Beginn

571 29 2
                                    

13.25 Uhr, Freitagnachmittag. Der Himmel erstrahlt in einem fast wolkenlosen Blau, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Die Birken am Straßenrand mit ihren langen Zweigen wiegen sanft in der Frühlingsbrise. Es ist Ende März im Jahre 2542. Die Zäune der Gärten, an denen wir gerade vorbeigehen, sind von weißlich-lilafabenen Blüten übermannt, zwischen jeder Latte des schwarzen Metallzauns sprießen sie hervor. Sie winden sich um das Gestell bis hinaus auf den betonierten Weg. Ich fahre mit der Hand über ihre zarten Blätter. Die Sporen kitzeln unter meiner Handfläche. Letzte Woche ist endlich auch der letzte Schnee geschmolzen und bei diesen Temperaturen schießen Krokusse und Tulpen nur so aus dem Boden. Ich mag den Frühling, die Welt erwacht aus dem Winterschlaf, die tristen Farben der kalten Monate verschwinden. So genieße ich jeden einzelnen unserer Wege, vorbei an prächtigen Vorgärten. Für solche Blumenträume ist meiner Mutter das Geld zu schade – denn davon besitzen wir nicht direkt viel.

Wir kommen gerade von der Schule. Wir, das heißt mein 7-jähriger kleiner Bruder Jonny und ich. Genau genommen ist er aber nicht mein leiblicher Bruder. Meine Eltern haben ihn adoptiert, als ich in seinem Alter war, seine richtigen Eltern kommen aus den USA. Sein Vater war ein bekannter Politiker – und seine Mutter Putzfrau. Seit der Scheidung von seiner ersten Ehefrau muss er sich ziemlich alleine gefühlt haben, so ist es auf irgendeine Weise doch verständlich, wie es zu Jonnys Geburt kam. Aber, kurz nachdem Jonny auf die Welt kam, ist seine Mutter abgehauen und untergetaucht. Sein Vater hat das alleinige Sorgerecht übernommen, doch wegen seinem Job war er zu beschäftigt und ein Kindermädchen sorgte sich die meiste Zeit um ihn. Trotzdem war das nicht der Grund, warum er zur Adoption freigegeben wurde. Das passierte einige Monate später, genauer gesagt drei. Denn an diesem Tag starb der Politiker. Schlaganfall.

Bei einem internationalen Treffen mit seinem Kollegen brach er wie aus heiterem Himmel zusammen. Niemand konnte ihn mehr retten. Man wusste nicht, wohin mit dem Säugling. Die Mutter war nicht auffindbar und die Großeltern waren schon lange verstorben. Durch Verbindungen in unserer Gemeinde kam er dann zu mir und meinen Eltern.

Wir waren trotzdem nie richtig reich gewesen. Mein Vater war in einer Baufirma tätig, doch diese ging vor zwei Jahren nach einer Wirtschaftskrise pleite. Die Zahl der Arbeitslosen ist auch in diesem Monat so hoch wie noch nie, doch jeden Dezember wird sie wieder getoppt.

Jonny schlendert neben mir und betrachtet ebenfalls den Blumenstrauch zu meiner Rechten. Mein Blick ruht auf ihm. Als er das bemerkt, blickt er zu mir auf und grinst mich an. Ich lächle zurück. Ich liebe ihn wie einen echten Bruder, ich kann mir gar nicht vorstellen ohne ihn zu leben. Mein kleiner Jonny. Diese fröhliche Ausstrahlung, die er besitzt, damit steckt er jeden an. Er ist eben ein kleiner Sonnenschein – mein kleiner Sonnenschein.

Never again! Never again?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt