Kapitel 2

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Später am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, gab Jerry den Tieren Heu, als Anne Shirley-Cuthbert kam, um Belle und ihre anderen Freunde zu begrüssen.

Der Familie Cuthbert ging es viel besser als vor zwei Jahren. Sechs Monate, nachdem sie die Hypothek abbezahlt hatten, und ein kleines Missgeschick mit ihren Untermieter hatten, war Gilbert Blythe nach Hause gekommen. Zusammen mit ihm, Jerry und Matthew Cuthbert wurde die Green Gables Farm wieder in Betrieb gesetzt. Sie hatten auch die Blythe Farm in Ordnung gebracht, obwohl Gilbert nur kleine Landwirtschaft betrieb, genug, um ihn während seiner Schulzeit zu versorgen. Laut Anne plant er nicht, Bauer zu bleiben.

"Hallo, Jerry", sagte die fünfzehnjährige Anne und ging direkt zu Belle's Stall.

Jerry, der anscheinend in Gedanken versunken war, und Heu in einen leeren Stall gabelte, antwortete nicht.

Anne hielt in ihrem Schritt inne, das Gesicht mit den Sommersprossen runzelte sich verwirrt, als sie den Jungen anstarrte.

"Jerry?" sagte sie mit einem fragendem Ton. Als er nicht antwortete, sagte Anne viel lauter "Jerry Baynard!"

Jerry zuckte zusammen und sah sich um. Ein Heuhaufen stieg über Anne's Kopf in die Höhe. Anne sah ihn stirnrunzelnd an, als sie die getrockneten Grasstücke  aus ihrem roten Haar zog.

"Anne! Ich habe dich nicht hereinkommen hören." sagte Jerry. Er bemerkte das Gras in ihren Haaren. "Entschuldigung wegen dem Heu." 

"Ich vermute ich werde dir vergeben.", sagte Anne mit einem kleinen Lächeln. "In welcher Zwickmühle steckst du?"

Jerry machte eine Pause mit der Mistgabel in der Hand und sah sie stirnrunzelnd an. "Huh?"

Anne verdrehte verzweifelt die Augen. "Worüber denkst du nach, Jerry?"

"Oh." Jerry zuckte mit den Achseln. "Über nichts."

"Faszinierend." sagte Anne.

Sie durchquerte die Scheune um zu Belle's Stall zu gelangen. Die Stute hängte bereits ihren Kopf aus ihrem Stall, um das Mädchen zu begrüssen.

"Wo warst du?" fragte Jerry und widmete sich wieder dem Heu.

Anne sah ihn nicht an, als sie sagte "Ich war unten bei der Blythe Farm." Sie versuchte eindeutig, lässig zu klingen, und versagte kläglich.

"Ah", sagte Jerry grinsend. "Aha."

Etwas in Jerrys Tonfall liess Anne über ihre Schulter schauen und ihn anstarren. Anne öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann schien sie ihre Meinung jedoch zu ändern.

Anne fing an, mit Belle zu reden.

"Wie war dein Tag, Belle?" fragte Anne das Pferd. Jerry hörte sie kaum. Er war mehr als daran gewöhnt, dass Anne versuchte, sich mit Tieren zu unterhalten. "Meiner war ziemlich schön." fuhr Anne fort. "Ich habe Marilla heute in der Küche geholfen. Ich kann schon gut backen. Ich habe nicht einmal den Kuchen verbrannt! Aber es war ziemlich knapp. Ich tat so, als wäre ich eine Fee im Wald. Als mein Waldhaus in Brand geriet, war ich dazu gezwungen, alles zu evakuieren. Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass dies vielleicht zur Realität werden würde, wenn ich mich nicht fürs backen interessieren würde. Es war in der Küche furchtbar heiss, und ich war erleichtert, ins Freie zu gehen. Diese letzten Sommertage sind so wertvoll und ich versuche, jede Minute davon zu geniessen. Ich und Gil- ich meine, ich ging zum Barry's Teich und pflückte Blumen, die zu dieser Jahreszeit so luxuriös blühen. Gil- ich meine jemand-"

"Ich habe heute Diana und Ruby in der Stadt gesehen."

Anne drehte sich mit den Händen in die Hüften gestemmt zu Jerry. "Jerry! Was habe ich dir über die Unterbrechung der Gespräche zwischen Belle und mir erzählt?"

"Entschuldigung", sagte Jerry schnell. "Entschuldigung."        

Anne seufzte. "Egal. Es ist erledigt. Was hast du über Diana und Ruby gesagt?" 

"Ich habe sie in der Stadt gesehen.", wiederhole Jerry. "Ich denke nicht, dass Miss Ruby mich mag."

Anne zog sich an Belle's Stalltür hoch und setzte sich Jerry gegenüber. "Warum sagst du das?"

Er schüttelte den Kopf. "Sie hat nicht mit mir gesprochen. Sie hat nur Hallo gesagt, weil Diana sie dazu gebracht hat. Diana ist sehr nett zu mir."

Anne glühte glücklich. "Diana ist nett zu allen. Sie ist so lieb. Ich bin unendlich dankbar, eine Busenfreundin wie sie zu haben."Anne fügte hinzu: "Ich würde mir keine Sorgen um Ruby machen. Es wird schon.

Jerry sah zweifelnd aus. "Ich bin nicht so sicher. Wir kennen uns seit zwei Jahren."

"Aber ihr kennt euch nicht gut." sagte Anne. "Obwohl ich Ruby von ganzem Herzen liebe, gebe ich zu, sie neigte dazu, der Menge zu folgen. Als ich nach Avonlea kam, mochte sie mich auch nicht. Dann blieb sie eine Woche hier und jetzt sind wir wunderbare Freunde. Nicht Busenfreunde, aber sie ist nach Diana meine engste Begleiterin.

"Aber das bist du, Anne", sagte Jerry. "Jeder mag dich irgendwann- wenn man darüber hinwegkommen, dass du so komisch bist."

Anne sah ihn stirnrunzelnd an. "Ich weiss nicht, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung war."

Jerry lachte. "Ich auch nicht." 

"Wie auch immer." sagte Anne, "Magst du Ruby?"

"Was? Nein!" Er schleuderte versehentlich ein weiteres Stück Heu in die Luft. "Natürlich nicht!"

Anne grinst ihn an. "Sie ist sehr hübsch."

Jerry schüttelte den Kopf. "Ich mag sie nicht, Anne. Ruby Gillis ist nervig. Ausserdem würde sie nie einen Knecht wie mich mögen."

"Aber es wäre so romantisch!" sagte Anne. "Elegante junge Dame verliebt sich in den armen, schmutzigen--"

Jerry stoppte seine Arbeit, um Anne einen Blick zu zuwerfen.

"Oh, Entschuldigung", sagte Anne mit einem beschämten Lächeln. "Wie wäre es mit Diana? Magst du Diana?"

"Nein", sagte Jerry etwas zu schnell. 

Anne's Lächeln wurde zu einem Grinsen. "Du tust es!"

"Tue ich nicht!" protestierte Jerry.

"Gib es einfach zu. Jerry!"

"Ich gebe zu, dass ich Diana mag, wenn du zugibst, dass du Gilbert magst!" sagte Jerry.

Das wischte Anne's Grinsen aus ihrem Gesicht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sagte hochmütig: "Das gebe ich niemals zu, weil es einfach nicht stimmt!"

Jerry grinste. "Sicher."

"Es stimmt, Jerry!" behauptete Anne. "Ich habe überhaupt keine Gefühle für Gilbert!"

"Und dein Haar ist nicht rot", sagte Jerry.

"Gute Nacht, Jerry", sagte Anne hochmütig. "Ich habe mehr als genug von dir gesehen."

"Das Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit" rief Jerry, als der Rotschopf aus dem Stall lief.

The Hired Boy Ruby Gillis Jerry Baynard German TranslationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt