Kapitel 8

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Sie holte tief Luft, schloss die Schlafzimmertür auf und trat auf den Korridor hinaus. Tina durchsuchte das ganze Haus außer Dannys ehemaligem Zimmer, fand aber nirgends auch nur die geringste Spur eines Einbrechers. Es wäre ihr fast lieber gewesen, jemanden in der Küche oder in einem Wandschrank aufzuspüren, als gezwungen zu sein, Dannys Zimmer zu betreten. Aber nun blieb ihr keine andere Wahl. Vom Elternschlafzimmer aus gesehen, lag es am anderen Ende des kleinen Hauses. Ursprünglich hatte es Tina und Michael als gemütlicher Aufenthaltsraum gedient, aber kurz nach seinem zehnten Geburtstag etwa ein Jahr vor seinem Unfalltod, hatte Danny sich mehr Platz und Zurückgezogenheit gewünscht, als er sie in seiner bisherigen Bude neben dem Elternschlafzimmer hatte. Seine Eltern hatten Couch, Lehnstuhl, Beistelltisch und Fernseher in dieses kleine Zimmer gestellt und dem Jungen geholfen, seine Sachen in den Aufenthaltsraum zu schaffen und sich dort wohnlich einzurichten Tina war damals überzeugt gewesen, daß Danny in erster Linie umziehen wollte, um die nächtlichen Auseinandersetzungen zwischen ihr und Michael nicht mehr mitanhören zu müssen obwohl sie sich zu jener Zeit noch nicht gegenseitig anbrüllten noch nicht einmal ihre Stimmen erhoben, sondern sich in normaler Lautstärke und manchmal sogar im Flüsterton stritten mußte der Junge mitbekommen haben, daß seine Eltern Probleme hatten. Tina hatte das zutiefst bedauert,  aber nicht mit ihm darüber gesprochen,  ihn weder zu beruhigen versucht noch irgendwelche Erklärungen abgegeben.  Was hätte sie ihm auch sagen solen schließlich konnte sie einem Zehnjährigen nicht ihre Einschätzung der Situation anvertrauen:  》Danny, Liebling, mach dir keine Sorgen, wenn du uns durch die Wand hindurch streiten hörst. Dein Vater macht nur eine Identitätskrise durch. Er führt sich in letzter Zeit wie das letzte Arschloch auf, aber er wird sich bestimmt wieder fangen《 Auf ihrer Suche nach dem Einbrecher - den sie nun schon wieder eher für eine Ausgeburt ihrer überstrapazierten Nerven hielt - öffnete sie die Tür zu Dannys Zimmer,  schaltete das Licht ein und trat widerstrebend über die Schwelle. Es war leer. Mit der Pistole vor der Brust ging sie zum Schrank, zögerte einen Moment und schob sodann energisch die Tür auf. Niemand hielt sich dort versteckt. Trotz der Geräusche,  die sie gehört hatte, war sie allein im Haus. Während sie den Inhalt des dumpf riechenden Schrankes anstarrte die Schuhe des Jungen, seine Jeans,  Hemden, Pullis, die blaue Baseballmütze, den grauen Anzug, den er bei besonderen Gelegenheiten getragen hatte schnürte sich ihr die Kehle zu. Sie schloß hastig die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Obwohl die Beerdigung nun schon über ein Jahr zurücklag hatte sie sich bisher nicht dazu überwinden können, Dannys Sachen zu verschenken. Seine Kleidung wegzugeben hätte etwas Endgültiges an sich gehabt und wäre fast noch schmerzlicher gewesen, als mitansehen zu müssen, wie sein Sarg in die Erde gesenkt wurde. Danny hatte sehr gern gemalt, und die Staffelei samt Bleistiften, Farben und anderen Utensilien war ein Geschenk zu seinem neunten Geburtstag gewesen. Auf der Rückseite befand sich eine Schiefertafel.  Danny hatte die Staffelei n der Wand neben seinem Bett aufgestellt, und dort hatte sie auch gestanden, als Tina zuletzt in diesem Zimmer gewesen war.  Nun aber war sie umgekippt und lag - mit der Tafelseite nach unten - quer auf einem niedrigen Tischchen und hatte ein elektronisches Kriegsschiff-Spiel hinuntergeworfen. Zweifellos war es dieses Geräusch gewesen, das Tina erschreckt hatte. Aber wie um alles in der Welt hatte die Staffelei plötzlich umfallen können? Tina ging um das Bett herum, richtete die Staffelei mit einem Griff wieder auf, bückte sich und stellte die einzelnen Teile des Kriegsschiff-Spiels auf das Tischchen. Während sie dann die auf dem Boden verstreuten Kreidestifte und Filzradierer aufsam melte, fiel ihr plötzlich auf daß auf der Tafel etwas geschrieben stand.  Es waren zwei Wörter: 

NICHT TOT

Die Augen der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt