12. Kapitel

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Lied: Hurts - Stay

Nachdem Billy die Geschichte fertig erzählt hat, wenden sich Ron und mein Bruder wieder ab, also habe ich Zeit, mich mit ihm alleine zu unterhalten.

„Vdu ihn sehr?“, breche ich das eintretende Schweigen.

„Manchmal wünsche ich mir, seine Stimme wieder hören zu dürfen. Aber für mich lebt er weiter – in mir drinnen. Ich weiß, dass er bei mir ist, bloß hätte ich gerne das Glück gehabt, seine körperliche Anwesenheit länger genossen zu haben, als in den wenigen Stunden zu zweit … Aber trotzdem geht das Leben weiter und mit meinen Jungs geht’s mir auch nicht schlecht.“, er lächelt schwach und starrt einen Moment ziellos in die Ferne. „Ihr wisst, dass euer Abenteuer auch anders enden kann, wie ihr es euch erhofft.“

„Ja“, muss ich bedrückt zurückgeben. „Hitler hat es schließlich auch geschafft, die deutschen Juden fast auszurotten. Wer sagt, das dies Kellon nicht gelingt?“ Unser Gespräch hat eine Richtung eingeschlagen, die mir nicht ganz so gut gefällt. „Mhm“ „Was ihr gerade macht ist keine kindische Verfolgungsjagd, ihr spielt hier mit dem Feuer. Kellon hat Polizisten, Kameras, überall. Nur ein kleiner Fehler kann euch – und besonders deinem Bruder – das Leben kosten. Ich will dir jetzt keine Angst einjagen, ich glaube du weißt selber, wie gefährlich ihr zurzeit lebt, schon allein, dass ihr die Zugreise unbemerkt überlebt habt, wundert mich. Sehr viel länger würde ich das Glück nicht mehr herausfordern.“, spricht er weiter. „Ehrlich gesagt habe ich mir das ganze viel leichter vorgestellt, als es wirklich ist. Ich dachte mir wir fahren zu unserer Tante, sie nimmt uns auf und dort sind wir ziemlich sicher. Damit, dass sie uns nicht aufnimmt, habe ich nicht gerechnet.“, antworte ich Billy. Plötzlich höre ich meinen Namen und drehe meinen Kopf in Richtung Ron. „Lina, kommst du einmal bitte … Ich glaube, wir haben ein Problem.“ Ich nicke Billy zu und erwarte schon das Schlimmste, während ich zu meinem Bruder und zu ihm rutsche. Jonny liegt, eingebettet in ein paar Decken, am Boden und schläft. Ron sitzt neben ihm und blickt besorgt auf den Schlafenden. Jonny hustet heftig im Schlaf, doch sonst fällt mir nichts sorgen erregendes auf. Ich zucke mit den Schultern, wobei ich Ron ratlos anblicke. „Fass mal seine Stirn an.“, weist er mich matt an. Mir schwant schon, was kommt und ich behalte Recht – sie ist glühend heiß. „Das sind weit über 36°. Wieso gerade jetzt? Wir haben keine Krankenkarte dabei, abgesehen davon, dass sie in einem Krankenhaus nie und nimmer einen Jamben behandeln würden.“ Die ganze Situation ist schon nervenaufreibend genug, wenn Jonny jetzt auch doch krank ist, gibt mir das den Rest. „Er braucht aber dringend Medizin, das Fieber ist gefährlich hoch, das kann lebensgefährlich werden.“, erwidert Ron. Seine Tonlage ist der von unserem Streit schon sehr ähnlich. „Zur Zeit ist hier alles lebensgefährlich. Jamben haben doch gar keine Rechte mehr! Die würden ihn doch nicht einmal im Krankenhaus aufnehmen, wenn er einen Herzinfarkt hätte!“ Die Lage ist zum reißen gespannt. Nur ein weiteres lachhaftes Problem und die Situation eskaliert. „Wir könnten es wenigstens mit einer Medizin aus der Apotheke versuchen.“, versucht Ron unsere Diskussion wieder in den Griff zu bekommen. „Und wie, ohne ein ärztliches Rezept?“, erwidere ich mit deutlich ruhigerer Stimme. „Du lenkst die Apothekerin ab und ich schnappe mir den Fiebersaft.“ „Wir sollen ihn also stehlen?“ „Willst du nun, dass dein Bruder gesund wird, oder nicht?“, antwortet Ron vorwurfsvoll. „Morgen in der Früh, gleich nach dem Aufstehen. Billy kann auf Jonny aufpassen während wir weg sind. Einverstanden?“ Ich nicke, dann herrscht wieder Stille zwischen uns. Ich streichle Jonny sanft über den Arm. Die Hitze jagt mir Angst ein.

Never again! Never again?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt