Sechzehn

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Jungkook

Mir fehlten die Worte. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.

Verloren stand Tae neben mir im Treppenhaus und starrte mit hochgezogenen Schultern durch seine Mutter hindurch. Er wich ein Stück zurück, doch ich legte meine Hand an seinen Rücken, was ihn zu mir schauen ließ. Er musste jetzt ehrlich sein.

Er erwiderte meinen Blick und nickte schließlich.

Weniger fröhlich, eher besorgt, schaute Frau Kim uns jetzt an.

"Das ist keine gute Entscheidung", brachte Tae heraus. Mir entging das leichte Beben nicht, das seinen Körper eingenommen hatte.

"Dürfen wir bitte reinkommen?", fragte ich leise und griff nach Taes Hand. Er verschränkte unsere Finger, als seine Mutter sich nickend umdrehte und in Richtung Küche lief. Er schaute mich nicht an.

"Also, was ist los, ihr beiden?"

Tae ließ meine Hand unter dem Tisch nicht los, als wir alle in der Küche saßen. Ich beobachtete nervös meinen besten Kumpel und auch seine Mutter, die uns merklich unruhig gegenüber saß. Ihr Blick flehte mich förmlich um eine Antwort an, doch es war an ihrem Sohn, es ihr zu erzählen.

Ich strich sanft mit dem Daumen über seine Haut, woraufhin er langsam aufsah und seine Mutter anschaute.

"Er ist nicht der Richtige für dich."

Er verstärkte den Druck an meiner Hand, starrte aber nur auf die Holzmaserung des Tisches. Er konnte der Frau nicht mehr in die Augen sehen. Sie wirkte überrascht und auch verletzt.

"Wieso sagst du sowas, Taehyung?"

Er zuckte leicht zusammen, auch ich hörte den anklagenden Ton heraus.

"Er macht mir Angst."

Er presste sich die freie Hand vor den Mund und unterdrückte ein Schluchzen. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lösen. Es schmerzte, ihm nicht helfen zu können.

"Er," Tae versuchte, sich zu sammeln. "Er ist handgreiflich geworden. Er hat mich angefasst."

Der Griff um meine Hand war inzwischen so stark, dass es mir etwas wehtat. Tränen liefen über seine Wangen, als er wieder aufsah und den Blick auf seine Mutter richtete.

Fassungslos schüttelte sie den Kopf und schaute von ihrem Sohn zu mir und wieder zu ihm. "Das kann doch nicht..." Ihre Stimme brach ab.

"Doch, Mama. Als du nicht da warst, letzten Samstag. Ich hatte immer zu viel Angst, dir zu sagen, dass seine Blicke mich unwohl fühlen lassen, dass er meine Grenzen nicht akzeptiert. Ich wollte es dir sagen."

Taehyungs Schluchzen ließ mich schlucken. Ich legte meine zweite Hand über unsere verbundenen Hände und versuchte, ihm Kraft zu geben.

"Er wollte mich ausziehen, aber ich konnte mich befreien und bin weggelaufen. Es tut mir leid."

Er wischte sich über die Augen.

Mit großen Augen schaute Frau Kim einfach vor sich hin, schien nichts mehr richtig wahrzunehmen. In der Stille klang der Schlüssel in der Wohnungstür laut und Tae verkrampfte sich. Auch ich wurde unruhig.

Die Frau sah wieder auf und griff über den Tisch nach Taehyungs Hand und drückte sie. Mit einem schwachen Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte, flüsterte sie: "Alles wird gut. Mach dir keine Sorgen, mein Großer."

Wir blieben so sitzen, während der Mann, der für alles verantwortlich war, hinter uns durch die Tür trat.

"Taehyung, bist du endlich wieder zu Hause?"

Wut stieg mir bei dem scheinheiligen Getue in den Bauch.

"Stimmt es, was mein Junge mir über dich erzählt hat?"

Die Stimme von Taes Mutter klang schneidend und kalt. Ihr Blick war ebenso abweisend.

"Was hat er denn erzählt?"

Sie schluckte und schaute ihren Sohn an, bevor sie verunsichert zu dem Mann schaute, den sie heiraten wollte. "Er sagt, du hast ihn bedrängt und angefasst."

Es war ein Fehler, sitzen geblieben zu sein.

"Hat er also endlich seine Eier gefunden und den Mund aufgemacht?"

Meine Härchen an den Armen stellten sich auf, als er näher trat und ich versuchte in der Mimik von Frau Kim zu erkennen, was er tat. Doch dann ging es ganz schnell.

Er packte mit einer Hand Taes Haare und mit der anderen seinen Oberarm und zerrte ihn mit Gewalt schräg nach hinten über den Stuhl hinweg zu sich. Schreiend versuchte sich Tae panisch an mir festzuhalten, doch statt ihm dadurch mehr Schmerzen zuzufügen, ließ ich los, sprang auf und stellte mich dem großen Kerl gegenüber. Der schrille Ruf von Taes Mutter klang in meinen Ohren nach. Mein Freund zitterte vor Angst und starrte mich mit geweiteten Augen an, doch er gab keinen Ton mehr von sich.

Die dunklen Augen dieses Typen blitzten gefährlich, während er unsere aussichtslose Situation genoss.

"Also hat er die Wahrheit gesagt." Ihre Stimme klang stockend und mit einem Schaben wurde der Stuhl zurückgeschoben.

Ich wandte den Blick nicht von Tae und dem Dreckskerl ab. Wütend musste ich zusehen, wie er eine Hand über Taes Seite streichen ließ und dann unter sein Shirt fuhr. Er schien gerade etwas sagen zu wollen, da entwich Tae ein Wimmern und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten.

"Bastard!"

Die Stille war erdrückend, doch ich musste unbedingt Tae aus seinen Fängen befreien und ich war mir sicher, dass er einer der aufbrausenden Sorte war.

"Was hast du Wurm gerade gesagt?" Drohend kam er ein Stück näher und schob meinen Freund dabei grob vor sich her, die Angst war in Taes Gesicht nicht zu übersehen.

"Du Bastard! Vergreifst dich an ihm, nur weil er schwächer ist und du bei Leuten deiner Gewichtsklasse keine Chance hast!"

"Elendes Balg, so mit mir zu reden! Du meinst also, du wärst stärker?"

Bingo.

"Willst du es herausfinden?"

Aggressiv stieß er Taehyung gegen einen der Küchenschränke, was diesem einen dumpfen Schmerzenslaut entlockte, und kam mit ausholender Faust auf mich zu. Bevor er mich treffen konnte, blockte ich den Angriff mit meiner Elle und machte einen kurzen Schritt zur Seite, wie ich es hunderte Male in den Trainingseinheiten geübt hatte. Und doch war die Realität anders.

Ich schlug ihm seitlich gegen den Hals, woraufhin er strauchelte, und packte in seine Haare, sofort darauf legte ich meinen Arm von hinten um seinen Hals und stabilisierte den Klammergriff mit dem zweiten Arm. Ich klemmte ihm die Luft ab. Er wand sich hin und er und versuchte mich zu kratzen und aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch nach wenigen Sekunden ohne Luft ließ er nach und wurde schließlich ohnmächtig.

Ich ließ ihn zu Boden sacken und schaute mich besorgt nach Taehyung um. Er saß mit gesenktem Kopf an den Schrank gelehnt und weinte still vor sich hin. Seine Mutter nannte gerade ihnen Namen und die Adresse in ein Telefon und ging zur Seite, als ich mich zu Tae hockte. Ich legte meine Stirn an seine und genoss für einen Moment das Gefühl, dass er sicher war, während ich in kleinen Kreisen über seinen Nacken strich.

Dann aber wandte ich mich nochmal dem am Boden liegenden Mann zu und unterdrückte das Verlangen, einfach auf ihn einzutreten.
Irgendwie mussten wir ihn bis zum Eintreffen der Polizei fixieren. Taes Mutter reichte mir mit einem entschlossenen Blick ein Paar Handschellen mit schwarzem Stoff an den Innenseiten und kommentierte es nur mit: "Karma." Ich wollte nicht drüber nachdenken.

Berührt // VKookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt