11. Kapitel - Der Zettel Teil 2

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Der erste Blick wandert daraufhin auf die Uhr meines Handys, die zeigt, dass es fünf nach halb zwölf zu sein scheint, als ich die Decke auf die Seite schlage und meine Beine aus dem Bett schwinge. Noch etwas benommen von meiner kurzen morgendlichen Einlage, tapse ich in das anliegende Badezimmer.

Ein Blick in den Spiegel und ich weiß, dass die vergangenen zehn Stunden dementsprechend wild gewesen sein müssen. Wer weiß schließlich was Heiko im weiteren Verlauf meines Traums noch mit mir angestellt hätte, hätte mich mein Unterbewusstsein nicht vorher knallhart aus jenem heraus katapultiert. Zu aller erst jage ich mir eine Hand kaltes Wasser durch mein von ironisch wunderschönen Augenringen geziertes Gesicht. Meine durchweg strubbeligen Haare unterziehe ich einer Sonderbehandlung mit der Bürste, bis sie sich glatt und ordentlich gescheitelt auf meinen Rücken ergießen.

Danach verlasse ich mein Zimmer und gehe noch im Schlafanzug die Treppe herunter in die Küche. Ohne die Anstalten meines Gehirns, das augenscheinlich mit aller Kraft versucht die Bilder von gestern Abend erneut in meinen Kopf zu hämmern, zu beachten, greife ich nach der Schachtel mit Cornflakes. Gerade möchte ich diese in die Schüssel geben, da fallen mir zwei unschuldig wirkende, an die Obstschale gelehnte Notizzettel auf.

Bevor ich ihnen jedoch Aufmerksamkeit schenken kann, landen zunächst die Cornflakes- gefolgt von der Milch in der Müslischale vor mir. Erst nach einigen sättigenden Löffeln mit Cornflakes, greife ich noch kauend zum ersten der Zettel mit einer Botschaft meiner Mutter.

,, Hallo, Schätzchen. Wir sind noch arbeiten. Es wird heute wahrscheinlich etwas später werden. In der Kühltruhe wartet eine Pizza auf dich. Küsschen, Mama", lächelnd schaue ich auf die geschwungene Handschrift, bevor ich zum zweiten Zettel greife.

Jedoch lässt mich der Inhalt dieses Zettels für einen kurzen Moment vergessen wo ich bin:,, +61 9317 586591 Heiko." Meine Umwelt scheint sich kurz zu drehen, bis sie wieder ihre Balance findet und ich diese zwei kurzen Zeilen erneut überfliegen muss - als hätte ich sie nicht verstanden.

Das ist Heiko Herrmanns Handynummer. Die Nummer des Manns, der mich gestern dazu bewegte, aus freien Stücken, den Körper eines außenstehenden männlichen Wesens zu begehren, was ich davor für geradezu unmöglich hielt.

Hat er diesen Zettel selbst geschrieben? Die Handschrift ist jedenfalls weder von Oli noch von Susanne, was stark darauf hindeutet. Der darauffolgende innere Konflikt, ob ich diese, mir zufällig zugeflogene, Nummer nun einspeichern- und zu meinem Vorteil - sofern man das als Vorteil bezeichnen kann - nutzen sollte, wird von einer Nachricht auf meinem Display unterbrochen.

Der Name 'Felix' blinkt hell auf, bevor ich auf WhatsApp tippe und unseren Chat öffne:

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- Felix
Na, hast du noch jemanden zum Beeindrucken gefunden? 😏😄

Emi -
Das klingt jetzt vielleicht sehr seltsam, aber ich glaube das könnte tatsächlich der Fall sein 😳😅

- Felix
Ich will alles wissen 🤯

Emi -
Das möchte ich nicht gerne auf WhatsApp besprechen 😬

- Felix
Passt es dir morgen Mittag? 😉 So um eins

Emi -
Ja :) morgen Mittag ist gut...

- Felix
Jetzt bin ich aber wirklich gespannt 🤩

Emi -
Diese Spannung wirst du wohl noch etwas aushalten müssen 😄

- Felix
Hoffentlich überforderst du mein zerbrechliches Gemüt da mal nicht, Ravioli 😂

Emi -
Da musst du jetzt durch, aber freu' dich schon mal auf morgen 🤷🏽‍♀️

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Also lege ich mein Handy zur Seite und richte meinen Blick erneut starr auf den Zettel. Was soll ich nun mit ihm tun? Es wäre so seltsam mit ihm Kontakt zu haben, oder nicht? Schließlich weiß ich noch nicht was ich aus diesem Gefühlschaos machen soll.

Was wenn daraus in der Zukunft ein Schamgefühl wird? Dann wird es unmöglich für mich sein Kontakt mit dem Mann zu führen, der all das unweigerlich verursacht.

Oder was wäre, wenn sich - entgegen meiner Erwartungen - die Lust nur noch steigert je länger ich ihn kenne. Wenn er das selbe empfindet wie ich, obwohl er ja eine Beziehung führt.

Das wäre allerdings auch noch einen Punkt in dieser Diskussion wert. Wenn er eine ernsthafte Beziehung mit Michael zu führen scheint - dessen Namen ich mir unerwarteter Weise tatsächlich merken kann ohne ihn zu notieren -, wäre es doch alles andere als moralisch vertretbar diese Sache weiter bestehen zu lassen. Was auch immer ,,diese Sache" eigentlich sein soll.

Auf der anderen Seite stünde, entgegen meiner Erwartungen, erstaunlich wenig. Obwohl meine Taten, Gedanken und Gefühle grundsätzlich anders argumentieren.

Wenn ich schon einen solchen innerlichen Monolog halten muss, um mir eine Meinung in puncto 'virtueller Kontakt mit ihm' klar zu werden, wie soll ich dann reagieren, wenn er doch plötzlich mehr wollen würde? Jedoch ist dieser Gedanken viel zu weit - ja geradezu rasant - vorweg gegriffen und sollte mich nicht weiter beunruhigen. Das rede ich mir zumindest zu meiner Beruhigung ein.

Also greife ich mir mein Handy und den Zettel und tue das, wogegen ich soeben noch felsenfest argumentieren konnte. Ich tue es, weil mein Gefühl keine andere Handlung zulässt als eben diese, und nicht etwa, weil nichts dagegen spräche - von einem triftigen Grund dafür ganz zu schweigen. 

So fliegen meine Finger geradezu über den Handybildschirm, als ich die Nummer abtippe, den Kontakt 'Heiko' taufe und daraufhin schließlich WhatsApp öffne. Voller Vorfreude blättere ich durch meine Kontakte und stoße plötzlich auf die Kategorie 'H', in welcher mir schnell ein mir unbekanntes Profilbild entgegen springt. Ohne lange darüber nachzudenken tippe ich darauf und lasse meine Augen jeden Pixel dieses Bildes abgrasen.

Es zeigt Heiko von hinten. Wie er im Sonnenuntergang auf der Dachterrasse eines Wolkenkratzers steht und Michael im Arm hält. Seinen, mit einer Kordel befestigten, Strohhut lässt er lässig über seine Schultern hängen, während er Michael einen sanft wirkenden Kuss auf die Stirn gibt. Die Sonne im Hintergrund lässt tausende Farben über den endlos wirkenden Himmel schimmern - die gesamte Komposition grenzt bereits an ein Gemälde. 

Er scheint tatsächlich in einer vollkommen anderen Liga zu spielen als ich. Wenn er im Sonnenuntergang auf einem Wolkenkratzer steht als würde er das jeden Tag machen. Zweifellos war er schon an unzähligen Orten, während ich immer nur hier war - im langweiligen, eintönigen Hopetoun.

Aber wieso mache ich mich eigentlich damit verrückt? Wenn ihn das stören würde, hätte es gar nicht zu der Situation in der Küche kommen können. Und dort schien ihm gefallen zu haben, was er sah. Zumindest scheint es ihm genug gefallen zu haben, um sich in der nächsten Sekunde umzudrehen und den Raum fluchtartig zu verlassen.

Außerdem ist der entscheidende Punkt nicht etwa, ob es ihn stören würde. Es geht zentral darum, ob es mich stören würde, dass der Mann, von dem ich - ich! - tatsächlich wollte, dass er mich küsst - der Mann, den ich beinahe angefleht hätte -, in einer völlig anderen Liga spielt als ich.

Es besteht dringendst Klärungsbedarf - für mein Gemüt und mich - und das ist der einzige Punkt, der für den Kontakt zu Heiko spricht. Ich muss herausfinden was ich für Heiko empfinde und was das für uns heißt. Denn das Gefühl, welches mich seit gestern Abend quält, kenne ich nicht. Und es macht mir Angst.

Bevor mich jedoch meine Aufregung wieder einholt, gehe ich wieder auf den Chat zurück und beginne zu tippen:
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Emi -
Hi 😊
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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 12, 2020 ⏰

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Blooming - Until you meet the oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt