Kapitel 3

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"Also würde es euch nichts ausmachen, wenn ich allen sagen würde, dass ihr zwei Geschwister seid." brummt Levi und wir sehen ihn an. Gleichzeitig kommt ein Schulterzucken und ein gemeinsames: "Nein." folgt auf dem Fuß. "Ausserdem..." fängt Erwin an und setzt sich auf den Schreibtisch. "Bist du eh nicht die Art von Person, die alles umherposaunen würde!" meint er und ich nicke zustimmend. Dann hebe ich meine Füße, die nur mit Socken bekleidet sind, lege sie auf den unteren Teil des Rückens meines Bruders und schiebe ihn vom Tisch. "Und jetzt ab! Runter mit dir! Dein Hintern verschandelt meinen armen Schreibtisch!"

"Mein wunderbarer Hintern wertet das Stück Holz auf Schwesterherz!" erwiedert er, steht aber auf und geht zum Corporal. "Das einzige, was dein Hintern auf Holz aufwerten würde wäre, wenn er genagelt über dem Kamin hinge, weil du wieder irgend ne scheiße gebaut hast..." murmle ich leise und Erwin sieht zu mir. "Hast du was gesagt?" fragt er und ich grinse ihn übertrieben freundlich an. "Aber nicht doch Bruderherz! Du kennst mich doch! Ich würde nie hinter deinem Rücken über dich lästern und mich gar über deinen Hintern aufregen! Was wäre denn das für eine hinterlistige Aktion? Und dann noch über den Kommandanten!"

Erwin weiß GENAU, was abgeht und geht zur Tür. "Ich werde mich um weitere Pläne kümmern." Mit einem wissenden Blick sieht er mich an. "Und zwar VOR einem Kamin!" Ich breche erst in schallendes gelächter aus, als die Tür in das Schloss fällt. Mein Kopf liegt auf der Tischplatte und ich krieg mich kaum noch ein. Mein Bauch und mein Kopf tun schon weh, von dem ganzen gelache und ich will nicht wissen, was Corporal Ackermann denkt, da er mich gerade beobachtet. Ich lehne mich breit grinsend an die Lehne und streiche mir durch meine Haare. "Ich merke langsam, dass ihr entweder wirklich geschwister sein müsst, oder ein Liebespaar, dass sich verdammt gut verstellen kann."

Ich sehe zu dem schwarzhaarigen und lege den Kopf schief. Dann stehe ich seufzend auf und werde ernst. "Mein sehr geehrter Herr Corporal Levi Ackermann. So einen Volltrottel wie meinen Bruder würde ich nicht freiwillig als meinen Freund oder Mann haben wollen." antworte ich und sehe ihn leicht wütend an. "Aber sollte ihn jemand ausser mir Volltrottel oder sonst irgendwas nennen, dann Gnade ihm Gott. Denn ich bin diejenige, die sich mit Medizin auskennt. Ich weiß, wie man Schmerzen bereiten kann, von denen andere nicht einmal eine Ahnung haben, dass sie existieren." Ich stelle mich neben den Corporal und sehe in die entgegengesetzte Richtung. "Ich werde zum Teufel, wenn man meiner Familie unrecht tut. Ich konnte weder Mama noch Papa beschützen. Aber bei Erwin werde ich alles dransetzen."

Ohne ein weiteres Wort, gehe ich zu Hanji und kontrolliere alles. Aber zum Glück hat sie kein Fieber oder andere Anzeichen dafür, dass sie eine Infektion hätte. Die Pupillen haben beidseitig eine gleiche Reaktion und ich nicke zufrieden. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass der schwarzhaarige mich noch kurz mustert, bevor er aus dem Zimmer geht und mich mit Hanji alleine lässt. Wobei Hanji immer noch nicht ansprechbar ist und 'Allein' ein sehr gutes Wort ist. Seufzend richte ich mich auf und gehe zum Fenster. Nachdenklich sehe ich nach draussen. Die Sonne scheint auf die grüne Wiese. Weiße Wolken ziehen am blauen Himmel vorbei. An sich ist er perfekt! Aber...

Mit einem schmerzvollen Gesichtsausdruck drehe ich mich um und gehe aus dem Krankenzimmer. Schnurstrackst führt mich mein Weg zu Erwin, der wieder in seinem Büro hockt. Tief versunken in irgendwelche Pläne. "Erwin? Es ist so weit." sage ich leise und er schreckt hoch. Mein Bruder scheint nicht gehört zu haben, dass ich in das Zimmer gekommen bin. Aber als er mich sieht, nickt er und lächelt sanft. "Alles in Ordnung?" fragt er und ich schlucke schwer. "Könnte nicht besser sein." antworte ich monoton. "Pass bitte auf Hanji auf." brumme ich noch und gehe wieder aus meinem Zimmer.

Was mir meine gute Laune so vermiest? Es ist mein Geburtstag. Und der Tag, an dem unsere Eltern starben. Unsere Mutter bei meiner Geburt. Unser Vater ebenfalls an meinem Geburtstag. Es war nicht schön. Aber ich lernte, damit umzugehen. Gezwungenermaßen! Als man ihn in einer anderen Stadt fand, war es einfach nur niederschmetternd. Ich habe nicht einmal deswegen geweint. Ich konnte nicht! Auch, wenn ich die kleine Schwester bin. Ich wollte stark sein. Für Erwin! Also lies ich den Tod  nie nah genug an mich heran, als dass ich in Tränen ausbrach. Und nach dieser langen Zeit habe ich die Gefühle so tief vergraben, dass ich wohl nie wieder an sie herankommen werde.

Ich gehe in mein Zimmer und ziehe mich um. Aus der Militäruniform des Aufklärungstrupps, wird eine schwarze lange Hose, schwarze Schuhe und ein weißes Hemd. Ich streiche mir durch meine kurzen braunen Haare und atme tief durch, ehe ich entschlossen aus meinem Zimmer gehe. Die langen Gänge kommen mir an Tagen wie diesen immer endlos vor und ich habe das Gefühl, als würden sie sagen, dass ich mich ja doch noch umentscheiden könnte. Dass ich einfach umkehren könnte. Aber ich schüttle nur den Kopf und gehe weiter. Muss mich zusammenreissen, damit ich hier niemanden ansehe, als wolle ich ihn oder sie töten. Mit schnellen Schritten gehe ich aus dem Hauptquartier und laufe schon fast in Richtung Stall.

Dort satteln gerade die anderen des Aufklärungstrupps ihre Pferde. Eren erblickt mich und lächelt mir fröhlich zu, während ich nur mit emotionslosem Ausdruck zurück nicke. Ich gehe in den Stall, zu meinem eigenen Pferd. Mein Hengst steht ein wenig weiter hinten und streckt schnaubend seinen Kopf heraus, als er mich kommen hört. Ich lege eine Hand auf seine warme und weiche Schnauze und er klopft ungeduldig mit den Hufen auf. Sein schwarzes Fell ist verstaubt und ich gehe zu ihm in die Box. Dort habe ich in einer Kiste sein eigenes Putzzeug und bringe ihn wieder auf hochglanz. Genießend, lässt er den Kopf hängen und winkelt eines seiner Hinterhufe an.

Nach dem Putzen mache ich die Boxentüre auf und er geht auf die Boxengasse. Seine Hufe klappern bei jedem Schritt und ich brauche kein Zaumzeug oder Sattel. Ich habe meinen eigenen Stil, mit Tieren umzugehen und auch meinen eigenen Reitstil. Mit den Händen in den Taschen und meinem Blick auf dem Boden gerichtet, verlasse ich den Stall und sehe, wie die anderen mich verdutzt anstarren. Aber ich lasse es und sehe nur, wie der Corporal auf mich zukommt. Seine Stimme ist leise, als er sich vor mich stellt und mich aufhält. "Was machst du hier Sera. Du musst dich um Hanji kümmern." Ich hebe meinen Kopf und lege meinen Kopf schief. Meine Stimme ist laut und kalt. Hat nichts mehr mit meinem eigentlichen Ich zu tun. "Hat Sie nichts anzugehen." erwiedere ich und will an ihm vorbeigehen, doch er hält mich wieder auf!

"Weiß Erwin davon bescheid?" fragt er und ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Ja. Und wenn Sie mich nicht durchlassen, werde ich zeigen, dass Pferde durchaus zu mehr da sind, als bloße Reittiere." Mein Hengst schnaubt und stampft hinter mir mit seinen Hufen auf. Ich habe ihn, seit er ein Fohlen ist und wir verstehen uns blind. "Halt den Gaul im Zaum!" knurrt er mit düsterem Gesichtsausdruck und ich gehe einen Schritt auf ihn zu. "Dann lassen Sie mich durch Corporal." antworte ich ruhig und er zögert, bevor er nickt. "Aber nur, weil du die Schwester des Kommandanten bist." murrt er leise und ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Ist ja nett." brumme ich und drehe mich zu meinem Hengst. Ich greife in seine Schneeweiße Mähne und bin mit einem Satz auf dem Rücken. Ungeduldig schnaubt er und spielt mit seinen Ohren. Ich seufze und klopfe ihm auf den Hals. "Alles gut großer." murmle ich und drücke nur ganz leicht mit meinen Oberschenkeln. Doch das reicht, um ihn in bewegung zu setzen und vor einem verblüfften Aufklärungstrupp entlang zu reiten, bevor ich meinen Hengst in einen schnellen Gallopp fallen lasse.

Der Doktor der verrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt