1.2 "Auf dem Marktplatz..."

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Ich muss irgendwann eigeschlafen sein, denn meine Mama weckt mich in meinem Bett. Sie sieht irgendwie unglücklich aus.

"Morgen, Schatz."

"Wie bin ich in mein Bett gekommen?"

"Aiden hat dich heute früh rüber getragen."

"Oh. Okay. Ist alles okay, Mama?"

"Ja, alles prima. Du hast heute frei! Du musst heute nicht zum Unterricht."

"Schon okay, ich gehe gerne Mum!"

"DU GEHST NICHT!",
fängt sie an und ich zucke erschrocken zusammen,
"Ich... Tut mir leid, Schätzchen. Es ist nur..."

Sie rennt schluchzend aus meinem Zimmer. Was ist nur los mit ihr? Ich bekomme ein unwohles Kribbeln in meinem Bauch. Mein Vater kommt ein paar Minuten später rein.

"Hey, Mandy!"

Papa setzt sich auf mein Bett und ich klettere auf seinen Schoß. Er umarmt mich und streichelt meinen Rücken.

"Was ist mit Mama los?"

"Mama geht es heute nicht so gut, Liebling."

"Was hat sie?"

"Ich glaube sie vermisst Sabrina."

"Wieso? Wo ist sie denn?"

Papa löst sich aus der Umarmung. Und weicht meinem Blick aus.

"Sie ist für eine Weile weg..."

"Okay..."

Ich stehe auf und will zum Eingangsbereich laufen.

"NEIN! AMANDA!",
höre ich meinen Vater noch rufen.

Doch es ist zu spät. Ich habe die Tür schon geöffnet und blicke auf sehr viel schwarzen Staub. Asche, wo der Tisch einmal stand. Asche, wo einmal die Tür war. Asche überall. Und direkt vor meinen Füßen liegt der Kopf von Marry, meiner Puppe. Er ist zur Hälfte verbrannt und die Knöpfe für die Augen sind ab. Mein Vater kommt und dreht mich an den Schultern sanft um. Ich blicke ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

"U...Unser Haus.... Und Ma... Marry ist..."

"Mandy, es ist alles gut!"

Doch ich habe mich schon aus seinem Griff gelöst und renne zurück in mein Zimmer, zum Fenster, und blicke raus. Überall Häuser in Schutt und Asche. Überall große Löcher im Boden. Und eine einzige, große Aschewüste. Ich bin wie erstarrt, bis mein Vater mich erneut herumdreht.

"Mandy!",
sagt er mit einer ruhigen, sanften Stimme,
"Sieh mir in die Augen, mein Schatz! Es wird alles gut!"

Er nimmt mich in den Arm.

"Ist es für dich okay, wenn du den Tag mit Aiden verbringst? Ich muss mich um deine Mutter kümmern."

Ich nicke und renne aus meinem Zimmer. Ich weiß schon wo ich Aiden finde...

- - - - -

Ich renne zum äußeren Ende des Dorfes, wo der Wald beginnt. Ich renne immer geradeaus, bis ich zu einer großen Lichtung komme. Hier muss ich rechts. Es geht steil bergauf, bis ich schließlich freien Blick auf unser Dorf und die Umgebung habe. Aiden liegt nicht wie sonst im Gras, sondern sitzt auf einem großen Stein und blickt mit steinernem Blick auf das, was vom Dorf noch übrig ist. Ich meine etwas Hass in seinen strahlend weißen Augen erkennen zu können. So ein Augenpaar kann man nicht vergessen. Er zuckt zusammen als er mich näherkommen hört.

"Warum bist du wütend?",
frage ich.

"Du bist echt gut im Menschenlesen!",
lacht er,
"Was machst du hier?"

"Papa sagt ich soll den Tag bei dir sein, weil es Mama nicht gut geht. Weißt du wo Sabrina hin ist?"

Er schaut nervös, als wüsste er nicht was er antworten soll.

"Nein, leider nicht."

Ich setze mich neben ihn auf den Stein.

"Alles okay, Ame? Hast du Angst?",
fragt er und richtet seinen Blick in die Ferne.

"Ja! Ich mache mir Sorgen um Mama! Und? Geht es dir gut?"

"Ja",
er räuspert sich,
"Ja, meine Eltern sind auch weg, irgendwie!",
wobei seine Stimme zum Ende hin fast versagt.

Jetzt dreht er sich zu mir und schaut mir in die Augen. Er lächelt mich traurig an, seine Augen sind glasig und voller Wut und Hass.

"Oh! Okay! Wann kommen sie wieder?"

"Gar nicht, Ame. Gar nicht..."

Stille. Ich verstehe nicht ganz was er meint und mein Bauch sagt mir, dass ich besser nicht nachfragen sollte.

Er seufzt und steht auf:
"Also, was machen wir heute, Ame?"

- - - - -

Zum Abend hin spazieren wir vom Wald nach Hause. Aiden läuft mit mir quer durchs Dorf. Kurz bevor wir den Marktplatz erreichen, sehe ich einen wunderschönen Stein auf dem Boden und bücke mich, um ihn aufzuheben. Aus dem Augenwinkel sehe ich das Aiden weiterläuft. Ich stehe auf und laufe Gedankenverloren hinter Aiden her, als ich plötzlich in ihn hineinlaufe.

"Was ist los?",
frage ich,
"Warum bleibst du stehen?"

Ich höre kaum etwas. Sonst ist immer viel los auf dem Markplatz. Das hört man sonst von Weitem schon. Aber jetzt höre ich nichts.

"Aiden?"

Aiden dreht sich um, kniet sich vor mich und nimmt meinen Kopf in seine Hände. Er versperrt die Sicht auf den Platz.

"Was ist los?",
frage ich nun nervöser und verunsichert.

"Ame, ich muss bald weg. Weit weg. Du wirst mich vielleicht ganz lange nicht mehr sehen...,"
sagt er aufgeregt während er mir die ganze Zeit tief in die Augen schaut.

"Aiden, du machst mir Angst! Was bedeutet das? Warum?"

"Du wirst es irgendwann verstehen. Vertraue mir!"

Ich höre ein schrilles fiepen. Es klingt so ähnlich, als wenn jemand Feuerwerk in den Himmel schießt. Ich spüre ein leichtes vibrieren unter meinen Füßen.

"Ame? Kannst du mir etwas versprechen? Bitte Versprich mir, dass du rennst. Das du gleich so weit wie du kannst über den Platz in den Wald rennst. So schnell wie du kannst. Egal was passiert!"

"Warum? Was ist los? Kommst du mit?"

"Ich werde nachkommen. Und Ame? Noch etwas! Du musst mir noch etwas versprechen! Versprich es so fest du kannst!"

"Was soll ich versprechen?"

"Ame. Bitte, schau nicht nach oben! Du darfst niemals nach oben schauen. Niemals!"

Aiden steht auf, bereit zum Gehen. Endlich gibt er die Sicht auf den Markplatz frei. Mein Atmen bleibt stehen. Ich sehe jemanden hängen. Es ist schrecklich. Aiden bemerkt meinen Blick und dreht sich um.

"Dafür ist jetzt keine Zeit! Ame, du musst Laufen! Bleib nicht stehen! LAUF!"

Ich laufe los. So schnell ich kann. Ich drehe mich kurz um, um zu sehen ob Aiden mir folgt. Genau in dem Moment schlägt etwas direkt neben Aiden ein und explodiert. Aiden fliegt nach hinten. Ich muss zu ihm, doch meine Füße tragen mich weiter. Als ich auf den Marktplatz komme, sehe ich viele Menschen im Kreis stehen. Sie alle schauen nach oben.

"Nicht nach oben schauen, schau nicht nach oben!",
murmele ich Aidens Worte immer und immer wieder vor mir her, während in einiger Entfernung andauernd irgendwelche Dinge in den Boden schlagen und explodieren.

Ich renne so schnell ich kann. Noch ein bisschen, dann habe ich den Wald erreicht. Ich spüre plötzlich wie mich jemand unter den Armen hochhebt und mit mir auf dem Arm rennt. Es ist Dad.

"Wo ist Mama?"

Seine Miene verändert sich schlagartig und sein Blick wird leer als er mir antwortet:

"Auf dem Marktplatz..."

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xoxo
~K

Into the EyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt