Angsterfüllt schaute ich mich in der mittlerweile bekannten Gegend um. Meine Hände schwitzten und ich spürte den stechenden Schmerz in meiner Seite. Schwer atmend schnappte ich hilflos nach frischer Luft.
Seit etwa einer halben Stunde versuchte ich vor etwas davon zu laufen, an dessen Existenz ich langsam zu zweifeln wagte. Doch die Angst beflügelte jeden meiner Schritte und ließ mir keinen Moment der Ruhe. Mein ganzer Körper stand wie unter Strom.
Mein Hals war trocken und ich unterdrückte ein raues Husten. Es würde meinen möglichen Verfolgern nur meinen Standort offenbaren und mich schlussendlich verraten. Dieser einfache Reiz würde für mich das Ende meiner schwer erlangten Freiheit bedeuten.
Endlich sah ich es von weitem. Meine Rettung, das kleine Haus meiner Großmutter. Das Anwesen glich den Benachbarten haargenau. Nur die Hausnummern spiegelten unterschiedliche Zahlen wider.
Doch zwei bedeutende Fragen tauchten immer und immer wieder in meinen Gedankengängen auf: War mir jemand gefolgt? Und wenn ja, was würden sie dann mit mir machen?
Von der Angst gepackt drehte ich mich mehrmals hastig um. Dabei wäre ich fast gestolpert. Doch anstatt langsamer zu laufen verschnellerte ich nur mein Tempo. Ich hatte nur ein Ziel: Ins Haus meiner Oma zu sprinten und so schnell wie möglich abzuschließen.
Gedacht, getan. Binnen Sekunden erreichte ich endlich das schlichte Grundstück und stürmte atemlos ins ruhige Einfamilienhaus. Die Tür knallte ins Schloss. Panisch sperrte ich mit zitternden Händen die Haustür zu.
Außer Atem lehnte ich mich an die fest verschlossene Haustür. Wie in Zeitlupe ließ ich mich auf den kalten Boden gleiten. Die Anspannung sickerte allmählich aus meinen verkrampften Gliedern und auch meine Muskeln begannen sich minimal zu lockern.
Ich hatte es fürs erste geschafft. Ich war in Sicherheit. Ich war Zuhause.
Mein Herz schlug immer noch kräftig und unerbittlich gegen meine schmerzende Brust. Ich atmete unregelmäßig schnell und flach. Zu lange starrte ich auf meine Hände, welche immer noch zitterten und kreideweiß waren. Vermutlich hatte mein Gesicht eine ähnliche Farbe angenommen.
Schritt für Schritt versuchte ich mich wieder zu sammeln. Dann zwang ich mich wieder zum Stehen zu kommen. Meine Beine fühlten sich weich wie Gummi an und ich konnte mich nur schwer aufrecht halten.
Erschöpft machte ich ein paar Schritte und hielt mich am nächstgelegenen Regal fest. Ein Schwindelgefühl setzte wie aus dem Nichts ein. Sofort wurde mir flau im Magen. Ich schloss für einen kurzen Augenblick meine brennenden Augen und unterdrückte den Drang das vorkurzem zu mir genommene Essen wieder ans Tageslicht zu bringen.
Nach mehreren tiefen sowie langen Atemzügen hatte sich mein Zustand wieder halbwegs normalisiert. Ohne Angst mein Bewusstsein zu verlieren, setzte ich den Weg in mein Zimmer fort.
Dort angekommen zog ich zuerst die himmelblauen Fenstervorhänge zu. Anschließend vergrub ich mich erschöpft in meinem Bett. Eine Runde Schlaf würde mir sicher guttun. Während ich dies dachte, spürte ich auch schon die aufkommende Müdigkeit und die damit verbundene Schläfrigkeit. Als ich mich vollkommen meiner Traumwelt hingeben wollte klopfte es an der Zimmertür.
Müde kämpfte ich mich in eine sitzende Position. So hatte ich einen guten Überblick über mein Zimmer. Abwartend fixierten meine Augen die geschlossene Holztür. Im nächsten Moment betrat meine Großmutter den Raum und schenkte mir ein bedrücktes Lächeln.
Ich versuchte es ihr gleichzumachen, aber meine Mundwinkel wollten mir nicht gehorchen. Sie weigerten sich strikt gegen die Aufforderung wenigstens ein schwaches Lächeln zu formen. Ergeben deutete ich ihr hineinzukommen.
„Hallo Liebes. Tut mir leid, dass ich dich störe. Ich wollte nur wissen wie es dir geht. Wie war die Schule?", fragte meine Oma besorgt, während sie sich auf dem weißen Schreibtischsessel niederließ.
Misstrauisch beobachtete ich sie dabei. Normalerweise machte meine Großmutter sich nicht die Mühe mein Zimmer zu betreten. Sie wusste, dass ich meine Privatsphäre brauchte.
„Mir geht es gut und in der Schule war es ganz okay", log ich und setzte den Small Talk weiter fort: „Ist auch alles okay bei dir?"
„Du musst dir um mich keine Sorgen machen. Mir geht es gut so lange es dir gut geht. Jedoch mache ich mir zur Zeit wirklich große Sorgen um dich. Willst du wirklich nicht zum Arzt gehen? Vielleicht kann er dir ein Medikament verschreiben", rückte meine Oma endlich mit der Sprache heraus. Sie wollte mich zum Arzt schicken.
„Nein, nicht nötig. Mir geht es blendend. Wirklich", versuchte ich mit all meiner Willenskraft meine Großmutter zu überzeugen, wobei ich aber ihren besorgten Blicken gekonnt auswich.
Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Es brach mir das Herz sie anlügen zu müssen. Nach allem was meine Oma für mich getan hatte. Doch schlussendlich würde es immer auf dasselbe hinauslaufen. Ich würde es ihr nicht sagen können, da ich sie nicht mit hineinziehen wollte.
Vor gerade einmal einem Monat war ich pitschnass und verweint vor ihrem Haus aufgetaucht. Sie hatte mich so besorgt, wie jetzt gerade angesehen. Ohne viele Fragen zu stellen hatte meine Oma mich ins Haus gelassen. Sie hatte mir Essen und ein eigenes Zimmer bereitgestellt.
Nachdem ich mich einiger Maßen beruhigt hatte, musste ich ihr das Nötigste erzählen. Meine Großmutter wusste lediglich, dass ich nicht zurück nach Hause konnte und meine Beziehung zu meinen Eltern schon lange zerstört war. Trotz allem hatte meine Großmutter kurzer Hand beschlossen mich bei ihr aufzunehmen.
„Na gut, dann will ich dich nicht länger belästigen. Ich gehe jetzt hinunter in die Küche und koche uns ein Abendessen", beendete meine Oma die Stille und gleichzeitig meine abgedrifteten Gedanken.
Dankend nickte ich ihr zu, obwohl ich im Moment nicht hungrig war. Wahrscheinlich werde ich meiner Großmutter zu liebe wieder ein oder zwei Stückchen essen.
Schwach lächelte ich ihr zu und flüsterte ein kaum hörbares: „Danke". Besorgt und mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen nickte mir meine Oma zu. Dann hatte sie auch schon mein Zimmer verlassen und die Tür hinter sich geschlossen.
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Teufelswerk
Mystery / ThrillerGracie. Ein Mädchen welches nur ein Ziel hat: Nicht gefunden zu werden. Eine grausame Kindheit verbirgt sich hinter der unsicheren, zurückhaltenden Gracie. Sie hat Angst. Jede einzelne Sekunde ihres Lebens. Und das nur, weil sie über eine Fähigkei...