Kapitel 19

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"Ich sage ihr immer wieder, sie soll versuchen, mit im zu reden, aber sie sagt, es nütze nichts. Sie glaubt, dass er ihr niemals vergeben wird und dass sie seine Vergebung überhaupt nicht verdient."

Anne war beauftragt worden, nach dem Unterricht am Montagnachmittag die Tafeln zu putzen. Gilbert, der eine Gelegenheit brauchte, mit ihr über das Chaos zwischen Ruby und Jerry zu sprechen, bot seine Hilfe an. Anne stimmte widerstrebend zu.

"Ich hätte nichts sagen sollen", sagte Gilbert, als er den Tafelreiniger gegen die Wand schlug, um die überschüssige Kreide zu entfernen. "Ich denke, dass ist alles meine Schuld."

"Ist es nicht", sagte Anne. "Ruby hätte es Jerry sowieso erzählen müssen - und du weisst, ich würde dir sagen, wenn es deine Schuld wäre."

Gilbert lachte leicht. "Daran habe ich keine Zweifel.

Anne lächelte ihn an, aber dann wurde ihr bewusst, wie aufmerksam Gilbert sie ansah und sie räusperte sich hastig und sah weg. 

"Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um zu helfen", sagte Gilbert.

"Ich gehe davon aus, dass es am Ende klappen wird", sagte Anne. "Es ist nur ein Missverständnis."

"Es kann zu Missverständnissen kommen", sagte Gilbert. Er warf Anne einen Blick zu. "Wirklich ziemlich häufig."

Anne konnte nicht anders, als einen Blick auf den Jungen zu werfen. Sie stellte fest, dass er sie wieder anstarrte.

"Anne-", fing er an.

"Shirley! Blythe!" schrie Mr. Phillips.

Die beiden Schüler zuckten zusammen. Mr. Phillips stand mit verschränkten Armen hinter ihnen. "Seid ihr noch nicht fertig? Ein Schüler könnte das schneller erledigen als ihr beiden zusammen."

"Entschuldigung, Sir", sagte Anne hastig. Sie sah Gilbert an, als Mr. Phillips wegging. "Ich kann das alleine beenden. Danke für deine Hilfe."

"Bist du dir sicher?" fragte Gilbert. "Ich wäre mehr als froh, wenn ich-"

"Ich bin mir sicher, dass du das wärst", sagte Anne. "Aber ich bin mir sicher."

Gilbert seufzte. "In Ordnung."

Anne atmete erleichtert auf, als der Junge wegging. Sie wusste, dass es eine schlechte Idee gewesen war, ihm zu erlauben, ihr zu helfen. Sie wusste aber auch, dass Gilbert sich aufrichtig Sorgen um Ruby und Jerry machte, sodass sie irgendwann mit ihm hätte sprechen müssen. Das nächste Mal schicke ich ihn einfach zu Diana, dachte Anne.

Es war nicht so, dass Anne Gilbert Blythe hassen wollte. Zugegeben sie hatten einen schlechten Start ( wie sie ihn mit ihrer Tafel an den Kopf geschlagen hat und so), aber von ihrem ersten Treffen an schien es, als stünde ihnen etwas im Wege, eine gute Beziehung zu haben. Obwohl Anne es niemals zugeben würde, hatte es viel mit ihrem Stolz zu tun. Sich mit dem Jungen anzufreunden, würde das ihre Ehre beschmutzen.

Manchmal (sehr selten) gestattete sich Anne, sich zu fragen , wie es wohl wäre, mit Gilbert befreundet zu sein. Sie waren beide gebildet und entschlossen. Anne dachte, wenn er sie vielleicht nicht an den Haaren gezogen und sie Karotte genannt hätte, hätten sie sich vielleicht ganz gut verstanden.

Im Sommer kamen beide besser miteinander aus. Sie dachte an den Spaziergang eines Abends am See des glitzerndem Wassers. Es fühlte sich so an, als wäre es schon Jahre her. 

Anne war von einem Besuch der Sloane's Familie nach Hause gegangen (Charlies Schwester Carie hatte sich einen Faden von Anne geliehen) und hatte beschlossen, den langen Weg an einem Fluss vorbei zu nehmen. Unterwegs hatte sie Gilbert getroffen. Da er auf dem selben Weg in die selbe Richtung lief, konnte Anne nicht viel dagegen tun. Anne hatte wieder ihre gewöhnliche kalte Gleichgültigkeit gegenüber dem Jungen angenommen, aber als Gilbert anfing, über einen Roman zu reden, den er kürzlich gelesen hatte, scheiterten alle ihre versuche, cool zu bleiben. Und bald unterhielten sich beide glücklich, als ob sie sich immer verstanden hätten.

The Hired Boy Ruby Gillis Jerry Baynard German TranslationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt