1. Kapitel - Prolog 1 (Interview)

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Das blaue Kleid schließt sich um meine Hüften, als ich einen von einer großen Fensterfront gezierten Büroraum betrete. Die Lichtstoffröhren an der Rehgipsdecke sind ausgeschaltet, da statt ihnen die hoch stehende Mittagssonne den kleinen Raum zur Genüge erhellt. An beiden der Wände stehen große, schwer aussehende Regale aus dunklem Holz gefüllt mit Ordnern und Organisierungshilfen in allen Farben.

Als die junge Frau, die mir soeben am Aufzug bereits die Jacke abnahm und mich zu diesem begleitete, die leicht knarrende Tür hinter mir schließt, erkenne ich einen gut gefüllten Terminkalender, welcher an der Tür hängt. Geradezu automatisch wandert mein Blick auf das Datum von heute - der 16. Juli 2025. Ein offenbar recht flüchtig geschriebenes 'Mrs. Hermann - Interview' lässt mich schmunzeln, bevor ich mich zum Schreibtisch herumdrehe, welcher mit seinen zahlreichen Schubladen aus dem gleichen dunklen Holz besteht wie die Bücherregale. Auf seiner glatt polierten Oberfläche stehen - neben dem weiß verkleideten Computer - einige eingerahmte Bilder von einem kleinen blonden Jungen, der vergnügt in die Kamera grinst.

,, Bitte setzen Sie sich", erklingt die helle Stimme der Redakteurin und ich lasse mich nieder sinken:,, Kann ich Ihnen etwas anbieten? Tee, Kaffee?"

,, Ein Wasser, wenn es geht, danke", ich lächle sie warmherzig an, während ich meine kleine Umhängetasche aus weichem Leder über die Stuhllehne hänge und schließlich auf die Fotos des Kindes deute:,, Ist das Ihrer?"

,, Ja, das ist Jan", sie lächelt stolz auf die Fotos herüber:,, Mein Kleiner. Er wird nächsten Monat schon fünf."

,, So groß ist er schon", mit einem Lächeln wandert mein Blick über die weiteren Fotos, die Jan offenbar bei diversen Unternehmungen - wie beispielsweise Zoobesuchen - zeigen.

,, Ja, die Zeit vergeht wie im Flug", sofort legt sich ein Lächeln auf ihr schmales Gesicht wie es nur von einer stolzen Mutter kommen kann.

Schnell schlüpft die Frau mit den kurzen hellbraunen Haaren in einem knielangen hellblauen Kleid aus dem Raum, bevor ich einige Augenblicke später ihre Stimme vernehme:,, Mit Sprudel oder lieber still?" Ihre Stimme erklingt zweifellos von einiger Entfernung den Flur herunter deutlich an den Wänden widerhallend in meine Richtung.

,, Mit Kohlensäure", antworte ich und schalte mit einer fließenden Bewegung mein Smartphone ab - nicht, dass es uns bei diesem Gespräch stört.

Kurz darauf höre ich wieder das sachte Knarzen der Bürotür und ein gefülltes Wasserglas wird vor mir auf den Tisch abgestellt:,, So bitte sehr."

Zaghaft nippe ich daran, bevor ich schließlich frage:,, Vielen Dank. Stressiger Tag?"

,, Nur der übliche Stress", sie öffnet die Hülle ihres Tablets:,, Warum fragen Sie?"

,, Nun, mir die Jacke abnehmen, mich in den Raum geleiten, mir ein Getränk organisieren", ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch und lege den Kopf schief, während ich an den Fingern abzähle:,, Das wirkt auf mich nicht wie der Beruf einer Redakteurin, oder?"

,, Nein, da haben Sie Recht", sie zieht eine Packung Kekse aus einer der Schubladen:,, Aber eigentlich stellt man solche Fragen nicht. Lassen Sie das meine Sorge sein."

,, Oh, das tut mir leid", ich mache eine hastige entschuldigende Geste:,, Ich wollte Sie keinesfalls angreifen oder beleidigen. Es fiel mir nur so auf. Ich möchte mich entschuldigen. Ich bin bloß so nervös. Das ist mein erstes Interview, müssen Sie wissen."

,, Wirklich?", sie beginnt eifrig auf dem Bildschirm des Tablets herumzutippen:,, Mit so einer interessanten Vergangenheit, die so außerordentlich in die heutigen Magazine passt? Dann wird es wohl höchste Zeit, dass wir hier beginnen und den Menschen von Ihrer Geschichte erzählen."

,, Meinen Sie wirklich, dass die Geschichte eines normalen bürgerlichen Frau wie mir so viele ansprechen wird?", ungläubig schaue ich zu ihr herüber.

,, Natürlich", sie lächelt zu mir herüber:,, Schließlich sind sie den Kinderschuhen dieser Bürgerlichkeit schon seit längster Zeit entwachsen. Also lassen Sie uns beginnen."

,, In Ordnung", ich lehne mich mit übereinander geschlagenen Beinen in meinem Stuhl zurück, während ich einen der Haferkekse zwischen meinen Fingern hin und her wiege als würde ich ihn genaustens inspizieren wollen.

,, Es ist wohl vielen unserer Leser bekannt, dass Sie eine eher einzigartige- ja schon fast als ausgefallen zu bezeichnende sexuelle Entwicklung durchlebt haben. Darauf werden wir in den folgenden Fragen noch weiter eingehen. Jedoch wird unsere Leser bestimmt interessieren inwiefern dieser Hintergrund Sie in Ihrem Leben beeinflusst hat und wie Sie rückblickend über Ihre einstigen Entscheidungen denken."

Ich hole tief Luft und beginne schließlich zu sprechen:,, Nun, rückblickend kann ich nur behaupten, dass meine damaligen Entscheidungen für mich das Einzig Richtige waren. Ich war jung, ich wollte Leben. Ich brauchte damals genauso die Dominanz von Heiko, wie ich zeitweise die eher leichte Hand von Morgan brauchte. Für Menschen wie Sie, die nur mein Buch gelesen haben, sind sie Fiktion und somit nicht real. Dass tatsächlich lebendige Menschen hinter den Figuren auf dem Papier stehen, kommt vielen gar nicht in den Sinn. Viele Jugendliche wollen das Nest in dem Alter, in dem ich dies tat, noch nicht verlassen. Das ist okay. Aber für mich schien das als der einzig richtige Weg, der sich schließlich als ein Pfad meines Glücks herausstellte. Meine ersten sexuellen Erfahrungen, welche auf die ersten romantischen Gefühle, die ich jemals für eine Person hatte, folgten, waren grundlegend für die Person, die ich heute bin."

Blooming - Until you meet the oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt