Kapitel zwölf: Wenn es Zufall ist, ist es kein Date.

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Ich machte meinen Rucksack zu und wollte ihn gerade wieder schultern, als ich vor dem Laden, in dem ich gerade stand, Jungkook erblickte. Schnell verließ ich das Geschäft, um den Rothaarigen abzufangen, der sich gerade von einem Mädchen verabschiedete. Perfekt. Dann war er doch jetzt allein, oder was? Das hieß er hatte Zeit für mich,  oder? Zumindest kurz?

Schnell schloss ich zu ihm auf und tackelte ihm in die Seite. Er drehte sich erstaunt zu mir um und als er mich erkannte, lächelte er breit.

"Hyung", grüßte er mich und ich umarmte ihn kurz zur Begrüßung. Er erwiderte die Umarmung herzlich und ich konnte mich nicht dagegen wehren, dass mir das Herz aufging. "Wo gehen wir hin?", fragte ich beiläufig, als hätten wir uns genau hier verabredet und er ließ ein kleines Lachen hören. "Also ich wollte eigentlich nach Hause", informierte er mich, "naja... 'wollen'." Die Gänsefüßchen waren quasi hörbar.

Aufmerksam ließ ich mein Blick über sein Gesicht gleiten und versuchte darin zu lesen. Doch er hatte ein Pokerface aufgesetzt. "Was ist los?", fragte ich und er zuckte mit den Schultern. "Mein Vater ist los", meinte er nur und ich neigte den Kopf. "Er ist nicht oft zu Hause, ständig unterwegs... aber wenn er zu Hause ist, hab ich keine ruhige Minute." Ich runzelte die Stirn. "Warum nicht?", hakte ich nach und er antwortete nicht. Er nahm sich eine Weile und ich konnte sehen, dass er mit sich rang.

"Lass uns was essen gehen", schlug ich vor und er nickte fast schüchtern. Konnte man das ein Date nennen? Wenn es Zufall ist, dann nicht, oder?

"Ich kenne einen Ort", meinte er und winkte mich hinter sich her. Ich folgte ihm einfach und wir gingen schweigend durch die Straßen, bis wir an einem Diner ankamen. Von außen machte es nicht viel her, aber als wir rein kamen, fühlte ich mich in eine andere Welt versetzt. Wie kam es, dass ich diesen Laden nicht kannte?

Es roch nach schwarzem Kaffe und von der Küche wehte leichter Burgergeruch rüber, der immer dann stärker würde, wenn jemand mit Tellern beladen durch die breiten Schwingtüren trat und sie somit kurz öffnete. Die Einrichtung war gepflegt, aber sehr Retro und erinnerte an die 50er Jahre. An den Wänden hingen Metallschilder, die teilweise mit Werbung, teilweise mit Sprüchen bedruckt waren. Von irgendwo her dudelte eine Jukebox, doch durch die Geräuschkulisse im Inneren des Gastraumes, hörte man sie kaum. Es war wirklich laut, denn alle redeten durcheinander, es war nicht, wie in jedem anderen Restaurant. Aber ich liebte es irgendwie.

Wir setzten uns gegenüber auf jeweils eine dieser dinertypischen Bänke und er schob mir die Karte hin. "Ordentlich essen, oder Süßkram?", fragte er und ein verschmitzes Lächeln schlich auf mein Gesicht. "Süßes", antwortete ich und sein Gesicht hellte sich auf.

"Ich habe gehofft du sagst das. Nimm den Riesenmuffin, Vorsicht, ist wirklich riesig. Die Füllung ist meist noch warm und das Eis dazu ist selbstgemacht." Ich nickte das ab. Dann wollte ich doch mal Probieren, was er mir empfahl und dann wahrscheinlich an der Portion sterben.

Wir begannen einfach zu reden und ich achtete nicht auf die Zeit. Doch es war deutlich spürbar, wie er sich mehr und mehr entspannte und das tat nicht nur ihm gut, sondern auf eine merkwürdige Art und Weise auch mir. Nach einer Stunde hatten wir einen Inside-Joke entwickelt. Noch eine Stunde später, hatte er auf meine Seite gewechselt, um mir was auf seinem Handy zu zeigen und blieb einfach bei mir sitzen, wieder eine Stunde später lag er in meinen Arm, während wir sämtliche dämlichen Filter ausprobierten, die Snow so zu bieten hatte.

Ich lachte ausgelassen, als es uns gelungen war, ein Bild zu schießen auf dem wir beide schielten. Wir hatten sogar eins mit der Bedienung zusammen, denn sie kannten Jungkook und auch sonst waren sie sehr freundlich. Nebenbei aß ich den letzten Bissen von meinem Riesen-Muffin und gerade als ich überlegte, noch irgendwas zu bestellen, einfach damit wir noch eine Stunde hier rumhängen, Kaffee trinken und rumalbern konnten, klingelte Jungkooks Handy.

Er fluchte leise. "Mein Vater", murmelte er, doch er ging nicht ran. Mit einem Seufzten lehnte er sich weiter zurück. Tröstend schlang ich meine Arme um ihn, denn es fühlte sich irgendwie richtig an. Das Diner war inzwischen deutlich leerer geworden, aber selbst wenn nicht, es wäre mir egal gewesen.

Eine kurze Weile schwiegen wir. "Mein Vater ist kein schlechter Mensch", begann er plötzlich zu erzählen, "doch seit dem Comingout vor meinen Eltern, behandelt er mich, als sei ich krank. Er schlängt mir jedes Mal einen neuen Therapeuten vor, der mir helfen soll, damit ich wieder normal werde." Er lachte abfällig. "Er meint es gut, denn er versteht es nicht, aber er stresst mich damit. Das ewige Diskutieren ist anstrengend. Er würde mich nie anscheien oder so, er ist nicht sauer. Er macht sich nur Sorgen und es ist falsch von mir, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich seh ihn so schon nur so selten. Aber ich kann das nicht mehr." Er verstummte wieder und ich nahm mein Handy wieder hoch. Schnell schoss ich ein Selfie ganz ohne Filter von uns beiden und zeigte es ihm.

"Siehst du das?", fragte ich und er blinzelte. "Was?" Ich speicherte das Bild in meiner Galarie ab. "Das bist du, so wie du bist und du bist wundervoll... genau so." Eine leichte Röte breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er setzte sich wieder auf. "Danke Hyung." "Ich hoffe dein Vater kapiert irgendwann, dass du nicht krank bist, sondern dass sein 'normal' nicht zwingend dein 'normal' sein muss."

Wir sahen uns einen Moment nur still an und ich hatte das wirklich dringende Bedürfnis seine roten Lippen zu küssen. Es war einer dieser Momente, wo die Hintergrundgeräusche zu verstummen schienen und sich die Welt kurz aufhörte zu drehen. Doch ich wusste, dass es dennoch nicht der richtige Zeitpunkt war. Jungkook war einfach zu sehr beschäftigt mit sich selbst und so schön er auch aussah, ich entscheid mich geduldig zu sein, denn wenn ich eins über ihn gelernt hatte, dann dass er schnell die Flucht ergriff.



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