1.1 "Sie war direkt hinter mir!"

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"Dieses Dorf ist so blöd. Ich mag es nicht. Die anderen Kinder mögen mich nicht."

"Sowas sagt man nicht, Amanda!"

Meine Mutter schaut mich an und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Meine Mama ist die hübscheste Mama der Welt!

"Mama? Ich hab dich lieb!"

"Ich weiß, mein Schatz. Aber du musst dich jetzt trotzdem fertigmachen. Aiden kommt bald und bringt dich zu Sabrina! Na komm! Steh auf!"

"Ich bin schon erwachsen, Mama! Sabrina muss mir nicht mehr Unterricht geben!"

Meine Mum lacht:
"Ach Liebling, du bist erst 10! Und du sagst immer das dir der Unterricht mit Sabrina Spaß macht. Bitte. Sie tut das nur für dich."

Sabrina und Mama sind beste Freundinnen seitdem sie Kinder sind. Weil es in unserem Dorf keine Schule gibt, bringt sie mir einfaches Rechnen, Lesen und Schreiben bei. Ich stehe auf und ziehe mir das Kleid über, das Mama mir herausgesucht hat. Ich stehe vor dem Spiegel und betrachte mich, als meine Mama kommt und meine Haare bürstet. Sie flechtet mir einen langen Zopf, dann legt sie behutsam ihre Hände auf meine Schulter. Wir betrachten uns beide im Spiegel.

"Du siehst wirklich hübsch aus, Mandy!",
sagt sie und gibt mir einen Kuss auf den Kopf. Ich blicke verlegen nach unten, als es an unserer Tür klopft.

"Das muss Aiden sein! Komm Schätzchen!"

Ich schnappe mir meine Puppe Marry und laufe mit ihr an die Tür, Mama öffnet.

"Aiden! Komm rein! Wie geht es deinen Eltern?"

"Danke, Mrs. Mason! Es geht ihnen super! Hey! Ame! Du siehst ja noch ganz verschlafen aus.",
lacht er und rennt auf mich zu. Er umarmt mich und sagt:
"Wow! Du siehst wie eine richtige Lady aus. Lady Ame, darf ich Sie zu Sabrina begleiten?"

Ich lache und mache einen Knicks. Aiden ist der einzige der mich Ame nennt. Zwar ist er 6 Jahre älter als ich, aber er ist wie ein Bruder für mich. Wahrscheinlich ist er auch einer der wenigen in diesem Dorf, die mich mögen. Kurz bevor wir durch die Tür treten schaut meine Mutter Aiden ernst an und sagt:

"Pass bitte gut auf sie auf!"

"Natürlich. Machen Sie sich keine Sorgen."

Meine Mum drückt mir noch eine Scheibe Brot in die Hand, als Frühstück. Wir haben nicht viel zum Essen. Papa bekommt sehr wenig Geld für seine Arbeit.

Aiden bringt mich immer überall hin. Mit 16 Jahren muss er hier noch nicht arbeiten, allerdings weiß er sehr gut wie böse der Dorfälteste ist. Er klaut das Geld von vielen hier – auch von uns – und lässt das Dorf verarmen. In den letzten 10 Jahren hat er wohl oft auch Krieg mit großen Ländern angefangen, sagt Mama. Und das, obwohl unser kleines Dorf gar nichts tun kann, wenn wir angegriffen werden. Jedenfalls verschwinden Menschen ganz oft, wenn sie etwas klauen oder andere Dinge tun, die dem Häuptling nicht gefallen. Meistens hängen sie auf dem Marktplatz in der Mitte des Dorfes als Warnung für die anderen hier. Das hat mir Aiden erzählt, Mum redet nicht gerne drüber. Deshalb will sie auch immer das Aiden auf mich aufpasst.

"Wir sind da, Ame!"

Ich umarme Aiden zum Abschied und trete ein. Ich habe Sabrina eigentlich wirklich gern und ihr Unterricht macht Spaß, aber heute habe ich irgendwie keine Lust darauf. Meistens bin ich bis zum Mittag bei ihr und es ist gerade erst Vormittag.

Ich hänge gerade über meiner Matheaufgabe und Sabrina versucht sie mir zum hundertsten Mal zu erklären. Ich rücke Marrys Kopf zurecht, die neben mir auf dem Tisch sitzt. Sie muss ja auch etwas sehen könen... Wenn sie das nicht versteht, dann verstehe ich das auch nicht. Sabrina zeichnet mir gerade etwas auf, als ihre Hand zu zittern beginnt. Sofort hält Sabrina inne und läuft zum Fenster. Ich sehe wie das Wasser in meinem Glas leichte Wellen bildet. Kurz darauf spüre ich, wie der Stuhl und der Boden leicht vibrieren. Ich spüre mein Herz schneller rasen. Ich blicke ängstlich zu Sabrina. Sie steht wie erstarrt da.

"Sabrina? Was ist da...",
will ich ängstlich fragen, als ich auf einmal einen lauten Knall höre.

Keine Sekunde später zersplittert das Fenster von Sabrinas Wohnzimmer in tausende Teile. Eine unglaubliche Kraft drückt mich vom Stuhl, der mit mir zusammen umkippt. Schockiert reiße ich die Augen auf. Sabrina greift nach mir und zieht mich aus der Tür.

"Renn!",
 schreit sie.

"Aber Marry ist noch...",
sage ich und will zurück gehen.

Doch Sabrina hält mich zurück und schiebt mich in die entgegengesetzte Richtung:
"Dafür ist keine Zeit. Na los!

Ich weiß nicht was ich tun soll und lasse mich von Sabrina mitziehen. Durch ein weiteres, sehr lautes Knallen werden unsere Hände auseinander gerissen und ich falle hin. Ich spüre in der Ferne den Boden vibrieren. Hören tue ich gar nichts, außer einem lauten Piepen im Ohr. Ihr höre auch nichts, als Sabrina wieder vor mir steht, an meinem Arm zerrt und irgendetwas brüllt. Ich stehe auf und renne mit ihr. Wir sind fast am Marktplatz angekommen, als ich mitbekomme wie sie mir sagt, dass ich den anderen hinterherlaufen soll. Ich schaue sie an und Sabrina nickt mir zu.

"Los! JETZT!"

Ich renne los und sehe weiter hinten Aiden. Er kommt mir entgegen und bringt mich in einen dunklen Raum, wo schon viele Dorfbewohner auf dem Boden sitzen. Einige von ihnen haben Öllampen angezündet.

"Mandy!", höre ich meine Mutter sagen, die ein paar Meter weiter in der Ecke hockt.

"Mom!" rufe ich, während mir die Tränen übers Gesicht laufen,
"Marry ist noch da draußen!"

Sie nimmt mich ganz fest in den Arm.

"Mandy? Weißt du wo Sabrina ist?"

"Sie war direkt hinter mir! Sie kommt bestimmt gleich, Mama!"

Doch Sabrina ist nach einer Weile immer noch nicht da. Wahrscheinlich ist sie in dem zweiten Raum. Ich hoffe es geht ihr gut...

Ich setze mich neben meine Mama, ziehe meine Beine an mich und versenke meinen Kopf darin. Die Tränen wollen nicht aufhören zu laufen. Ich habe solche Angst! Nach einer Weile bin ich nicht mehr sicher, was die lauten Knalle sind. Ob es mein schnell schlagendes Herz ist oder ob es von draußen kommt.

- - - - -

Okay... Also... Nehmen sie mir das jetzt nicht übel, aber ich habe nicht wirklich viel verstanden, von dem was sie da erzählen...",
versucht mir die Fremde vorsichtig beizubringen.

Ich wäge noch immer ab, ob ich ihr trauen sollte...

Ich habe damals auch nicht viel verstanden... Ich war, wie bereits erwähnt, erst 10 Jahre alt. Wenn sie eine Frage haben... Stellen sie die doch einfach...",
schlage ich vor.

Gut... Also... Dieses Knallen... Das waren Bomben? Ihr Dorf wurde angegriffen? Verstehe ich das richtig?"

Korrekt!",
nicke ich bestätigend und nehme einen Schluck meines inzwischen kalt gewordenen Tees,
Unser Dorf hatte einen Dorfältesten. Er war nicht gerade von der feinen Sorte... Hat öfter mal Menschen umgebracht und sein eigenes Ding durchgezogen. So weit ich weiß, nennt man sowas ja auch Diktator in der modernen Welt?!"

Die Frau nickt gedankenversunken:
Gab es solche Angriffe öfter?"

Ja. Er hat sich oft mit anderen Dörfern oder sogar Städten angelegt, die uns bei weitem überlegen waren... Deshalb hatten wir Dorfbewohner auch Bunker gebaut mit der Zeit... So hat man es mir stets erzählt. Nur dieses Mal... Dieses mal hatte er sich mit den Falschen angelegt... Er ging zu weit..."

Die Frau tippt wie wild auf ihrem Laptop herum. Dann blickt sie auf und macht eine einladende Handbewegung:
Bitte... Fahren sie fort!"

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Der erste Teil. Wie immer vielen Dank fürs Lesen. Und immer her mit den Verbesserungsvorschlägen. :)
Mich würde Deine Meinung unglaublich dolle interessieren.
~K

Into the EyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt