„Man sieht, dass du gern isst."

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Diesen lieb gemeinten Satz, bezogen auf meine Figur, hasse ich!

Weil es nicht stimmt! Nicht in meinem Fall!

Ich habe ein ziemlich schlechtes Verhältnis zum Essen. Sätze wie 'Essen mit Genuss' oder ähnliche kann ich kaum ertragen. Wenn es nicht lebensnotwendig wäre, würde ich komplett aufs Essen verzichten! Warum?

Weil das Thema Essen für mich sehr negativ besetzt ist. Es bedeutet - meist unterbewusst - eine Konfliktsituation. Ich mache mir also während des Essens nicht bewusst Gedanken darüber. Aber wenn ich drauf achte, spüre ich den inneren Stress, esse meist schnell, um es hinter mich zu bringen.

Es gibt auch positive Momente, wenn ich etwas extrem gerne mag oder es mir sehr gut geht. Ein gutes Eis z.B. kann ich sehr genießen. Mache es aber aus der Vernunft heraus eher selten.

Es ist doch so: Ein trockener Alkoholiker hat es sicher schwer, muss aber nie wieder Alkohol trinken, weil unser Körper es nicht zum Leben braucht. Dasselbe gilt für Raucher. Wenn allerdings das Essen zur Sucht wird, ist das Ganze so gemein, weil wir unser Leben lang essen müssen. Das heißt, den Weg der Vermeidung gibts nicht wirklich. Das wird der Grund sein, warum ich mir schon als Kind im Stillen extrem positive Geschichten während des Essens ausgedacht habe. Wie mir heute klar ist, um dem Ganzen etwas schönes zu geben und keine negativen Gefühle ertragen zu müssen. Also schon Vermeidung, so gut es eben ging.

Dann kam die schwere Zeit als Teenie. Und mit ihr die Fress-Anfälle. Ich kam mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht zurecht. Hatte ich bisher generell zu viel gegessen, überkamen mich nun richtige Fress-Anfälle. Man bezeichnet das auch als 'Binge-eating-disorder'. Wie in Trance war ich, während es passierte. Heimlich aß ich bis zu einem schmerzhaften Völlegefühl. Diese eigentlich höchst unangenehme Situation verwandelte sich. Der seelische Schmerz wich dem körperlichen. Es entwickelte sich so eine Art leichter Sprudel, der angenehm und beruhigend durch den ganzen Körper zog. Mein Körper hatte dieses Gefühl regelrecht erlernt!!! Denn ich habe seit Jahren mit den Fress-Anfällen dauerhaft aufgehört. Und manchmal esse ich tatsächlich aus Versehen viel zu viel. Wenn ich was nebenbei mache und nicht drauf achte. Erst wunderte ich mich, dass ich mich plötzlich psychisch schlecht fühlte. Dann setzte dieses erlösende Sprudeln nicht ein, und es war unendlich unangenehm, zu Warten, bis dieses ekelhafte Völlegefühl wieder endete.

Übergeben hatte ich früher ein Mal vergebens versucht. Heute bin ich unendlich dankbar, dass es nicht funktioniert hat. Meine Schwester lebt mir in allen Facetten seit Jahren vor, welche schrecklichen Fratzen Bulimie und auch Magersucht haben können. Übergewicht mag belastend sein und Risiken einschließen. Aber so lange man damit noch den Alltag bewältigen kann, empfinde ich es als deutlich weniger und langsamer zerstörend als die andere Richtung der Essstörungen.

So oder so sind solche Fress-Anfälle in Verbindung mit Übergewicht auch selbstschädigendes Verhalten.

Mein Selbsthass wuchs nach jeder Ess-Attacke und mit meinem zunehmend von Fett verformten Körper.

Mit Therapie und viel Disziplin bin ich seit ein paar Jahren 'clean'. Ohne bewussten Fress-Anfall.

Ich könnte stolz darauf sein...

Doch mein über Jahre angefressenes Gewicht demütigt mich täglich. Ja wirklich, ich empfinde es als tiefe Demütigung, mit diesem Körper leben zu müssen. Nicht aus der eigenen Haut zu können.

Diese ekelhaften Speckmassen... Wenn das ginge, würde ich einfach ein Messer nehmen und alles rundherum wegschneiden!!!

Ich beame mich oft weg, bis zur Dissoziation. Damit meine Seele durchatmen kann...

Niemand is(s)t gerne unglücklich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt