Kapitel 15

52 6 0
                                    

Die Modellflugzeuge drehten ihre Kreise.  Die Luft schien noch kälter zu werden.  Das Bett begann zu schwanken.  Die Beine am Fußende hoben sich acht oder zehn Zentimeter fielen krachend auf die Rollen zurück,  die als Teppichschutz dienten,  und stiegen sodann wieder in die Höhe.  Die Sprungfedern surren,  als zupften Metallfinger an ihnen.  Vivian preßte sich gegen die Wand und verfolgte das Spektakel mit geballten Fäusten und schreckensweit aufgerissenen Augen. Plötzlich stand das Bett wieder still.  Die Schranktüren schlossen sich krachend aber sie öffneten sich nicht mehr.  Die Modellflugzeuge verloren an Tempo,  der Radius ihrer Kreisbahnen wurde immer kleiner bis sie schließlich regungslos an ihren Schnüren hingen.  Es war ganz still im Zimmer.  Nichts bewegte sich mehr.  Die Luft wurde wärmer.  Vivians Herzklopfen ließ allmählich nach.  Schaudernd verschränkte sie ihre Arme vor der Brust.  Eine logische Erklärung,  murmelte sie. 》Es muß eine logische Erklärung hierfür geben.《  Aber ihr fiel keine ein. Als der Raum sich erwärmte,  fiel die dünne Eiskruste von den Türknöpfen,  der Stereoanlage und anderen Metallgegenständen ab und hinterließ feuchte Flecken auf dem Teppich.  Auch auf der Fensterscheibe taute die Frostschicht ab.  Nichts deutete mehr auf die ungewöhnlichen Vorgänge hin,  die soeben stattgefunden hatten.  Jetzt war es wieder das ganz normale Schlafzimmer eines Jungen,  ein Zimmer,  wie es Tausende gab.  Nur mit einem Unterschied -der Junge,  der hier einst geschlafen hatte,  war seit einem Jahr tot. Und vielleicht spukte er nun hier herum.  Aber ich glaube doch nicht an Gespenster,  rief Vivian sich ins Gedächtnis.  Es gibt keine Gespenster.  Trotz alledem wäre es eine gute Idee,  wenn Tina Evans endlich die Sachen des Jungen wegräumen würde.  Das hätte sie schon vor langer Zeit tun sollen.

Mittwoch, 31 Dezember

Tina kam erst kurz vor zwei in der Nacht zum Mittwoch von der Premierenparty nach Hause.  Erschöpft und leicht beschwipst ging sie sofort zu Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Wenige Stunden später hatte sie wieder einen Alptraum. Danny war auf dem Grund einer tiefen Grube gefangen.  Sie hörte ihn mit ängstlicher Stimme leise nach ihr rufen,  und sie beugte sich über den Rand der Grube und sah ihn in der Tiefe.  Sein Gesicht war nur als kleiner heller Fleck zu erkennen.  Er brauchte ihre Hilfe,  und sie wollte ihn dort herausholen,  aber er war unten angekettet und konnte nicht zu ihr hinaufklettern,  und sie hatte auch keine Möglichkeit,  zu ihm zu gelangen.  Und dann trat ein von Kopf bis Fuß schwarz gekleideter Mann,  dessen Gesicht im Schatten blieb,  an die andere Seite der Grube und begann mit einem Spaten Erde hinabzuwerfen.  Dannys Hilferufe wurden jetzt zu Schreckensschreien.  Er wurde lebendig begraben.  Tina brüllte den Mann in Schwarz an,  aber er ignorierte sie völlig und setzte seine Arbeit gnadenlos fort.  Sie rannte am Rand der Grube entlang;  sie wollte ihm in den Arm fallen,  ihm Einhalt gebieten.  Aber er bewegte sich genauso schnell wie sie und stand ihr immer genau gegenüber.  Sie konnte ihn nicht einholen,  und sie konnte auch nicht zu Danny gelangen,  und die Erde reichte dem Jungen schon bis zu den Knien,  und dann bis zu den Hüften,  dann bis zu den Schultern.  Danny schrie und und weinte,  und nun ging die Erde ihm schon bis zum Kinn,  und der Mann in schwarz hörte immernoch nicht auf zu schaufeln. Sie wollte diesen Verbrecher umbringen,  ihn mit seinem eigenen Spaten erschlagen.  Aber gerade, als dieser Gedanke ihr durch den Kopf schoß,  blickte er sie an,  und sie sah endlich sein Gesicht.  Es war ein mit wächserner Haut überzogener Schädel.  Er bleckte grinsend seine gelben Zähne,  und seine roten Augen glühen.  Auf seiner linken Wange,  bis hin zum Augenwinkel,  wimmelte es von Maden,  die an ihm nagten.  In Tinas Entsetzen über das grauenvolle Schicksal ihres Sohnes mischte sich Angst um ihr eigenes Leben.  Dannys verzweifelte Schreie erstickten allmählich,  als die Erde sein Gesicht zu bedecken begann und in seinen Mund eindrang,  und sie wußte,  daß sie zu ihm gelangen und sein Gesicht mit ihren Händen ausgraben mußte,  bevor er erstickte.  Sie stürzte sich in blinder Panik in die Grube hinab und fiel und fiel. Sie fuhr keuchend und zitternd aus dem Schlaf auf und hatte das unheimliche Gefühl,  daß der Schwarzgekleidete Mann in ihrem Zimmer war,  daß er grinsend im Dunkeln stand.  Mit rasendem Herzklopfen tastete sie nach der Nachttischlampe und befürchtete dabei,  daß eine kalte,  feuchte Hand sie daran hindern würde,  auf den Schalter zu drücken.  Sie blinzelte im Licht und stellte mit grenzenloser Erleichterung fest,  daß sie allein war. 》Oh gott《 murmelte sie schwach. Sie dachte an die beiden Wörter,  die sie zweimal von Dannys Tafel gelöscht hatte NICHT TOT und ihr fiel ein,  daß sie Michael nicht angerufen hatte.  Sie mußte wissen,  ob er ohne ihr Wissen und ohne ihre Erlaubnis im Haus gewesen war, in Dannys Zimmer.  Es konnte nur Michael gewesen seinm Sie könnte ihn jetzt anrufen.  Nach all den schlaflosen Nächten,  die er ihr bereitet hatte,  müßte sie keine Skrupel haben,  ihn zu wecken.  Aber sie wußte,  daß sie momentan einer Auseinandersetzung nicht gewachsen wäre.  Ihr Verstand war von Alkohol und Müdigkeit benebelt.  Und falls Michael sich ins Haus geschlichen hatte,  um ihr diesen grausamen Streich zu spielen,  falls er diese Botschaft auf die Tafel geschrieben hatte,  so mußte er sie viel mehr hassen,  als sie geglaubt hatte.  Möglicherweise war er sogar geisteskrank und würde wilde Drohungen und Beschimpfungen ausstoßen.  Für dieses Telefonat brauchte sie einen klaren Kopf. Sie würde ihn morgens anrufen,  wenn sie wieder bei Kräften war.

Morgens nach dem Frühstück, fasste sie ihren Mut zusammen und ging in Dannys Zimmer und war erstmals total geschockt. - Das Zimmer war total Verunstaltet, alles lag auf dem Boden, ebenso die Staffelei, mit der Tafelseite nach unten. Zitternd vor Zorn, ging Tina darauf zu und stellte die Staffelei auf.

NICHT TOT

Verdammt!《 rief sie wütend.

Sie kramte einen Zettel hinaus wo der Notdienst eines Schlössers aufgeschrieben war. Sie rufte dort an und bestellte die besten und sichersten Schlösser die Sie zu verfügung haben, egal was es kosten würde.

Nach dem Telefonat fluchte sie vor sich hin.

Was zum Teufel willst du von mir, Michael?

Am Späten Nachmittag ging sie zum Casino, wo Michael sich meistens aufhielt.

Die Augen der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt