Angekommen

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"Juliet, bringst du das bitte an Tisch drei draußen?", wandte sich Daryl, ihr neuer Chef an sie, worauf sich die Dunkelhaarige mit dem Tablett auf den Weg zur Terrasse machte. Sie war froh den Job in dem kleinen Café an der Promenade gefunden zu haben, denn auch wenn ihre Eltern sie etwas unterstützten seit sie angefangen hatte hier in San Simeon zu studieren, wollte sie einfach weitgehend unabhängig bleiben. Ganz zu schweigen davon, dass sie Kontakte knüpfen wollte und wo ging das besser als in einer Coffee Bar am Wasser? Die Menschen hier waren entspannt und meist gut gelaunt, was sich auch auf die gesamte Atmosphäre entschleunigend auswirkte. 

Juliet selbst war ohnehin ein sehr offener und gelassener Mensch, es war schwer sie mal wirklich ins Wanken zu bringen und seit sie hier vor gut einem Monat angekommen war, fühlte sie sich schon weit wohler als in ihrer Heimat Ohio. Nun konnte man aber eben auch einfach nicht behaupten, dass in Plain City viel los war , es hatte nur ungefähr 2.500 Einwohner und die Tatsache dass jeder jeden kannte, hatte Juliet immer irgendwie erdrückend gefunden. Hier hingegen konnte sie sich völlig neu erfinden, sie konnte tun und lassen wonach ihr der Sinn stand und die Menschen die sie trafen, urteilten nur nach dem was sie ihnen zeigte. Ja, man konnte sagen sie fühlte sich bereits jetzt angekommen, auch wenn sie noch nicht viel erlebt hatte, außer zwei Campus-Partys zu denen sie zwei ihrer Kommilitonen mitgenommen hatten. Allerdings war das hemmungslose Besäufnis mit den aufdringlichen Kerlen nicht wirklich das, was sie als "cool" oder "lässig" ansah, es war höchstens ganz nett um generell ein paar Leute kennen zu lernen und dahingehend wollte sie sich eben auch nicht beschweren, die Menschen nahmen sie gut auf.

Auf der Terrasse angekommen, sah sie sich kurz um und entdeckte an besagtem Tisch eine junge Frau, etwa in ihrem Alter. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen steuerte sie den Tisch an und stellte dann den Latte Macchiato vor ihr ab. 

"Wird ja auch Zeit, weißt du wie lange ich schon warte?"
Automatisch wanderte Juliets Braue nach oben während die andere sie noch immer nicht ansah.

"Entschuldigung aber das waren vielleicht zehn Minuten, es dauert nun mal einen Moment, einen frischen Latte zuzubereiten. Abgesehen davon sind hier auch noch andere Kunden."

Es blieb still für einen Augenblick, es kam keine Reaktion mehr. Erst als man wieder nach Juliet rief, sah auch die andere kurz auf und für einen Moment trafen die Grünen Augen ihre, auch wenn sie nicht wusste wie sie ihren Blick deuten sollte. Er wirkte irritiert oder verwundert, je nachdem wie man es interpretierte.

So oder so hatte sie aber auch keine Zeit, sich weitere Gedanken zu machen, sondern musste wieder an die Arbeit. Es vergingen noch gut zwei Stunden bis sie die letzten Tische abwischte und dabei auch wieder an Tisch drei ankam. 
Völlig in Gedanken versunken und ein Lied vor sich hin summend, zog sie den angefeuchteten Lappen über die beschichtete Holzoberfläche, als ihr unter dem Zuckerstreuer Geld auffiel, darunter ein kleiner Zettel.
Etwas verständnislos musterte sie den Schein, der viel zu viel für einen einfachen Latte Macchiato war, dann fiel ihr Blick auf den Zettel.

"Tut mir leid wegen vorhin, ich hab telefoniert. 
Natürlich dauert ein Latte ein paar Minuten aber dafür ist er hier auch besser als sonst wo.
Das Trinkgeld ist für dich und wag es ja nicht, es nicht zu behalten.

P.S. Die Kette an der du ständig herumfummelst steht dir echt gut. 

XOXO
- S"

Automatisch fasste Juliet sich an den Anhänger ihrer Kette und sah kurz auf die kleine Erdkugel aus Silber herab. Tat sie das wirklich so dermaßen oft, dass es anderen auffiel? 
Suchend hob sie ihren Blick von dem kleinen Zettel, den sie in der Tasche ihrer Jeansshorts versenkte, doch von der anderen war weit und breit nichts zu sehen. Wie lange sie wohl schon weg war? 
Einen Moment starrte sie einfach nur auf das Geld in ihrer Hand, ehe sie hinter sich ihre Kollegin April hören konnte und sie wieder aus ihren Gedanken riss.

"Na hopp, ich wollte noch surfen gehen. Nicht dass sich zehn Minuten vor Feierabend doch noch jemand hier her verirrt."


You&IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt