dunkelbraun - Verzweiflung

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Lunita war schon immer ein Mensch, der schnell weinte. Ihre Mutter hatte oft mit ihr geschimpft, sie solle doch nicht so schwach sein. Doch sie ließ sich schon von Kleinigkeiten mitreißen. Als Kind hatte sie immer geweint, wenn sie die Geburt der Nachbars Katze mit ansehen durfte. Die Mutter dieser unglaublich winzigen Geschöpfe hatte solche Schmerzen. Einmal hatte Lunita die ganze Nacht durch geweint, weil in Ihrem Garten ein Baby Vogel aus dem Nest gefallen war und die Mutter das Baby verstoßen hatte. Der Kleine starb in den Händen ihres jüngeren Bruders. Er weinte mit ihr, die ganze Nacht. Lunita hatte als Baby viele Nächte durch geweint. An ihrem ersten Tag im Kindergarten hatte sie geweint, weil ihre Mutter sie allein zurückgelassen hatte. Genauso wie am ersten Schultag. Ja, sogar als Lunita mit 16 Jahren ihren Abschluss gemacht hatte und aus ihrer Familie bloß ihr kleiner Bruder aufgetaucht war, Freunde hatte sie ja kaum. Mit 19 Jahren hatte Lunita das letzte Mal geweint. Als ihr Bruder bei einem Autounfall starb, bei dem ihr bester und einziger Freund der betrunkene Fahrer war. Lunita ist danach aus der Großstadt, in der sie groß geworden ist, ausgezogen und kam in dieses kleine Dorf. Sie fühlt sich hier nicht wohl und heimisch, doch sicher vor der großen, erdrückenden Welt. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Hier konnte sie ihre Gefühle abschalten. Deswegen erschrak Lunita vor sich selbst, als sie nach den zwei tränenlosen Jahren vor einem fremden Mann angefangen hatte zu weinen. Wer könnte es ihr verübeln. Sie hatte einen scheußlichen und langen Arbeitstag und als sie abends aus dem kleinen Geschäft kam, stürmte es schrecklich und sie hatte nichts, außer ihr dunkelbraunes Sommerkleid an. Denn heute morgen strahlte die Sonne noch. Und zu guter letzt schaffte sie es keine zwei Schritte zu gehen, da lief dieser fremde Mann in sie und schüttelte auf ihr, zum ersten mal getragenes Kleid, seinen Tomatensaft aus. Der Mann schien mit der Situation noch überfordert als Lunita selbst. Wer wäre es nicht, eine weinende Frau, die zwischen den viel zu lauten und kräftigen Schlunzen kein einziges Wort mehr rausbekommen. Er entschuldige sich tausendmal, nicht wissen, dass er gar nicht Schuld an den Tränen hatte. Er hatte bloß einen viel zu großen Damm mit einem winzigen Stein losgerissen. Seine dunkelbraunen Augen schrien vor Verzweiflung. Wenn jetzt doch Lunitas Mutter hier wäre. Sie würde einfach mit ihr schimpfen. Und vielleicht würde Lunita sich dann selbst besser kontrollieren können. Nicht wirklich wissen, was nun zu tun ist, geht Lunita an dem Mann vorbei, nuschelte Wer trinkt schon Tomatensaft? und macht sich Richtung nach Hause. In den strömendem Regen würde sowieso niemand ihre Tränen bemerken. Und das Kleid war nicht mehr zu retten.

Sie schließt ihre Augen und setzt ihre nächste Pinsel Farbe an.

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