Bettlägerig

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Und heute möchte ich einfach in meinem Bett liegen bleiben und mich unter der Bettdecke verstecken. Mich unter der Bettdecke verstecken, wie ich es schon früher als kleines Kind getan habe. Als kleines Kind, wo die Nacht noch das Böse war, die Zeit, zu der die Monster aus ihren Verstecken kommen.
Und heute? Heute habe ich Angst vor dem Tag, tagsüber raus zu gehen und mit Menschen zu reden. Zu Reden. Reden mit meinen Mitmenschen, die mir von ihren Erfolgen erzählen, reden mit meinen Freunden, die mir von ihren Erlebnissen berichten, reden, über meine einseitigen Wochenenden, die ich damit verbringe im Bett zu bleiben.

Im Bett bleiben. Heute möchte ich einfach in meinem Bett bleiben und nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen. Am Besten auf gar kein Klischee oder eine Meinung über mich treffen. Auf keinen Menschen. Niemand der mich behandelt wie ein Unruhestifter, da ich Dinge, die schon immer so gemacht wurden hinterfrage. Niemand der mich behandelt wie ein Kind, welches denkt es wäre erwachsen, denn auch ich habe in meinem Alter schon Erfahrungen gemacht. Niemand der mich behandelt, wie ein Sorgenkind, da ich tagelang in meinem Bett liege.

In meinem Bett liegen und an Nichts denken. Und während ich an Nichts denke, denke ich darüber nach, an was ich alles denken könnte. Könnte daran denken, was ich morgen machen kann, was ich noch alles machen muss, was ich ihm zum Geburtstag schenken kann und was ich hätte alles mit diesem Tag machen können, anstatt in meinem Bett zu bleiben.

In meinem Bett bleiben und mich einmal ausruhen. Ausruhen von all den Ängsten und Pflichten, von der unglaublich großen Verantwortung die ich für mich selber habe. Von den Erwartungen die für meine Leistungen zu groß sind. Ausruhen von dem Wissen zu scheitern. Zu scheitern. Scheiter daran, woran alle dachte, dass ich scheiter. Scheiter daran aufzustehen und bleibe in meinem Bett liegen.

Bleibe in meinem Bett liegen und zähle das Ticken des Zeigers, die Nachrichten, die ich bekomme. Die Nachrichten, die ich alle lese, doch auf welche ich nicht antworte. Zähle all die Kriterien, wie ich sein muss. Muss perfekt sein, muss intelligent sein, für alle da sein und immer erreichbar sein. Muss gut aussehen, stark sein und erfolgreich sein. Muss ein Vorbild sein und muss funktionieren. Muss funktionieren, denn ich darf nicht essen und nicht trinken, nicht sterben und nicht leben. Nicht einen Abend aus der Reihe tanzen, einfach mein Leben lassen und früh morgens erschöpft in mein Bett fallen lassen.

Mich in mein Bett fallen lassen. Mich in mein Bett fallen lassen und mich von Decken und Kissen, welche sich im Laufe der Zeit angesammelt haben bedecken lassen. Bedecken und umschließen lassen von der Gegenwart. Sein wie ich will, machen was ich will, glauben woran ich will und will was ich will. Und gerade ist mein größter Wille einfach nur, dass ich aus diesem beschissenen Bett rauskomme und wieder auf die Menschen um mich herum zu gehe.

Die Menschen um mich herum, denen es entweder total egal ist, wie es mir geht oder es nicht verstehen. Es nicht verstehen, auch wenn sie glauben es zu verstehen. Was sie verstehen ist, wenn man mal einen ganzen Tag im Bett verbringt, weil man einfach müde ist oder keine Lust hat. Aber genau das ist der Punkt. Ich bin nicht müde und ich habe Lust etwas zu machen, aber ich habe auch Angst.

Angst davor, mir selbst einzugestehen, dass ich das eigentliche Problem bin. Aber bei mir ist sowieso alles viel komplizierter als bei allen anderen. Bei mir wurde strenger bewertet, bei mir kann mich der Lehrer nicht leiden, und bei mir war es einfach ein schlechter Tag.
Ein schlechter Tag, ein falscher Tag, ein falscher Moment. Ein falscher Moment um meine offensichtlichen Lügen aufzudecken.

Aufdecken. Versuche die Decke von meinem Körper zu beseitigen, doch die Kissen und die Decken erdrücken und ersticken mich, nehmen mir die Luft zum Atmen und dämpfen meine Schreie. Meine Schreie nach Hilfe, Schreie um mich selbst wieder in die Realität zurück zu holen, Schreie, damit jeder weiß, dass es mich noch gibt. Mich noch gibt in diesem Bett.
In diesem Bett, neben dem Teetassen, Kaffeetassen, Wasserflaschen und Taschentücher geordnet sind, um nicht auch noch den letzten Überblick zu verlieren und wenigstens etwas Struktur in meinem Leben zu haben. Struktur, die mir fehlt. Offensichtlich fehlt. Offensichtlich...

Es ist alles so offensichtlich. Meine Ausreden, meine Angst. Offensichtlich dass ich es nicht schaffe aus diesem Bett aufzustehen. Offensichtlich, dass es in diesem Text nicht um ein Bett geht. Offensichtlich, dass ich alle anlüge.
Denn wie soll ich Abends um 8 Uhr müde sein, wenn ich den ganzen Tag geschlafen habe und wie soll ich tagsüber müde sein, wenn ich die Nacht geschlafen habe?
Wie soll ich jemals wach werden, wenn ich nicht aus diesem Bett aufstehe?

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