hellbraun - Vertrauen

9 3 0
                                    

Das Wasser donnerte gegen die Felswand, die den massiven Druck der Wellen problemlos standhielt. Ich beobachte das Szenario, während die Abendsonne ihren Weg nach unten suchte. Doch das angenehm Kribbeln auf der Haut, das durch die Wärme entstand, blieb. Ein Blick in die Seite verriet mir, dass mein bester Freund die untergehende Sonne ebenfalls genoss. Und obwohl der Augenblick gerade perfekt schien, erfüllte mich der Anblick von Lenn mit einer großen Traurigkeit.
Lenn.
Mein bester Freund. Und das nur, weil er mir im Kindergarten ein Lollipop mit Coca Cola Geschmack geschenkt hatte. Den hatte ich zwar nach kurzer Zeit in den Sand gesetzt, aber die freundschaftliche Geste hatte uns zwei zusammengeschweißt. Wir verbrachten die ganze Kindergartenzeit zusammen. In der Grundschule dann, kam wir in getrennte Klassen. Doch das stand unsere Freundschaft nicht im Weg. Wir beherrschen die ganze Schule. Uns gab es immer nur im Doppelpack. Lenn und Fynn. Wir planten gemeinsam, wie wir die Welt erobern würden.
Doch wie jede Freundschaft mal, erlischte auch unsere. Das Feuer brannte nicht mehr. Und wir waren jung und dumm, tat nichts um dieses Feuer wieder an zu bekommen. Liefen stattdessen im Dunkeln unseren Begierden nach.
Lenn war beliebt. Oh ja, jeder liebt ihn. Er war einfach Lenn, er war toll. Einer von denen, die mit so einer coolen Lederjacke rum liefen. Lenns war hellbraun, nicht schwarz. Den Lenn war cooler als einer von denen. Er fing an Fußball zu spielen, war sogar richtig gut. Er war ein Fussballgott an unserer Schule. Lenn verarsche keine Mädchen und war zu jedem immer hilfsbereit. Wie gesagt, Lenn war toll.
Ich dagegen war eine Niete. Nach dem Lenn meine Seite verlassen hatte und wir uns nicht mal mehr ein Gruß auf dem Schulflur Wert waren, wurde ich unbeliebt. Aber das kann ich verstehen. Mit Lenn neben mir hatte ich wenigstens etwas Coolness. Doch nun?
Ich war mehr so ein Stubenhocker. Ich hasse frische Luft, hasste Sport und hasste die Sonne. Doch am meisten hasse ich Fußball. Fußball und Bälle. Oh, wie sehr ich diese Bälle hasste. Ich stecke meine Nase lieber in Bücher. Ich male unglaubelich gerne. Nichts, was einen coolen Jungen an unserer Schule ausmachte. Doch irgendwie war es am Anfang okay so. Ich kommte damit klar, im Sportunterricht immer als letztes gewählt zu werden, auf dem Pausenhof immer allein zu stehen und bei Gruppenarbeit immer unerwünscht zu sein. Ich redete mir ein, dass ich damit klar kommte. Doch merkte nicht wie meine Bilder immer dunkler und farbloser wurden. Und da das Leben manchmal die Einstellung eines Arschlochs hatte, von wegen Er liegt am Boden, tritt noch mal zu, verlor ich mit 16 Jahren meinen Vater durch einen Autounfall. Mit dem Ereignis hatte ich aufgehört mit jedem zu reden, was sowieso nicht wirklich auffiel, da ich schon so sehr zurückgezogen lebte. Ich therapierte mich selbst mit meinen düsteren Bilder. Meine Nächte wurden länger. Die Schule schwänzte ich immer öfter. Nach einem oder zwei Monaten war ich den Depression so verfallen, dass ich über meinen eigenen Tod nachdachte. Ich vergaß in dem Moment, dass es Leute gab, die ich verletzen könnte. Menschen, die mich liebten und die ich alleine zurückließ. Ich vergaß, was der Tod von mein Vater mit mir getan hat. Ich vergesse alles. Ich verlor einfach die Lust zum Leben.
Bis eines späten Abends Lenn vor meiner Tür stand. Er grinste mich bloß schief an und sagte Wir wollten doch die Welt erobern. Wir müssen langsam einen Plan machen, sonst werden wir zu alt.
Ich hatte nicht zurück grinst. Ich hatte nichtmal etwas erwidert. Eine weitere Sekunde stand ich nur so, bis ich wortlos ein Schritt zur Seite ging und ihm so ermöglichte in die Wohnung einzutreten. Lenn trat ein. Im Flur zögerte er, zog aber seine Schuhe aus und ging Richtung meinem Zimmer. Ich folgte ihm, überrascht, dass er noch wusste wo es lang ging. Dort angekommen, stand Lenn erst mal hilflos mitten im Raum, es dauerte Minuten, dann brach er in Tränen aus. In dem Moment schmolz auch mein eisernes Herz und ich nahm ihn in den Arm. Ich weiß bis heute nicht, was es damals war, dass ihn so emotional berührt hatte. Ob es die Bilder an der Wand waren, die von mir in meinen dunkelsten Stunden gemalt wurden oder die paar Fotos mit meinem Vater und mit Lenn selber. Oder vielleicht auch die drei Packungen Schlaftabletten, die auf meinen Nachttisch lagen und darauf warten, heute Nacht alle zusammen eingenehmen zu werden. Denn in dieser Nacht wollte ich allem ein Ende setzen. Ich weiß auch nicht, was Lenn ausgerechnet in dieser Nacht dazu entschlossen hatte an meine Tür zu klopfen und mir somit das Leben zu retten. Lenn blieb die ganze Nacht und wir redeten. Wir redeten viel. Und es tat so gut. Lenn hatte mich mit der Zeit aus meinem Loch geholt. Wir wurden unzertrennenlich, noch mehr als früher. Es war mehr als Freundschaft. Er war meine Familie. Mein Lebensretter. Mit jeder Sekunde, die er bei mir ist, baut er mich auf.
"Fynn?"
Lenns sanfte Stimme riss mich aus den Träumen der Vergangenheit. Ich schaute zu ihm rüber. Sein Blick ging stur geradeaus. Doch ich sah wie seine Augen leicht glitzerten, weil sie etwas zu feucht waren. Diese rehbraunen Augen, in denen sich jetzt gerade die untergehende Abendsonne spiegelt.
"Ich werde dich schrecklich vermissen, Fynn!"
Da war es. Dieses kleine etwas, das den eigentlich perfekt Moment zerstört.
"Ich werde dich auch vermissen."
Lenn schaute nun zu mir rüber.
"Es klingt so verrückt, dass das jetzt unser letzter Abend sein soll."
Morgen würde Lenn in einen Zug sitzen und sechs Stunden in den Norden fahren, um dort sein Studium zu beginnen.
Und ich? Ich werde in diesem Dorf in den wir groß geworden sind bleiben, ich werde hier alt und grau. Alleine. Lenn wird es leicht haben. Dort in der Großstadt findet er schnell neue Freunde. Er findet die Frau seines Lebens. Dort wird er sich heimisch fühlen. Ja, da kann man alt und grau werden. Glücklich.
Irgendwann, nicht sofort, aber irgendwann wird er mich vergessen. Er wird mich nicht mehr brauchen. In der Zeit versauere ich hier. Mit denen Menschen, die ich schon mein Leben lang kenne und die mich schon mein Leben lang nicht leiden können. Denn ich bin ja nicht Lenn, ich bin bloß Fynn.
"Dort wirst du wahrscheinlich nicht diesen Anblick haben. Das Meer, die Klippen, der Sonnenuntergang."
"Das werde ich auch vermissen." Lenn schaute wieder nach vorne. "Du wirst mich doch besuchen kommen? Sobald ich meine eigene Wohnung habe, musst du so oft wie möglich kommen!"
Lenn wusste das alles noch nicht. Er hoffte noch auf das Gute. Glaubte wirklich, wir bleiben für immer Freunde. Er konnte es nicht realistisch sehen. Und ich wollte seine Welt nicht kaputt machen.
"Aber klar, ich werde dauerhaft bei dir sein."
Doch sobald Lenn mit seinem Studium anfängt, wird er keine Zeit haben. Er wird viel lernen und nebenbei wird er seinen Nebenjob machen müssen. Ich werde in der Firma meines Stiefvaters anfangen. Denn meine Mutter sieht mich schon lange dort. Und weil mein Stiefvater mich für faul und ungebildet hält, wird er mich mit Arbeit bombardieren. Weder ich noch Lenn werden in der Zukunft Zeit füreinander haben.
"Du hättest einfach mitkommen sollen. Wir würden zusammen studieren und uns eine Wohnung teilen."
"Ach Lenn, das hatten wir schon."
"Ich weiß."
"Ich kann nicht. Ich kann sie nicht allein lassen."
Ich dachte an meine kleine Schwester, der ich versprochen hatte zu bleiben. Dass ich sie nicht, wie unser Vater, verlassen werde. Selbst meine Mutter würde es das Herz brechen, auch wenn sie es nicht zugeben würde.
"Und was ist mit dir und eine Zukunft?"
Mittlerweile war die Sonne schon untergegangen, doch Lenns braune Augen strahlten immer noch.
Ich hatte mein Leben schon lange aufgegeben. Der einzige Grund, warum ich noch kämpfte, ist dass ich dafür sorgen möchte, dass die Menschen, die ich liebte, glücklich sind. Lenn schafft es auch ohne mich, das weiß ich. Meine Mutter und meine Schwester schaffen es nicht. Das hatte ich schon mal versucht Lenn zu erklären, doch er verstand es nicht. Also schwieg ich jetzt auch. Doch das schien ihn nicht weiterhin zu stören, er hielt mich stattdessen sein kleinen Finger hin.
"Versprich mir, dass wir für immer Freunde bleiben."
Ich zögerte. Wünschen tat ich es, sehr sogar. Doch ich glaubte nicht daran. Lenn bemerkte mein Zögern.
"Fynn, ich werde dich nicht vergessen. Du wirst immer der wichtigste Teil meines Lebens bleiben. Komme was wolle."
Ich wollte ihn so sehr glauben. Denn ich wusste, das Lenn immer ein Teil meines Lebens bleiben würde. Er spielte die Hauptrolle in meiner Geschichte. Also setzte ich ein Grinsen auf, ließ etwas Liebe an mich ran und wickelte meinen kleinen Finger um seinen. Lenn erwiderte das Grinsen.
"Versprochen!"

Ich schließe meine Augen und setzte meine nächste Pinselfarbe an.

FarbenweltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt