18

39 6 0
                                    

Auf dem obersten Absatz kam ich zum stehen.

Meine Beine taten weh. Auf so viele Treppen, war ich alles andere als vorbereitet gewesen.

Vor mir befand sich die besagte Tür von der du gesprochen hattest.

Ein gelbes Schild mit der Aufschrift 'Betreten Verboten' klebte darauf. Außerdem ein Graffiti und einige Unterschriften.

Du hattest mich heute Nachmittag angerufen und mich beim 'mich selber hassen' erwischt. Wir hatten uns verabredet und du hattest darauf bestanden, das ich dich auf dem Dach des Wohnblocks treffen würde, an das wir vor einigen Wochen das Graffiti gesprüht hatten.

Es hatte eine Weile gebraucht in das innere des Gebäudes zu kommen doch ich hatte es geschafft.

Meine Finger schlossen sich um die kalte Klinke. Mit aller Kraft, stieß ich die Tür auf und schlüpfte hindurch.

Vor mir erstreckte sich grauer Steinboden und ein dunkel werdender Abendhimmel. Mein Mund klappte auf.

Die Aussicht zusammen mit dem blau waren unglaublich. Wie ein gemaltes Bild. Jede kleine Wolke mit perfekten Pinselstrichen,  gezeichnet. Das blau war eine Mischung aus hell und dunkel und ließ mich fast glauben, ich befände mich in einem Traum.

Würde diese Aussicht jemals von einem Maler in einem seiner Werke festgehalten werden, würde ich es mir einrahmen.

Ich sah mich nach dir um.

Du saßt an der Kante des Daches. Deine Füße baumelten in die Tiefe. Ich ging auf dich zu und setzte mich neben dich.

Du sahst mich an und lächeltest.

Ein Kranz Gänseblümchen lag auf deinem Kopf. Der Wind wehte dir einige Strähnen deiner Haare auf die Stirn. Ich wünschte mir eine Kamera dabei gehabt zu haben, um deine Schönheit einzufangen. Doch ich hatte nicht einmal mein Handy mitgenommen.

Das leuchtende blau deiner Augen harmonierte perfekt zu dem Abendhimmel. Mit der Jeansjacke und dem gelben Shirt, gelang es dir mich zweifeln zu lassen, jemals einen schöneren Menschen gesehen zu haben.

"Hallo, British Boy." Deine Stimme klang weich als du diese Worte sagtest. Ich hatte dir erzählt das meine Mum aus England kam. Deshalb der Name.

Du wandtest deinen Blick wieder von mir ab, in die Tiefe vor uns.

Eine Frau mit Kinderwagen lief über den Rasen, der einige Meter des Gebäudes entfernt, wuchs. Ihre blonden Haare wehten im Wind. Sie Schob den Kinderwagen über den Bürgersteig und bog dann mit ihm in eine kleine Gasse ein.

Ich spürte deine Hand wie sie nach meiner Griff und sie sich ineinander verschränkten. Ich warf einen Blick darauf. Deine Fingernägel waren hellblau lackiert.

Deine Hand umklammerte meine fest, als hättest du Angst ich könnte dich loslassen. Ich musterte dich von der Seite. Deine Augen waren zusammen gekniffen während du in die Ferne starrtest.

"Du siehst gut aus." brachte ich schließlich über meine Lippen. Mir entging dein Lächeln nach diesem Satz keines Wegs. Der Druck um meine Hand wurde noch ein wenig stärker.

"Den Kranz hat mir Gulia gemacht." erklärtest du ohne mich anzusehen.

Du hattest mir schon öfter von Gulia erzählt. Sie war deine Schwester und saß seid sie sechs Jahre alt war im Rollstuhl. Jetzt war sie dreizehn und ihr beide verstandet euch unheimlich gut.

Wieder schwiegen wir und genossen die Aussicht.

Ich musste an meine Katze Fred denken. Sie war gestorben, noch bevor Mum ins Krankenhaus kam. Wir hatten sie hinterm Haus vergraben und Dad hatte ein Holzkreuz für ihr Grab ausgesägt.

Ich fragte mich, ob er mir auch so eins für Mums Grab machen würde. Wahrscheinlich nicht. Es würde nicht mal eine Gedenkfeier für sie geben. Dad wollte das nicht. Er konnte sich nicht von ihr verabschieden, deshalb ignorierte er solche Anlässe einfach.

Mum würde ein Grab bekommen. Dafür hatte Nathan gesorgt aber eine Beerdigung ließen wir aus.

"Woran denkst du?" fragtest du. Ich atmete tief durch.

"An das Grab meiner Mutter." antwortete ich ehrlich. Du nicktest. "Mir ist kalt."

Ich war dir dankbar das du nicht weiter auf meine Aussage eingingst. "Mir auch." antwortete ich.

Ich sah zu dir. Du hattest dich in deine Jacke gekuschelt. Deine Wangen waren gerötet sowie deine Nasenspitze. Trotzdem machte keiner von uns Anstalten aufzustehen und das wollte ich auch gar nicht. Dafür war es viel zu schön.                                          

"Hast du dir schon mal vorgestellt wie es sein würde, wenn ich ein Mädchen wäre?" Dein Blick wanderte zu mir. Du sahst Todernst aus. Ich runzelte die Stirn.

"Nein." antwortete ich. "Wieso sollte ich?"

Du zucktest mit den Schultern und eine Weile war es still, in der du wieder gerade aus schautest und ich dich dabei beobachtete.

"Wenn es so wäre" dein Kopf drehte sich wieder zu mir. "würdest du dich dann in mich verlieben?"

Die Frage überraschte mich und ich nahm mir einige Momente um darüber nachzudenken.

"Vielleicht. Keine Ahnung." brachte ich schließlich heraus und schluckte. Das blau deiner Augen fing das braun von meinen auf. Deine Lippen waren einen Spalt geöffnet und eine Strähne deiner Haare wurde dir auf die Stirn geweht.

"Ich würde es." deine Stimme war nicht viel mehr als ein Hauchen.

"Ich würde mich in dich verlieben." Mein Herz schlug schneller und eine Hitzewelle überkam mich.

Ich verlor mich in dem tiefen blau deiner Augen. Sie waren blauer als alles was ich je gesehen hatte. Gegen ihre Farbe wirkte alles andere farblos und langweilig.

Dein Kopf bewegte sich einen Millimeter in meine Richtung. Oder hatte ich es mir nur eingebildet?

Ich bekam kaum noch Luft und hatte das Gefühl jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren.

Wieder kamst du mir näher. Diesmal war ich mir ganz sicher.

Deine winzigen Sommersprossen, vielen mir erneut auf. Ich wusste nicht mehr wo unten und oben war und fixierte mich ganz auf dich.

Kurz huschte mein Blick von deinen Augen zu deinen vollen, roten Lippen, ehe ich mich nach vorne lehnte und sie mit meinen verband.

Es war eine Kurzschlussreaktion doch das Gefühl, das mich überrollte war unglaublich. Mir wurde warm und alles tobte in meinem Körper. Meine Hände legten sich an deine Wangen und ich seufzte leise.

Es war kein leidenschaftlicher Kuss. Wir saßen einfach dort und drückten unsere Lippen aufeinander.

Kurz öffnete ich die Augen um sicher zu gehen, das deine geschlossen waren. Und das waren sie also tat ich es dir wieder nach.

Die Finger deiner rechten Hand schlossen sich um mein Handgelenk während, die deiner linken sich auf meine Schulter legten.

Der Kuss war berauschend und wunderschön.

Die Zeit blieb stehen und für einen kurzen Moment konnte ich die negativen Gedanken aus meinem Kopf verbannen.

Ich wusste nicht ob dir der Kuss soviel bedeutete wie mir und es war mir eigentlich auch ziemlich egal denn alles was für mich zählte, warst du, wie du deine Lippen auf meine drücktest.

Langsam löste ich mich einige Zentimeter von dir und öffnete die Augen. Du tatst es mir nach.

Mein Herz hämmerte immer noch wie verrückt gegen meine Brust.

Du holtest tief Luft um etwas zu sagen, doch brachtest nicht mehr als ein leises Quietschen heraus. Ich konnte deinen Atem auf meiner Haut spüren und ehe ich die Situation deuten konnte, lagen deine Lippen schon wieder auf meinen und bewegten sich dieses mal vorsichtig.

Just for a Moment || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt