Der Tag, an dem defekt besser war als nichts.

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Da ich meinen Schlüssel zum Haus vergessen hatte, konnte ich nicht durch die Haustür. Und klingeln wollte ich auch nicht, denn vielleicht schlief mein Vater noch, es war schließlich Samstag. Dann würde ich auch keinen Ärger bekommen, weil er nicht merken würde, dass ich zu spät war.

Falls ich mich nicht irrte, hatte ich mein Zimmer gerade gelüftet, als Daphne aufgetaucht war. Allerdings lag dieses im ersten Stock, wie sollte ich dahin kommen?

Nachdenklich lief ich in den Garten und schaute mich nach einer Lösung um. Da stand ein Baum, welcher einen Ast direkt neben meinem Fenster hatte, doch der unterste Zweig war schon sehr hoch, sodass ich nicht rankommen würde. Mein Blick fiel auf das Gartenhaus. Vielleicht war da irgendetwas zum Draufstehen drin?

Tatsächlich fand ich im alten Holzgehäuse einen verstaubten Hocker, welcher nur noch drei Beine hatte und wohl zur Reparatur hier hin gestellt wurde. War trotzdem besser als nichts.

Nachdem ich den Sitz in die weiche Erde gebohrt hatte, stellte ich mir vorsichtig drauf und versuchte mein Gewicht so zu verlagern, dass ich nicht hinfiel. In meinen Vorstellungen hatte das irgendwie viel einfacher gewirkt.

Ich taumelte und griff schnell nach dem Stamm, damit mein Hintern nicht das grüne Gras küsste. Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, versuchte ich mich an dem Stamm, der knapp dreißig Zentimeter über meinem Kopf wuchs, hochzuziehen. Aber ich hatte die Rechnung ohne meine mickrigen Armmuskeln gemacht. Stöhnend ließ ich den Kopf hängen. Wie doof ich aussehen musste. Es regnete immer noch in Strömen und ich stand wie ein begossener Pudel auf einem dreibeinigem Hocker.

,,Pass auf, dass du nicht runterfällst, Äffchen''

Überrascht schaute ich zur Terrassentür, in welcher mein Vater stand und mich belustigt anblickte. Er war also nicht wütend. Erleichterung übermannte mich und ich versuchte herunterzusteigen, doch irgendwie rutschte ich auf dem Stuhl aus, sodass dieser umfiel und ich mehr als einen Meter über dem Boden baumelte. Erschrocken quickte ich auf und versuchte mich besser festhalten zu können, allerdings war der Stamm ziemlich breit, sodass es nicht sehr komfortabel war.

Wenn ich jetzt losließ, würde das wehtun?

Das nächste, was ich spürte, waren warme Arme, die sich um meine Hüfte schlossen und mich fest hielten. Überrascht ließ ich das Holz los und mein Vater duckte sich, bis meine Füße wieder unter festem Boden standen.

Erleichtert rieb ich mir die mittlerweile schmerzenden Handflächen und sah dankbar zu meinem Vater hoch. ,,Lass uns rein gehen, du wirst noch nass'' schlug ich vor, denn er hatte keine Sweatjacke von David an, die übrigens unglaublich bequem war.

Nickend drehte er sich um und nacheinander gingen wir in unser warmes Heim, ließen den kaputten Sitz im Regen stehen.

,,Du hättest auch einfach klingeln können'' Mein Vater ließ sich auf der Couch fallen.

,,Ich hatte Angst, dass ich Ärger bekomme, weil ich zu spät bin'' flüsterte ich leise.

Betreten fuhr er sich durch das langsam grauende Haar und starrte auf den ausgeschalteten Fernseher. ,,Selbst vom Charakter bist du wie sie. Es ist schon fast beängstigend''

,,Ich wünschte, ich würde das nicht. Glaub mir''

,,Mir war klar, dass du nicht bei deiner Freundin übernachten würdest. Man ist nicht so stur, dass man gleich den Vater der Person frägt, wenn es nur um so etwas geht. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, habe nichts getrunken und mir schreckliche Sorgen gemacht''

Sprachlos schaute ich den Mann an, bei welchem sich dunkle Ringe unter die Augen zogen. Zögernd schlich ich zu ihm und hauchte einen Kuss auf seine Wange. In dieser Situation schien es mir das einzig richtige als Reaktion.

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