Kapitel 26

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„Und ich hatte mich schon über dein Verhalten gewundert", lächelte ich leicht, auf Valerians Erklärung hin, als ich meine Stimme wieder gefunden hatte. „Wieso hätte ich dich sonst ignorieren sollen?", fragte Valerian verwundert nach.

„Ich dachte, dass du mich nicht mehr magst, weil Bianca alles hat, was sich ein Junge wünschen kann. Ich dachte, ich bin dir zu anstrengend und zu nervig und dass du mich durch Bianca ersetzt hast", erklärte ich ihm betrübt und senkte meinen Kopf.

„Gracie, du glaubst doch nicht im Ernst, dass dich jemand je ersetzen könnte. Du wirst mich nicht mehr so leicht loswerden können", grinste Valerian und hob meinen Kopf, mit zwei seiner Finger, wieder auf seine Augenhöhe.

Schüchtern lächelte ich zurück und beobachtete jedes einzelne Detail seiner Gesichtszüge. So etwas nettes wurde lange nicht mehr zu mir gesagt.

„Und jetzt erzählst du mir was passiert ist, okay? Alles von Anfang an und lass dir so viel Zeit wie du brauchst. Ich verspreche dir dich nicht zu verurteilen", sagte Valerian verständnisvoll während er mir langsam die schwarze Haarsträhne, die mir vor einigen Sekunden ins Gesicht gefallen war, hinter mein rechtes Ohr.

In dem Moment, als seine Finger meine Wange berührten, setzte mein Herz für ein paar Schläge aus. Das merkwürdige Gefühl in meiner Magengegend ignorierend sagte ich: „Okay, ich erzähle es dir."

Aufmunternd nickte mir Valerian zu und wartete auf meine Erzählung. Ich atmete tief durch und begann zu erzählen: „Wo soll ich nur anfangen? Also alles begann an meinem 7. Geburtstag. Ab dem Zeitpunkt bemerkte ich das etwas nicht mit mir stimmte. Wenn ich wütend wurde konnte ich einer Person allein durch meine Gedanken leichte Schmerzen zufügen. Damals begannen meine Eltern mich von anderen Menschen abzuschotten, ohne mir oder anderen einen logischen Grund dafür zu nennen. Ich verlor all meine Freunde."

Ich stoppte kurz. Von da an verlor ich auch jeglichen Kontakt mit Emily. Mein Blick wanderte aus dem großen Fenster, ehe ich den Faden wieder aufnahm.

„Mit den Jahren wurden meine Kräfte immer stärker und gemeinsam mit meiner großen Schwester versuchte ich zu lernen meine Gabe zu kontrollieren. Noch wollten meine Eltern mich geheim halten und niemanden von meiner Fähigkeit erzählen. Sie meinten es wäre zu gefährlich und ich würde als Versuchskaninchen enden. Im Alter von 12 Jahren wurden meine Kräfte so stark, dass ich jemanden töten konnte. Das war der Zeitpunkt, an dem meine Eltern beschlossen, etwas gegen meine Fähigkeit zu unternehmen. Sie gingen mit mir in ein Krankenhaus, welches sich täglich mit unbekannten Krankheiten befasste. Dort wurde mir, wie ich später heraus fand, ein Fremdkörper eingepflanzt, welcher sich von meinen Kräften ernährte und mich so schwächte. Trotzdem niemand wusste, was genau dieser Eindringling anstellen konnte, hielten es meine Eltern für das Beste mich in die Schule zu schicken. Eines Nachmittages kam ich von der Schule nach Hause. Meine Eltern warteten bereits auf mich. Sie hatten eine Nachricht vom Direktor erhalten. Ich hatte eine Mitschülerin schwer verletzt. Das war das erste Mal, dass sich der Fremde gemeldet hatte."

Ich stockte als die Erinnerung mich zu übermannten drohten. Tränen glitzerten in meinen Augen. Für einen kurzen Moment wurde mir schwindlig. Doch Valerians Hand auf meinem Oberschenkel riss mich zurück in die Realität.

„Du erinnerst dich sicher noch an Sophie und Zoe, denen wir in der Innenstadt begegnet sind. Die Mitschülerin, die ich schwer verletzt hatte, war Sophie gewesen", erinnerte ich Valerian und er nickte als Antwort nur überrascht.

„Das Ding hatte die Kontrolle meinen Körper übernommen und sich gegen Sophie gewehrt. Auf das Schreiben des Direktors, meinte ich nur, dass die Schülerin mich geärgert hatte. Meine Eltern erklärten mir, dass das kein Grund war, ein anderes Kind zu verletzen. Sie schrien mich an, dass ich mich in Zukunft zusammenreißen sollte. Langsam erwachte der Fremdkörper wieder. Meine Wut nichts dafür zu können hatte ihn erneut geweckt. Die Schuld lag allein an dem Fremden. Daraufhin verboten mir meine Eltern meine Fähigkeiten in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das machte mich noch wütender, denn ich wollte mich nicht länger verstecken. Wozu auch? Und dann, dann nahm der Fremde wieder meinen Körper in Besitz..."

Zögernd stoppte ich meine Erzählung und die vorher versickerten Tränen stiegen wieder in mir auf. Jetzt kam der Teil, für den ich mich bis heute schämte. Ich würde mir nie für meine schreckliche Tat vergeben können.

Schluchzend erzählte ich weiter: „Ich weiß nicht mehr wie es passiert ist, aber auf einmal schien mein Kopf vor Wut zu explodieren und der Fremde schrie regelrecht vor Zorn. Ich versuchte das Ding und mich zu beruhigen, immerhin wusste ich, was für Folgen ein Wutausbruch mit sich ziehen würde. Dann trat meine Schwester zu uns. Sie hatte ein Glaswasser in der Hand. Dann stolperte sie und ließ das Glas fallen vor Schreck schaute ich sie an und meine Gedanken wanderten zu ihr. Dann übertrug der Eindringling seine Wut auf meine Schwester und im nächsten Moment lag sie tot am Boden. Niemand konnte mehr etwas für sie tun und ich war die Schuldige."

Wieder machte ich eine Pause. Die Erinnerungen prasselten auf mich ein. Die Narben aus meiner Vergangenheit wurden wieder aufgerissen und begannen stärker denn je zu bluten. Behutsam streichelte mir Valerian über den Rücken.

Ich atmete tief durch und setzte wieder zum Sprechen an: „Der Unfall veränderte mein ganzes Leben. Immer wieder sagte ich, dass ich es nicht absichtlich getan hatte und das der Fremde schuld daran war. Ich liebte meine Schwester. Sie war mein Vorbild und ich konnte ihr alles erzählen. Doch meine Eltern konnten mir mein Vergehen nie verzeihen. Sie meldeten den Unfall zwar nicht als Mord, dafür errichteten sie eine vom Staat unterstützte Anstalt für Kinder wie mich. Für Kinder mit übernatürlichen Fähigkeiten. Es schien die beste und einzige Lösung zu sein. Die Einrichtung zog Wissenschaftler magisch an und bald begannen sie an uns Experimente durchzuführen. Schnell wurde aus dem Zufluchtsort ein Experiment, welches vom Staat illegal finanziert wurde. Meine Eltern verdienten viel Geld und ich wurde ihnen immer unwichtiger. Nach einem Jahr bekamen alle Insassen eine Erkennungsnummer. So auch ich. Ich bekam die 310. Von da an wurde ich nicht mehr mit Gracie angesprochen, sondern mit Subjekt 310. Ich war nur noch ein Objekt, ein Versuchskaninchen. Zu Beginn waren es um die 400 Personen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Über die Hälfte starb bereits in den ersten Monaten an grausamen Versuchen und von Woche zu Woche wurden es mehr Tote."

Ich schluckte und konnte nicht länger die Tränen zurück halten. Der Schmerz an meine Vergangenheit tat so unheimlich weh. Valerian zog mich schützend in eine Umarmung. Hilfesuchend schlang ich meine Arme um ihn und drückte mich an ihn.

Wir saßen immer noch am Boden des Krankenhauses. Es war noch immer Nacht und die Sonne würde erst in vier Stunden aufgehen. Doch schlafen konnte ich sowieso nicht mehr. Jetzt würde ich Valerian auch noch den Rest erzählen.

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