Brandy #1 Am Zaun

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Diese Erinnerung ist die Geschichte eines Kindes, eine Mischung aus kindlicher Vergangenheit und erwachsener Gegenwart. Und genau so ist sie auch geschrieben.


Ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt, es war ein sonniger Herbstabend und ich war draußen vor unserem Haus und kritzelte mit Malkreiden die Straße voll.

Meine Eltern saßen mit Freunden auf der Terasse, damit sie mich beobachten konnten, und tranken Wein. Unser Haus war nicht das kleinste und wir wohnten in einem eher reicheren Viertel. Ich hatte hier eigentlich keine Freunde außer Melanie, aber ich mochte sie nicht und sie mich nicht, nur unsere Eltern konnten sich recht gut leiden. Sie wohnte nur ein paar Häuser weiter in einer, ja, man könnte Villa sagen.

Mein einziger Freund war Thomas aus dem Kindergarten, doch er wohnte nicht bei uns im Viertel und Mama hielt nichts davon, dass ich nachmittags mit meinen Freunden spielte, wenn ich sie den ganzen Vormittag schon gesehen hatte. Sie mochte Thomas nicht, vermutlich weil er nicht aus dem Reichenviertel kam, aber ich verstand es damals nicht.

Gegenüber von unserem Haus, über die Straße, auf der ich saß, drüber und ein Stück über eine Wiese war ein eingezäunter Bereich. Der Zaun war viel zu hoch um darüber zu klettern, sogar für einen Erwachsenen.

Ich wusste nicht was dahinter war, jeden den ich gefragt hatte, hatte mir verboten dorthin zu gehen, sogar Oma und Opa. Und bei denen durfte ich immer alles, sogar Schokolade nach dem Frühstück.

Niemand hatte mir erlaubt die Wiese zu überqueren, auch mit unserer Hünding gingen wir immer in die andere Richtung spazieren. Aber ich hatte mitbekommen, dass die Erwachsenen den Grund, warum der Zaun dort stand, nicht mochten. Ich durfte mal wieder nicht mitreden.

An besagten Abend war mir langweilig, ich malte doch immer mit Kreiden, es war niemand da zum Spielen und ich beschloss, sobald meine Eltern wegsehen würden, würde ich auf Entdeckungsreise gehen. Zu dem Zaun.

Es dauerte zu meinem Vorteil nicht sehr lange und ich lief mit flinken kleinen Schritten über die Straße und über die Wiese bis ich den Zaun von weitem sah. Das war das Nächste, wie ich bisher herkommen durfte, halt nur mit einem Erwachsenen. Langsam bewegte ich mich auf den Zaun zu.

Hinter dem Zaun konnte man Häuser erkennen, keine richtigen Häuser, es waren eher Buden oder Zelte, und dort lebten Menschen, das sah ich von Weitem. Am rechten Rand der Wiese ging ein Feldweg zu einem offenem Tor, doch es wurde von einem großem, breitem Mann bewacht.

Ich kratzte meinen Mut zusammen und lief auf das Tor zu, nur um vor dem Wachmann langsamer zu werden und von unten zu ihm aufzublicken. Einen Moment musterte er mich, dann wurde sein Gesicht weich. Ich wusste nicht was ihn dazu veranlasst hatte, aufeinmal zu lächeln, aber er tat es.

"Was machst du denn hier?" er beugte sich zu mir herunter
"Laufen" sagte ich eingeschüchtert. Sein riesiges, fettes Gesicht mit schwarzem Bart schwebte direkt über meinem.
"Und wo kommst du her?"
"Aus dem weißen Haus. Da hinten" ohne mich umzudrehen deutete ich über die Schulter.

"Und was suchst du hier?" der unheimliche Mann blickte wieder zu mir, nachdem er kurz zu unserem Haus gesehen hatte.

"Freunde" war meine einfache Antwort. Der Mann fing an zu lachen. Laut und grölend, und so doll, dass sein dicker Bauch auf und ab hüpfte. Wie eine Mischung aus Kaminkehrer und gruseligem Weihnachtsmann sah er jetzt aus.

"Geh wieder heim. Hier wirst du keine Freunde finden, Kleiner"

Ich verstand nicht warum, ich hatte auf der anderen Seite Kinder entdeckt und doch gehorchte ich und drehte mich um. Doch ich lief nicht nach Hause, sondern auf der Wiese weiter, bis ich den Mann nicht mehr sehen konnte. Am Zaun entdeckte ich ein paar Kinder, die miteinander spielten. Sie sahen so vertieft aus, ich wollte sie nicht stören und rannte ein paar Meter weiter und setzte mich mit dem Rück an den Zaun und sah in die Ferne. Ich war kaputt von dem anstrengenden Tag und wollte nur noch eine Pause machen.

Roadtrip Oneshots (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt