14. Kapitel - Shoppingtour

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Lied: Best thing I never had - Beonce

 „Also, hier wären wir. Und jetzt?“, fragt mich Ron als wir gerade das Einkaufszentrum betreten. In meiner Tasche liegt ein kleines Büschel Geld, was mir viel zu leicht erschient. „Ich denke, eine Beschäftigung würde ihm gut gefallen. Ein Spielzeug zum Beispiel“, gebe ich zurück. „Gut, dann komm.“ Er zieht mich sanft vom Eingang weg und in eine andere Abteilung hinein. An Babyspielzeug vorbei bis hin zu ferngesteuerten Autos und Hubschraubern. Dort bleibt er stehen. „Und?“ Ron sieht mich erwartend an. „Nee, erstens ist das viel zu teuer, zweitens ist das Zeug nach drei mal benutzen eh schon wieder hin.-“ Noch bevor ich zu-ende-gesprochen habe, zieht er mich auch schon wieder weiter. Dieses Mal hält er vor einer Herde Plüschtiere an. „Jonny ist keine vier mehr!“, erwidere ich empört und amüsiert zugleich. Auch Ron grinst und schleppt mich dann direkt vor ein Regal voller magersüchtiger Blondinen. „Denkst du etwa, mein Bruder ist schwul?“, entgegne ich ihm und lache. „War nur ein Spaß.“, kontert Ron und grinst. „Ich habe eine bessere Idee, schau mal, wie wie wäre es mit einem Spiel?“ „Endlich ein gescheiter Einfall von dir.“, necke ich ihn und gehe zum besagten Sortiment. Ron folgt mir. „Am besten nehmen wir eines, wo er sich alleine beschäftigen kann, man aber auch zusammen spielen kann.“. „Mhm“, stimme ich Ron zu. Grob scanne ich die vor mir in dem Regal stehenden Spiele. Mir stechen Ritter ins Auge, Labyrinthe und Schlösser. Erst bin ich völlig ratlos, wie wir uns bei so einer großen Auswahl entscheiden sollen, aber letztendlich finden wir dann doch ein Spiel, das sogar in unser Budget passt. „Kimiko“ steht in goldenen, geschwungenen Buchstaben auf der Spielverpackung. Im Hintergrund ist eine steinige, alte und dunkle Gasse, wahrscheinlich eine aus dem Mittelalter, zu sehen, die mit Fackeln notdürftig ausgeleuchtet ist. Im Vordergrund ist der Kopf eines Jungen mit schulterlangen, braunen Haaren und ebenfalls mit einem Feuer ausgestattet, abgebildet. Soweit ich das verstanden habe, ist es Ziel des Spiels als erster aus dem Gassen-Wirrwarr herauszufinden und dabei irgendwelche Plättchen zu sammeln. „Nehmen wir es?“, frage ich Ron. „Es liegt weit unter unserer finanziellen Grenze, klingt spannend und er kann es sogar alleine spielen. Was wollen wir mehr?“, antwortet er. „Dann ab zur Kasse.“, sage ich „Aber warte mal, wegen der Vermisstenanzeige, wir sollten uns neue Klamotten besorgen. Dann können sie dich wenigstens nicht mehr auf eine Klamotten-beschreibung hin nicht ausfindig machen.“, füge ich hinzu. „Du bist ja ganz schön im Shoppingrausch. Aber gut, wenn du dich dann sicherer fühlst. Aber das könnte Teuer werden.“, willigt Ron ein. „Für was gibt es denn einen Textildiscounter?“, erwidere ich.

„Ich war noch nie in so einem Laden.“, bemerkt Ron kurz bevor wir den Laden betreten. „Du wirst staunen, aber es ist nicht recht viel anders als in einem normalen Kleidungsshop.“, erwidere ich. „Nur die Zahlen auf den Preisschildern sind weitaus niedriger … trotzdem doof, dass wir den Koffer mit unseren Klamotten verloren haben.“ „Also dann, schauen wir mal...“

Etliche Preisrechnungen, Anproben und Überlegungen später stehen wir endlich an der Kasse. Auch darf ich bald die ehrlich gesagt hässlichen und ausgelatschten Ersatzschuhe Ryans wieder zurückgeben und meine eigenen beziehen. Für mich also eine Rundum-Erneuerung. „Wie haltet ihr Mädels nur diese ganzen Shoppingtouren aus, ohne am Ende zusammenzuklappen?“, witzelt Ron während wir zurück zum Bahnhof schlendern. Seit unserem Einkaufsbummel bin ich sogar ungewöhnlich gut drauf.

Das kann nicht einmal die leicht aggressive Jungsbande zunichte machen, die mich im nächsten Moment sehr offensichtlich gewollt an-rumpelt, dass ich aus dem Gleichgewicht komme und überrumpelt stürze. Ich verliere meine Tasche und sie ein wenig entfernt von mir auf den Asphalt plumpst. „Hey!“, kommt es plötzlich von Ron. „Lasst die Kleine in Ruhe!“ „Du hast mir gar nichts zu sagen!“ Der Junge, der mindestens noch einen Kopf größer ist als Ron, geht drohend auf ihn zu. „Was soll das? Sie hat euch gar nichts getan, also lasst sie in Ruhe!“, gibt Ron zurück und geht auch einen Schritt nach vorne. „Ron … Ron! … Mir geht es gut, ist doch nichts passiert.“, gehe ich dazwischen, dass es nicht zu einer Schlägerei kommt. Ich schnappe mir meine Tasche, stehe auf und ziehe Ron von dem Jungen weg. Er wirft dem Kerl noch einen düsteren Blick zu, bevor er sich dann aber von mir führen lässt. Ihm scheint die Situation peinlich zu sein, denn den ganzen weiteren Weg fällt er wieder einmal mit Schweigsamkeit auf. Die Plastiktüte mit unseren neuen Klamotten schneidet in meine Handfläche und Jonnys Geschenk liegt schwer in meiner Tasche. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon vier Uhr nachmittags ist und unser Übergangszuhause liegt bereits in seiner vollen Größe und Wucht vor uns.

„Schon wieder zurück?“, begrüßt uns Billy. „Schon ist gut gesagt.“ Ich lasse die Einkaufstüte und meine Tasche erschöpft auf den Boden fallen. „Wir haben neue Kleidung besorgt – Wie geht es unserem Kranken?“ „Sieh selbst!“, antwortet Billy, leht sich ein Stück nach rechts und gibt so den Blick auf meinen Bruder frei, der bei Taylor, Ryan, Jim und Mike sitzt und in ein Spiel vertieft ist. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, froh darüber, ihn fröhlich spielen zu sehen. „Freu dich nicht zu früh, er ist immer noch schwach auf den Beinen, aber es geht ihm schon besser. Das Fieber hat etwas nachgelassen, trotzdem sollte er alles ruhiger angehen lassen.“, sagt Billy, als er meine Erleichterung sieht. Ich gehe zu meinem Bruder und knie mich hinter ihn hin. „Na? Dir geht's ja viel besser.“ Überrascht dreht er sich um und ein Lächeln zaubert sich auf sein Gesicht. „Guck mal, willst du mitspielen?“, sagt er mit leicht matter Stimme. „Nachher vielleicht, aber wir haben dir neue Kleidung besorgt, willst du die nicht gleich einmal anprobieren?“ Begeistert nickt er und rennt geradewegs zur Tüte. Schmunzelnd stehe ich auf und gehe gemeinsam mit ihm und Ron in Richtung Klo. Kurz darauf komme ich mit neuem, weißem Top, einer schwarzen Jeans, einem schwarzen Jäckchen und einem lilanem Tuch um den Hals wieder heraus. Vor allem bin ich aber stolz auf die schwarzen Sneakers, die ich erworben habe. Jonny trägt nur ein neues dreiviertel-T-Shirt, damit der Ring überdeckt ist. Ron besitzt, wie ich, ein völlig neues Outfit, nur die Schuhe sind die gleichen. Ich gebe Ryan seine Schuhe zurück und bin froh, sie endlich loszuhaben. „Lina, ich hab Hunger!“, quengelt mein Bruder kurz nachdem ich mich an der Wand heruntergelassen habe. „Jonny, Ron und ich haben auch riesigen Hunger, aber unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu!“, versuche ich ihn ruhig zu stellen. „Aber ich hab so Hunger! Darf ich Billy fragen, ob ich etwas bekomme?“ „Nein! Billy hat selber nicht so viel zum Essen.“ „Dann können wir uns doch etwas kaufen.“ „Nein, wir müssen auch mit dem Geld haushalten. Wir haben nicht mehr so viel, genauer gesagt nur noch ...“ Ich ziehe meine Tasche zu mir, wende sie ein wenig von Jonny ab, damit er sein Geschenk nicht entdeckt, und krame blind nach meinem Geldbeutel. Kurz darauf gebe ich aber die Suche auf. „Ach, egal, auf jeden Fall können wir uns auch kein Essen kaufen.“, beende ich die Diskussion. Mit nicht deutbarem Blick wendet sich Jonny ab, geht zu den anderen zurück und spielt weiter. Als er weg ist, steigt mein Blutdruck augenblicklich auf 180. Panik steigt in mir auf und meine Brust pulsiert. Ich drehe mich meiner Rechten zu.

„Ron, das Geld ist weg.“

Never again! Never again?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt