Kapitel 22

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Pitschnass erreichten wir das Café. Schnell schlüpften Bianca und ich aus unseren durchnässten Jacken und hingen sie auf den Kleiderständer neben der Eingangstür. Nur ein paar Hacken waren sonst noch besetzt. Das Café war bis auf wenige Kunden leer.

Ein Kellner kam auf uns zu geeilt und führte uns zu einem Tisch am Fenster. Die Kälte von draußen wurde von der dünnen Glasschicht des Kaffeehausfensters nicht abgehalten.

Augenblicklich erinnerte ich mich wieder an den Tag meiner Flucht zurück. An die unendlich lang scheinende Busfahrt und die Angst gefunden zu werden. Damals war das Glas auch eiskalt gewesen.

Kurz schloss ich meine Augen, um mich wieder zu beruhigen. Erneut wurde mir bewusst, wie sehr ich es hasste in der Öffentlichkeit zu sein. Nichts half, um sich vor den neugierigen Blicken Fremder zu schützen.

Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich mich noch einmal im Café um. Doch ich konnte niemand Verdächtigen ausmachen. Nicht einmal Wynn schien mir aufzulauern. Zum Glück. Trotzdem hatte mein Vater noch einen anderen Agenten erwähnt. Ich musste also vorsichtig bleiben.

„Gracie? Was möchtest du haben?", machte mich Bianca auf den Angestellten aufmerksam. Verwirrt blinzelte ich ein paar Mal und starrte abwechselnd sie und dann wieder den Kellner an.

Kopf schüttelnd bat Bianca die Bedienung mir auch eine warme Tasse Tee zu bringen. „Entschuldigung. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Danke, dass du für mich bestellt hast", bedankte ich mich bei dem Mädchen mit den haselnussbraunen Augen.

„Schon gut. Ich hoffe du magst Tee", lächelte sie mich verständnisvoll an.

Langsam begann ich zu verstehen, warum Valerian sie mochte. Bianca war nicht nur hübsch, sie hatte auch einen guten Charakter. Im Endeffekt musste ich mir eingestehen, dass sie viel besser zu Valerian passte als ich. Auch wenn sie etwas verschwieg. Vielleicht sollte ich auch anfangen die Fehler bei mir zu suchen und nicht bei anderen.

Ich war immerhin ein emotionales Wrack und daher kaum ernst zu nehmen, da ich vermutlich zu sehr in Sachen hinein steigerte. Bianca hingegen war aufmerksam, aufgeschlossen und freundlich. Gegen sie hatte und würde ich nie eine Chance haben. Es konnte doch nur an mir liegen.

„Du hörst mir überhaupt nicht zu", beschwerte sich Bianca besorgt. „Bedrückt dich etwas?"

Und da war es schon wieder. Das Gefühl, dass sie sich verstellte damit ich sie nicht erkannte. Hastig schüttelte ich den Kopf. Dabei hätte ich fast die Teetasse umgeworfen. Verwirrt starrte ich auf das Getränk hinunter. Es stand direkt vor mir auf dem Tisch. Doch ich hatte das Eintreffen des Tees nicht mitbekommen.

Ein lautes Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken musste ich feststellen, dass jemand ins Café getreten war. Dabei wurde die Eingangstür zu fest wieder zugeschlagen.

Die Person, die gerade das Lokal betreten hatte, zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Es war niemand anders als Valerian. Was wollte er hier? Verwirrt stolperte er zu unserem Tisch.

Bianca hatte ihn nicht hineinkommen gesehen, da sie mit dem Rücken zur Tür saß. Doch irgendetwas war anders an Valerian. Er nahm mich wieder wahr.

„Gracie? Du hier? Mit Bianca? Ich muss mit dir reden", richtete sich Valerian zerstreut an mich. Er hatte einen verängstigten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Bevor ich etwas darauf sagen konnte, kam mir Bianca zuvor: „Liebling? Was du Gracie sagen kannst, kannst du mir auch sagen."

In ihrem Blick lag etwas Bedrohliches. Diese Seite kannte ich überhaupt noch nicht von ihr. Plötzlich begann es mir zu dämmern und die Antwort lag mir bitter auf der Zunge. Nicht mehr viel fehlte, um die Geheimnisse um Bianca zu entziffern.

„Ich will aber allein mit Gracie reden", entgegnete Valerian ernst und fuhr sich einmal deutlich nervös durch die Haare. „Du wirst ihr überhaupt nichts sagen. Hast du verstanden?", drohte Bianca ihm mit wütender Stimme.

Ruckartig erhob sie sich. Mit wenigen Schritten hatte das Mädchen den Tisch umrundet. Fest packte Bianca mein Handgelenk und zerrte mich schließlich Richtung Ausgang.

„Wir sehen uns nachher", zischte sie Valerian zum Abschied noch zu, dann waren wir schon wieder draußen in der Kälte. Der Wind blies mir einige Regentropfen in und ein paar schwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Ich hatte gerade noch Zeit gehabt meine Jacke vom Haken zu reißen. Schnell zog ich das wärmende Kleidungsstück an und zog hastig den Reißverschluss hoch.

Im nächsten Moment lächelte Bianca entschuldigend: „Bitte tue mir den Gefallen und glaube Valerian kein Wort von dem was er dir erzählt. Er ist gerade etwas...etwas durcheinander."

Verwirrt über ihren Stimmungswechsel nickte ich nur. Valerian war uns nicht gefolgt. Warum? Und was wollte er mir sagen? Ich würde ihm noch heute Abend schreiben.

„Schade. Jetzt konnten wir uns nicht einmal richtig kennen lernen. Hast du vielleicht Lust, dass ein anderes Mal zu wiederholen?", fragte mich das Mädchen. Kurz hob ich den Kopf und studierte ihren fragenden Blick.

„Gerne", bestätigte ich ihr Angebot. Das nächste Mal würde ich bestimmt das fehlende Puzzelteil finden und das Bild fertigstellen können. Dann würde ich endlich wissen, wo her ich Bianca kannte.

Außerdem hatte sie sich, abgesehen von Valerians Auftritt, mir gegenüber ehrlich recht nett verhalten. Wieso sollte ich unserer „Freundschaft" also keine weitere Chance geben?

„Ich gehe dann jetzt nach Hause", flüsterte ich frierend und schob mir meine Jackenärmel weit über meine zitternden Hände. Sie waren schon rot und leicht geschwollen vor Kälte.

„Ich habe trotz allem die kurze Zeit mit dir sehr genossen. Montag nach der Schule wieder hier?", lächelte Bianca freudig und ich nickte nur als Antwort. Natürlich kaufte ich Bianca ihre Worte nicht ab. Sie war eine gute Schauspielerin nur nicht gut genug, um mich zu überlisten.

Auf dem Weg zu Isabells Haus, welches auch gleichzeitig mein neues Zuhause war, zerbrach ich mir den Kopf über Valerian. Was war nur los mit ihm?

Ich beschloss ihn sofort anzurufen. Doch er hob selbst beim dritten Mal nicht ab. Also gab ich auf und schrieb Valerian eine Nachricht: „Was wolltest du mir im Café sagen?" Doch auf meine Nachricht antwortete er ebenfalls nicht.

Frustriert sperrte ich die gelb-blaue Haustür auf. Völlig durchnässt betrat ich das Haus. „Hallo? Ist jemand Zuhause?", schrie ich durch das Gebäude während ich die Haustür wieder zusperrte und aus dem nassen Gewand schlüpfte.

Ich war wirklich froh, dass mir Isabelle einen eigenen Schlüssel gegeben hatte. Das verdeutlichte ihr großes Vertrauen in mich und ihre gutherzige Seele.

Dann hörte ich wie jemand die Stiegen hinunter ging. Die Stufen führten direkt auf einen Flur mit fünf Türen. Drei Schlafzimmer, ein Abstellraum und ein Badezimmer. Im nächsten Moment stand Emily vor mir und lächelte mir freundlich entgegen.

„Lust auf einen Serienmarathon?", fragte sie mich anstatt einer Begrüßung. Ihre Augen leuchteten freudig. „Na klar", stimmte ich ihr zu. Gemeinsam machten wir es uns auf dem gemütlichen Sofa bequem. Wir wickelten uns in zwei Decken und starteten den Fernseher.

Nach etwa zwei Stunden warf ich einen Blick auf mein Handy. Ich hatte um die 20 Nachrichten von Alec und den anderen Jungs bekommen. Sie wollten wissen, wie das Treffen mit Bianca war und wo ich jetzt war.

Anscheinend hatten meine Freunde beim Haus meiner Oma vorbeigeschaut und dort niemanden vorgefunden. Ich warf Emily kurz einen Seitenblick zu. Ob es für sie in Ordnung wäre, wenn ich Alec, Florian und Denis zu uns einlud?

Ohne weiter darüber nachzudenken stellte ich meiner Freundin die Frage und sie stimmte gleichgültig zu. Also schrieb ich den Dreien Emilys Adresse.

15 Minuten später standen sie schon vor der Haustür. Von Valerian hatte ich immer noch keine Antwort erhalten, aber vielleicht wussten Valerians Freunde mehr über sein merkwürdiges Verhalten als ich.

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