Ich habe alles durcheinander gebracht und jetzt werde ich meines Dienstes entlassen. Auf die unschöne Weise."
"Und was ist die unschöne Weise? Ich verstehe nicht-"

Ein lautes Heulen, ein Weinen, das aber gleichzeitig ein Schreien war, unterbrach mich und ließ uns beide zusammenfahren.
"Die Seele. Wir müssen sie einfangen.", sagte das Mädchen gehetzt und wollte mir das Buch aus den Händen reißen, doch ihre Schulter machte ihr einen Strich durch die Rechnung.
"Ich trage es, bis wir sie gefunden haben."
Mit einem kindlich bösen Blick sah sie zu mir auf, nickte aber dann.

"Also gut, befreien wir eine traurige, verängstigte Seele aus diesem Gefängnis, das sich die Welt nennt."

Graveyard Whisper || jeon jungkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt