Lied: Gabrielle Aplin - Home Official Video
Wir sind bereit. Jonny ist schon unter Billys Obhut und wir machen uns auf den Weg. Die Apotheke ist nicht weit vom Bahnhof entfernt, ein wenig versteckt in einer kleineren Gasse empfängt sie uns mit einladend geöffneter Glastür. Sie ist klein, doch durch die Schaufenster fällt helles Licht in den Raum. Hinter dem Tresen steht eine schätzungsweise 30-jährige, sympathisch aussehende Blondine. Schon bei ihrem Anblick bereue ich unser Vorhaben. Wie erwartet sind wir die einzigen Kunden und haben somit beste Bedingungen für unseren Diebstahl. „Kristina Winkler“ steht auf ihrem Namensschild, das an ihrem weißen Kittel hängt. Sie lächelt uns freundlich an, als sie uns erblickt. Wir gehen geradewegs zu ihr quer durch den Raum. An den Wänden sind unzählige Cremen und Arzneien aufgebaut. „Guten morgen, wie kann ich ihnen behilflich sein?“, fragt sie, immer noch mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Hallo, ich hätte gerne einen Fiebersaft.“, antworte ich genauso freundlich und hoffe, dass man meine Aufregung nicht herausgehört hat. „Könnte ich dann bitte das Rezept von Ihnen bekommen.“ „Ja, natürlich“, erwidere ich und beginne in meiner Tasche zu kramen. Ich suche das nicht vorhandene Rezept so lange, bis sie unserem Plan gemäß vorschlägt, schon einmal den Fiebersaft aus dem Vorratsraum zu holen. Als sie weg ist, werfe ich Ron einen verstohlenen Blick zu. Dann kommt sie mit der Medizin in der Hand wieder. Ich fluche innerlich, als sie das Fläschchen direkt vor sich auf der andere Seite des Tresens abstellt. Panik steigt in mir auf , ich muss mir etwas anderes überlegen. „Sie können ruhig schon einmal den Herren hinter mir bedienen, ich glaube, ich brauche noch ein bisschen.“, täusche ich sie und Ron geht einen guten Meter neben mir näher an den Verkaufstisch heran. „Oh, natürlich, ich dachte, sie würden zusammengehören.“, lacht sie und geht auf Ron zu. Bis zu „Was brauchen Sie-“ kommt sie noch, dann schnappe ich mir in einer einzigen, schnellen Bewegung den Fiebersaft neben dem Laptop, der in der Mitte hinter dem Tresen auf einem kleinen Tisch aufgebaut ist, und hetzte so schnell wie möglich aus dem Laden. Als ich fast draußen bin, höre ich auch Ron los rennen. Einen Blick auf die Frau zu werfen traue ich mich nicht. Wie beim Aufsteigen auf den Zug schlägt mir das Herz bis zum Hals, ich kann fast das Rauschen des Adrenalins hören, das durch meinen ganzen Körper schießt. Vor dem Laden wechsle ich dann allmählich in ein schnelles Gehtempo, um nicht aufzufallen. Jetzt können wir nur noch hoffen, dass sie uns nicht um die Ecke gehen sieht und uns womöglich folgt. Doch selbst eine Straße weiter taucht keine Frau im Kittel hinter uns auf. Erleichtert lasse ich die Medizin in meine Tasche fallen. Ich habe noch nie etwas geklaut und ich muss sagen, dass ich es mir schwieriger vorgestellt habe. Sie hat uns ja nicht einmal verfolgt. „Wir hatten Glück … Stehlen ist einfacher als ich dachte.“ „Dort haben sie ja auch keine Diebstahlsicherung und mehr als zehn Euro gehen ihnen auch nicht durch die Lappen.“ Stillschweigend gehen wir dann zurück zu unserem derzeitigen Zuhause.
„Habt ihr sie?“, fragt Billy sofort aufgeregt, als er uns sieht. „Sein Fieber ist stärker geworden. Wir haben ihm ein bisschen Wasser eingeflößt und eine Scheibe Brot gegeben, die hat er aber abgelehnt.“ Beim Gedanken an Brot läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wann haben wir das letzte Mal etwas gegessen? Gestern Abend? Oder doch gestern in der Früh? Jonnys Backen sind ungesund rot und seine Stirn ist von Schweißperlen übersät. Mit einem schwachen Lächeln hole ich den Saft wie eine Trophäe wieder aus meiner Handtasche. Billys Gesichtszüge entspannen sich sichtlich, als er die kleine Schachtel sieht. Obwohl ich ihn erst gut einen halben Tag kenne, ist er für mich wie ein Ersatzvater geworden. Er rutscht ein Stück auf die Seite, damit ich Jonny den Saft verabreichen kann. Als ich leise seinen Namen flüstere, öffnet Jonny seine Augen einen Spalt weit, doch schließt sie im nächsten Moment gleich wieder. Ich überfliege schnell die Gebrauchsanweisung. Zwei Mal am Tag – je einen Löffel voll. Ich mache die Verpackung auf und hole den Saft samt Löffel heraus. Langsam lasse ich die zähe blass-rote Flüssigkeit auf den Löffel tropfen, hebe den Kopf meines Bruders, stütze ihn mit meinem anderen Arm und lasse die Medizin in seinen Mund laufen. Jonny schluckt zwei Mal schmerzverzerrt, dann ist alles in seinem Mund verschwunden. Also lege ich ihn wieder zurück auf sein Bett bestehend aus einem Schlafsack und einem zusammengeknüllten Sweatshirt, das ich nicht kenne. „Hoffentlich wirkt es.“, beende ich meine Handlung und setze mich zurück an die Wand. Als ich anschließend einfach nur dasitze fällt mir auf, wie viele Leute uns – und besonders Jonny – beim Vorbeigehen neugierig beäugen. Fast ausnahmslos jeder wirft uns mindestens einen kurzen Blick zu. Es ist mir unheimlich, wie alle meinen kranken Bruder anglotzen. „Billy? Können wir vielleicht aus eurem Gepäck ein Art Zelt für Jonny bauen?“ Als hätte er meine Gedanken gelesen, blickt er auf und sieht direkt in die Augen der Menschen, die gerade unsere Zuschauer sind. Peinlich berührt schauen sie weg. Seufzend steht Billy auf und geht auf die andere Seite von Jonnys Bett. „Mike, Ryan, könnt ihr bitte ein bisschen rutschen?“ Als sie weg sind, schiebt er gemeinsam mit mir das provisorische Bett samt meinem Bruder an die Wand, geht zu seinen Taschen und zieht eine braune Sommerdecke hervor. Dann stellen wir je zwei Koffer vor bzw. hinter Jonny an der Wand auf, damit Billy die Decke befestigen kann. Am Schluss sieht es sogar gar nicht so schlecht aus, wie ich gedacht habe. Triumphierend achte ich auf die vorbeigehenden Leute, die nun weniger zum Glotzen haben. Nur sind wir nun ein Stück weit von Billy getrennt. Just in diesem Moment taucht er vor dem kleinen Zelt auf und rutscht zu uns herüber. „Hallo ihr da drüben.“, er lächelt. „Die Jungs spielen mal wieder ihr Spiel. Mir ist gestern Abend übrigens etwas eingefallen, was ich euch unbedingt sagen sollte. Gleich bei der Anzeigetafel in der großen Bahnhofshalle wurde vor ein paar Wochen ein Fernseher angebracht, wo rund um die Uhr ein Nachrichtensender ausgestrahlt wird. Ich denke, es wäre ganz nützlich, wenn ihr dort einmal hinsehen würdet und euch über den neusten Stand informiert.“ „Ja, ich würde sagen, da schauen wir doch gleich einmal hin, oder?“, erwidert Ron. „Klar, das ist eine gute Idee. Kannst du Jonny, wenn er aufwacht, sagen, dass wir gleich wieder da sind? Ich möchte nicht, dass er denkt, wir lassen ihn hier in seinem Zustand liegen und scheren uns nichts um ihn.“, bitte ich Billy noch. „Na logisch, mache ich.“, willigt er ein. „Danke“ Dann stehe ich mit Ron auf und gehe wieder den langen Gang ins Herzstück des Bahnhofs entlang. Wie schon beim ersten Mal rieche ich wieder den wunderbaren Geruch von den angebotenen Köstlichkeiten. „Wir müssen uns langsam etwas zu Essen besorgen, sonst verhungern wir noch.“, werfe ich ein. „Kündigt sich deiner auch schon seit heute morgen so lautstark an?“, erwidert Ron. „Ununterbrochen. Sollen wir uns etwas besorgen?“ „Wir müssen sparsam mit dem Geld umgehen, wer weiß, wie lange wir hier noch durchhalten müssen … siehst du die Kiste?“, fragt Ron. „Wo hat er gesagt? Bei den Anzeigetafeln? Ähm...“, ich drehe mich um 360°, bevor ich sie sehe. „Da!- also, wieder back to topic, Billy, Ryan, Mike, Jim und Taylor müssen ihr Essen auch irgendwo günstig herbekommen, vielleicht haben die ja eine Idee.“, erwähne ich. Inzwischen sind wir bei dem kleinen Flachbildfernseher angekommen. Das Gerät steht oder besser gesagt hängt in einer etwas größeren Niesche, vor der sogar eine Reihe dieser schwarz-silberner Flughafen-Wartesitzbänke steht. Kein einziger Platz ist belegt, so haben wir sechs Plätze ganz für uns alleine. Wir kommen genau zum richtigen Zeitpunkt, denn kurz nachdem wir uns hinsetzten, wird das Nachrichtensenderlogo eingeblendet. 12 Uhr steht in dicken weißen Buchstaben im Vordergrund. Zeit fürs Mittagessen, normalerweise zumindest. Kellon taucht auf und berichtet stolz von der weiteren Gefangennahme mehrerer 1.000 Jamben innerhalb der vorherigen Woche. Als Verstärkung werden Bilder verletzter oder gerade gefangengenommener Jamben hinten dran gehängt. Dann folgen Kurzfilme, die in den abgegrenzten Jambenvierteln, von denen niemand weiß, wo sie liegen. Arbeitende Jamben, Jamben, die geschlagen werden und weinende Männer und Frauen, die von den Wachen als Schwächlinge bezeichnet werden. Alle “Insassen“ tragen ärmellose, weiße Tops, die von Dreck und Schlamm geprägt sind. Der dicke, dunkelrote Ring um den Oberarm steht stark im Kontrast zu dem hellen Shirt. Ich erwische mich selbst dabei, wie ich mir Jonny in einem dieser Oberteile vorstelle. Sie zeigen die unmenschlichen Verhältnisse, in denen die Jamben dort leben müssen, ihre Schmerzen und Kellons Verachtung gegenüber ihnen so deutlich, dass es mich wundert, wieso niemand etwas dagegen unternimmt. Als die News zur Jambenverfolgung in den Nachrichten vorbei sind, erscheinen zum zweiten Mal zwei bekannte Gesichter auf dem Bildschirm. Rons Eltern.
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Never again! Never again?
Przygodowe-- Mit Trailer -- Wir haben geschworen, dass so etwas nie wieder passiert, doch es ist wieder geschehen. Und so ist Linas Leben auf ein Mal nicht mehr das, was es immer war. Deutschland ist im Ausnahmezustand. Im Jahr 2542 ergreifen ehemalig genannt...