Kapitel 12

3.2K 165 1
                                    

So vergehen die nächsten Wochen. Hanji ist wieder auf den Beinen und es kommt zu keinen weiteren peinlichen Begegnungen zwischen Levi und mir. Hauptsächlich, weil wir uns aus dem Weg gehen. Ich gehe öfters mit Mika spazieren oder ich reite mir ihm aus. Besuche die Stadt und verbringe meine Zeit wie so oft mit meiner Nase zwischen den Seiten irgendeines Buches. Es ist also recht ruhig, bis auf die typischen Einsätze meinerseits, wenn wieder irgendjemand kleinere Verletzungen hat, die er sich meist bei irgendwelchen Übungen zuzieht. Aber lieber jetzt, wenn ich noch da bin, als dass dann während der Mission passsiert.

Ich sitze wieder hinter meinem Schreibtisch, knabbere ein paar Nüsse, bis die Tür auffliegt und Erwin herein stürmt. "Wir brauchen dich!" ruft er und ich springe auf. "Was ist los?" frage ich, schnappe mir meinen Koffer und laufe gleich hinter ihm her. "Anna wurde auf dem Weg hier her angegriffen und schwer verletzt!" Ich schlucke. Anna ist in den letzten Wochen immer wieder hier her gekommen und hat uns mit Chloe besucht. "Scheiße..." fluche ich leise und wir laufen so schnell es geht. Schließlich scheint es hier um Leben und Tod zu gehen. "Chloe?!" frage ich und wir rasen um die Ecke, ehe wir nach draussen gelangen.

"Ihr geht es soweit gut!" meint Erwin und wir erreichen den Ort, der mit allen möglichen Leuten umringt ist. "BEWEGT EURE ÄRSCHE AUF DIE SEITE!" brülle ich und erschrocken wird mit Platz gemacht. Anna sieht schrecklich aus. Überall abschürfungen und offene Wunden. Sie ist bewusstlos und ich knie mich neben ihr hin. "Bringt die kleine Weg. Sie sollte ihre Mutter nicht so sehen!" befehle ich und die schreiende und weinende Chloe wird ein wenig abseits gebracht, wo sich um sie gekümmert wird. Ich hingegen öffne meinen Koffer und versuche, das Leben von Anna zu retten. Denn ist schlimmer, als es aussieht!

Nach einer halben Stunde lehne ich mich zurück und sehe mit ausdruckslosem Gesicht auf die blasse Frau mit den schwarzen langen Haaren. "Mach weiter!" ruft Erwin und ich sehe langsam zu ihm auf. Meine Hände sind klitschnass vom ganzen Blut und meine Kleidung sieht nicht besser aus, da ich meine Hände an dieser abgewischt habe. Anna ist verblutet. Sie hatte innere Verletzungen und ich konnte sie nicht stoppen. Ich war zu spät. "Sie ist tot Erwin. Ich war zu spät." sage ich monoton und von hinten wird ein weißes Tuch durchgereicht, dass ich über den Körper von Anna lege.

"Wieso..." fragt Erwin und ich stehe auf. Er nimmt mich an meinen Schultern und sieht mich stinksauer an. "Wieso hast du sie nicht retten können?!" seine Stimme ist schon fast weinerlich. Gebrochen. Überschlägt sich. "Die innere Blutung war zu weit fortgeschritten, als dass ich noch etwas hätte machen können." erwiedere ich und will weggehen! Doch mein Bruder hält mich fest. Doch bevor er zu weiteren Vorwürfen ansetzen kann, werden seine Hände von meinen Schultern gelöst und Levi hält ihn fest. "Sie konnte nichts dafür. Gib deiner Schwester nicht die Schuld dafür, dass sie tot ist." Ich hätte den schwarzhaarigen jetzt gern umarmt. Aber ich bin voller Blut und er ein penibler Ordnungs- und Sauberkeitsfreak. Stattdessen nicke ich ihm nur zu und gehe weg.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon gegangen bin. Keine Ahnung, welche Wege ich eingeschlagen habe. Aber schlussendlich bin ich auf einer bestimmten Lichtung angekommen. Mit zwei Gräbern und einem Fluss. Mein Blick geht in die ferne und ich gehe auf den Fluss zu. Mein Kopf ist leer. Nichts ist gerade darin. Oder zu viel und ich kann keinen Gedanken fassen. Ich bin mir nicht sicher. Langsam trete ich an das Ufer und gehe in das kalte und klare Wasser. Setze mich hin und schließe die Augen. Das Wasser geht mir bis kurz über meinen Bauchnabel. Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus. Die kälte fängt an zu brennen und zu stechen.

Doch anstatt raus zu gehen, schütte ich mir das Wasser auch über meinen Kopf. Das angetrocknete Blut wird langsam herunter gewaschen und ich bin nun überall nass. Eigentlich sollte man frieren. Doch ich nicht. Naja. Eigentlich schon. Denn ich zittere. Aber ich nehme die kälte nicht wirklich wahr. Reagiere ich bei jedem Patienten so, den ich verliere? Nein. Aber der vorwurfsvolle Blick von Erwin und die Vorwürfe, die er mir gemacht hat, sind ein anderes Kaliber.

Keine Ahnung, wie lange ich schon so dasitze. Alleine. Im kalten Wasser. Aber es ist nicht mehr kalt, sondern irgendwie angenehm warm geworden. "Komm da raus!" ruft eine Stimme, doch ich reagiere nicht wirklich. Starre einfach nur nach vorn. Ich mache auch nichts, als mich jemand am Arm packt und mich aus dem Wasser zieht. "Scheiße. Du bist eiskalt!" knurrt dieser jemand und ich sehe ihn endlich an. Levi sieht mich mit düsterem Blick an und legt mir dann seinen grünen Umhang um. "Bist du völlig verblödet?!" brummt er und rubbelt an meinem Körper, sodass dieser wieder ein wenig wärme bekommt.

Mir ist egal, was er denkt. Also lehne ich mich an ihn und lege meinen Kopf an seinen. Wir sind ungefähr gleich groß. Oder ich einen ticken größer. Ich lege meine Arme auf seinen Rücken und vergrabe dann mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Will nichts mehr sehen, hören oder spüren. Levi seufzt und rubbelt an meinem Rücken. "Wie kann man sich nur so gehen lassen. Du wirst hier gebraucht. Und du hast schon mehr als diese eine verloren!" Ich glaube, dass er auf eine recht unsensible Art und weise sagen will, dass es doch gar nicht so schlimm ist. Das ich das schin irgendwie schaffe.

"Sie haben keine Ahnung, mit welchem Hass er mich angesehen hat. Mit welchem Hass in seinen Augen er mich angeschrien hat." murmle ich und er stockt, bevor er weiter macht, mich aufzuwärmen. "Ich wurde öfters so angesehen als du. Und lasse ich mich davon jedesmal runterkriegen? Nein." Eine kurze Pause entsteht. "Du hast nicht die toten und zerfetzten Körper deiner einzigen Freunde gesehen. Wie sie dich mit ihrem abgetrennten Kopf ansahen, als würden sie dir die größten Vorwürfe machen. Diese Ohrenbetäubende stille."

Der Doktor der verrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt