Kapitel 12

63 7 2
                                    

Als Vivian Neddler im Haus von Tina Evans war, machte sie sich einpaar Gedanken über ihre Zukunft, denn die gute Frau ist mitlerweile 70 Jahre alt und ist leicht Spielsüchtig, während sie letzte Hand an die Küche legte und sich wieder einmal ausmalte, wie langweilig ihr Leben ohne ihre Freundinnen und ohne die Spielautomaten wäre, hörte sie plötzlich ein Geräusch im Haus. Es schien aus dem Wohnzimmer zu kommen. Sie hielt in der Arbeit inne und lauschte angestrengt. Der Kühlschrankmotor schaltete sich aus. Eine Uhr tickte leise. Nach längerer Stille hörte Vivian eine Art geklapper, das sie verwirrte. Gleich darauf verstummte es wieder.  Vivian öffnete die Besteckschublade und suchte ein langes,  scharfes Messer aus.  Die Polizei zu rufen,  kam für sie nicht in Frage.  Wenn sie telefonierte und danach aus dem Haus rannte,  würden die Beamten bei ihrem Eintreffen möglicherweise keinen Einbrecher vorfinden und sie für eine hysterische alte Frau halten.  Vivian Neddler wollte um keinen Preis als Närrin gelten.  Außerdem hatte sie in den letzten 21 Jahren,  seit ihr Mann Harry gestorben war,  immer selbst auf sich aufgepaßt,  und das hatte großartig geklappt.  Sie trat aus der Küche auf den Korridor hinaus,  knipste das Licht an und stellte fest,  daß das Eßzimmer leer war. Sie ging weiter zum Wohnzimmer und machte auch dort Licht.  Kein Mensch war zu sehen.  Sie wollte ihre Kontrollrunde durchs Haus gerade fortsetzen,  als vier glänzende Fotos an der Wand über dem Sofa ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen.  Es waren immer sechs Fotos gewesen,  doch es war nicht die Tatsache,  daß zwei fehlten,  die Vivian so bestürzte.  Alle vier Fotos schaukelten an ihren Haken hin und her.  Niemand war in ihrer Nähe,  und doch begannen zwei von ihnen plötzlich heftig gegen die Wand zu schlagen.  Sie lösten sich von ihren Befestigungen und fielen mit lautem Klirren auf den Boden hinter dem beigen Cordsofa. 》Was zum Teufel? 《  murmelte Vivian erstaunt.  Eine Sekunde später rissen sich auch die beiden letzten Fotos von den Haken los.  Eines landete auf dem Sofa,  das andere dahinter. Vivian zwinkerte erschrocken mit den Augen. Sie konnte das,  was sie soeben gesehen hatte,  einfach nicht begreifen.  Ein Erdbeben?  Aber sie hatte keine Erschütterung des Hauses wahrgenommen,  und auch die Fenster hatten nicht geklirrt.  Sie ging zum Sofa und hob das Foto auf das auf die Polster gefallen war.  Sie kannte es gut,  hatte sie es doch oft genug abgestaubt.  Es war ein Porträt von Danny Evans,  wie auch die fünf anderen.  Auf diesem Bild war er zehn oder elf Jahre alt,  ein braunhaariger Junge mit dunklen Augen und einem bezaubern den Lächeln.  Vivian überlegte, wie das passieren konnte. Verwirrt legte Vivian das Messer aus der Hand, rückte ein Ende des Sofas etwas von der Wand ab und sammelte die fünf gerahmten Fotos im Format 20 x 25 cm auf.  Zwei davon hatten jene Geräusche verursacht die sie ins Wohnzimmer geführt hatten,  die drei anderen hatte sie ja mit eigenen Augen von den Haken springen sehen.  Sie hängte sie wieder in der üblichen Anordnung auf und schob das Sofa wieder an die Wand.  Ein hohes schrilles elektronisches Geräusch tönte plötzlich durchs Haus:  Aiii-ie,  aiii-ie,  aiii-ie.  Vivian schnappte nach Luft,  wirbelte herum,  drehte ihren Kopf nach allen Seiten.  Sie war immer noch allein im Raum Ihr erster Gedanke war:  Einbrecheralarm.  Aber das Haus der Evans hatte überhaupt keine Alarmanlage.  Sie zuckte zusammen,  denn das elektronische Kreischen wurde immer lauter.  Die Fenster begannen zu vibrieren,  ebenso die Glasplatte des Kaffeetisches,  und Vivian spürte die Resonanz auch in ihren Zähnen und Knochen.  Sie konnte den Ursprungsort dieser durchdringenden Heultöne nicht orten;  sie schienen aus jeder Ecke des Hauses zu kommen. 》Was,  in aller Welt,  geht hier vor? 《 sagte sie laut vor sich hin.  Sie ersparte sich die Mühe,  das Messer wieder zur Hand zunehmen,  denn sie war inzwischen überzeugt davon,  daß sie es nicht mit einem Einbrecher zu tun hatte.  Es war etwas anderes, etwas Unheimliches.  Sie durchquerte den Wohnraum und schaltete das Licht auf dem Gang ein, der zu den Schlafzimmern,  Bädern und zu Dannys Zimmer führte..

Die Augen der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt