10. Kapitel

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Zusammen gekauert sitze ich in der Dunkelheit. Ein penetrantes Zittern zieht sich durch meinen Körper. Ich ziehe meine Knie an meine Brust, schlinge meine Arme darum und kauere mich noch enger zusammen.

Einen flüchtigen Blick werfe ich zwischen meinen Knien hindurch und erkenne einen endlosen, finsteren, einengenden Gang. Ein erstickender Geruch nach Schimmel, Moder und lange verflogenem Zigarettenrauch quält sich in meine Nase hinein und lässt mir den Atem stocken. Mit jeder Sekunde scheint es um mich immer unerträglich kälter zu werden.

In der Ferne erkenne ich ein winziges Licht - wie eine Kerzenflamme aus mehreren Hundert Metern Entfernung. Ich beginne zu schlottern. Meine Knie scheinen geradezu aneinander zu schlagen wie die fleischlosen Gliedmaßen eines Skeletts.

Ich fahre zusammen.

Ein dumpfes Geräusch ertönt. Ein Knall, ein Schlag, ein Schritt schwerer Stiefel. Näher ziehe ich meine Knie an meine Brust.

Ein erneuter Knall und noch einer und noch einer und noch einer. Noch ein Knall, noch ein Knall, noch ein Schlag, noch ein Schritt.

Immer lauter, immer dumpfer, immer näher- Mit jedem Knall ziehe ich meine Knie näher an mich. Flehend kauere ich auf dem feuchten Boden und schicke Gebete gen Himmel. Die Schritte sollen bloß dieses Mal an mir vorbei gehen.

Doch scheine ich niemanden zu interessieren, denn das dumpfe Geräusch schwerer Lederstiefel auf knarzendem Holzboden kristallisiert sich aus dem undefinierbaren Knallen heraus.

Zu vergleichen ist dies mit der Empfindung, sobald eine fette, zappelige Made aus einem roten, frischen, glänzenden Apfel kriecht, nachdem man von diesem einen großen Bissen nahm. Langsam breitet sich dieser unbekannte Geschmack nach eiweißhaltiger Made im Mund aus, während man diese mit den Zähnen zermalmt. Genauso würde ich in diesem Augenblick gerne das in meinen Ohren dröhnende Geräusch der Lederstiefel zermalmen und ihm so ein jähes Ende setzen. Doch das steht nicht in meiner Macht. Ich würde dieses anwidernde Gefühl gerne verdrängen und es niemals wieder in meinem Leben empfinden - stattdessen breitet es sich immer weiter in mir aus und lässt mich nicht mehr los. Bloß die blanke Panik, welche mich nun zu durchströmen beginnt, hält mich noch davon ab mich zu übergeben.

Weiter und weiter macht sich Panik in mir breit, meine Lunge lässt keine Atmung mehr zu, meine Nägel krallen sich in den klebrigen Teppichboden unter mir.

,, Mausi", rasend weiten sich meine Pupillen, als die mir nur allzu bekannte säuselnde Stimme zu mir durchdringt:,, Wer ist meine Lieblingstochter?" Zum Zerreißen gespannt, kauere ich mich noch weiter zusammen. Es ist als könnte ich bereits spüren, wie sich seine klebrigen Fangarme um mich schließen, und meine Nackenhaare stellen sich auf. Während mir ein beißender Geruch nach Alkohol in die Nase steigt, beobachte ich unfähig zu handeln wie sich seine Fänge immer weiter um mich winden. Mir wird übel.

,, Nein!", möchte ich schreien, aber nur ein erstickter Laut verlässt meine Kehle. Ohne zu überlegen springe ich auf die Füße und entziehe mich seinem Griff, der einer Fliegenfalle geähnelt hätte - ich bliebe darin ohne eine Aussicht auf Rettung kleben. Ein weiterer lautloser Schrei löst sich von meinen Stimmbändern. Als würden meine Beine jeden Augenblick nachgeben zittern diese, während seine Krallen nochmals nach mir greifen, aber ich fliehe bereits - renne ohne einen weiteren Gedanken- oder Blick zurück den Gang entlang.

Meine Körper - in blanke Panik verfallen - beginnt sich taub anzufühlen, als seine Schritte beginnen sich zu beschleunigen. Er folgt mir. Ich spüre bereits wieder seinen heißen Atem in meinem Nacken, seinen Schweiß auf meiner Haut, seine Alkoholfahne in meiner Nase.

Noch geben meine Beine nicht nach und so laufe ich und laufe und laufe. Immer weiter den Gang herunter, an dessen Ende ich auf die Rettung hoffe, von der ein Teil von mir - welcher den Verlauf dieses Traums bereits vermehrt miterleben musste - sicher weiß, dass sie nie eintreten wird.

Mit einer Atmung, welcher einem Güterzug gleicht, hetze ich auf die heuchlerisch sicher aussehende Tür, die wie aus dem Nichts dort erschien, am Ende des endlosen Gangs zu. In diesem Augenblick fühlt dieser sich tatsächlich um ein vielfaches endloser an als er vor wenigen Augenblicken noch wirkte.

Gerade als ich glaube, dass meine Beine jeden Moment nachgeben, erreiche ich die schwere Feuerschutztür und meine Hände klammern sich an die Türklinke. Panisch zerre ich und glaube kurz, dass sie klemmt, doch schließlich schwingt sie auf und eine kalte Windböe schießt mir entgegen. Ich möchte gerade tief durchatmen und endlich über ihre Schwelle hinweg treten, doch in dieser Sekunde erfasst mich eine ungeheure Kraft und schleudert mich zurück, bevor die Tür laut zuknallt.

Zurück an den Anfang des Gangs, zurück in die Panik, zurück zur Alkoholfahne und dem klebrigen Teppichboden. Mit einem Mal sind die knallenden Schritte zurück und ich möchte mich bereits nach weiteren Fluchtmöglichkeiten umschauen. Da wird mir bewusst, dass ich mich in einer mickrigen Kammer befinde. Sie hat keine Fenster, kein Licht und bloß eine Tür, unter deren Schwelle sich das einzige erkennbare Licht hindurch windet.

Plötzlich sind zwei deutliche Schatten zu erkennen, welche sich der Tür nähern und vor dieser zum stehen kommen. Ich höre seinen schweren Atem, höre wie die Türklinke knarzt, als er diese mit seinen Krallen umschließt, und wie er diese schließlich herunter drückt. Die Holztür schwingt auf und sein monströser, massiver Körper steht vor mir.

Ich möchte aufspringen, fliehen, rennen, mich dem entziehen, schreien, kreischen, um Gnade flehen, doch all dies scheint mich verlassen zu haben. Ich bin verlassen.

So unbedeutend muss ich sein.

Blooming - Until you meet the oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt