Distance

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Ich warte, für mich nervenzerreißende, Sekunden. Doch Erwin bittet mich nicht herein. Ich vernehme nicht seine, mir bekannte, Stimme. Erneut erhebe ich meine Hand und lasse meine Knöchel nun deutlich lauter auf das dunkle Holz niederfahren. Wieder vernehme ich seine Stimme nicht. Wie sie durch die Tür dringt und mir erlaubt endlich einzutreten. Langsam lasse ich meine Hand sinken und schaue mich zu beiden Seiten, den Gang entlang, um. Sollte ich einfach warten und so meine Arbeiten vernachlässigen? Erwin sagte, nachdem alle Vorbereitungen getroffen sind solle ich zu ihm kommen. Er wird mich nicht vergessen haben. Oder ist etwas Wichtigeres dazwischen gekommen?

Wichtig, so fühle ich mich in diesem Moment nicht. Mit gedehnten Schritten trete ich an eines der Fenster heran und recke mein Kinn der Sonne entgegen. Der Tag ist noch jung, die Wärme dringt bereits durch das saubere Glas und kitzelt meine Haut. Schwungvoll stoße ich mich mit den Füßen vom Boden ab und drücke mich mit meinem linken Arm an der niedrigen Fensterbank empor. Ich setze mich mit dem Rücken zum Fenster. Die Wärme dringt durch meine Kleidung und gibt mir ein gutes Gefühl. Rhythmisch lasse ich meine Beine, einen Finger breit Abstand zum Boden, in der Luft baumeln und schlage mit den Fersen immer wieder gegen die Wand. Ich seufze. Dass Erwin nicht anwesenden ist belastet mich sehr. Er lässt mich hier sitzen, mit meinen Gedanken, Gefühlen und Ängsten. Meine Fantasie hat freien Raum sich zu entfalten. Hirngespinste bilden sich in meinem Kopf. Eines ist mir allerdings bewusst, wenn Erwin mich so offiziell sprechen will wird es kein angenehmes Thema sein.

Ich schließe die Augen und lehne mich nach hinten. Ich stütze meinen Kopf und den Rücken an der Fensterscheibe. Wenn Jemand den Gang entlang kommen würde, dann könnte man nur noch meine Beine sehen die nun nicht mehr so euphorisch hin und her schwingen. Erwin will mich sprechen. Entweder geht es um mein Versagen am gestrigen Tag und Erwin hat Hanjis Schilderungen ignoriert, um Reiner, oder er musste selbst feststellen, dass ich so nutzlos bin, wie es der Hauptgefreite andeutete. Ich weiß nicht welcher Grund mir am meisten Unbehagen breitet. Kann er mich nicht einfach zu sich gerufen haben, um mit mir über belanglose Dinge zu sprechen? Eigentlich wäre es mir am liebsten er würde gar nicht mit mir sprechen wollen.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen und spähe an der Wand vorbei, den Gang entlang. Ich habe Stimmen und Schritte vernommen und kurz darauf biegen zwei Gestalten in Uniform um die Ecke. Sie sind in ein Gespräch vertieft und in meinem Hals bildet sich ein Klos, denn der Kommandant ist einer von ihnen. Noch scheine ich vor ihren Augen verborgen zu sein. Sid bleiben stehen und beachten mich keineswegs. Ich wünschte es würde so bleiben. Ich wünschte ich könnte das Fenster öffnen, unbeschadet herausspringen und verschwinden. Mich einfach in Luft auflösen.

Was ist nur los mit mir? Wohin ist mein Stolz nur verschwunden? Ich wollte beweisen, dass ich fähig und stark bin. So, wie vor fünf Jahren. Ich wollte es vor allem Erwin beweisen, doch im Moment stehen die Sterne für mich nicht besonders gut. Ich denke nur ans Flüchten und Ausweichen. Von der ehemaligen Abteilungsführerin ist nicht mehr viel übrig. Ich presse die Lippen fest aufeinander und rutsche von der Fensterbank. Hörbar lande ich auf beiden Füßen und gebe mich so den zwei Männern in Uniform zu erkennen, die ihre Blicke nun auf mich richten.

Zuerst sieht Erwins Begleiter zu mir. Mike Zacharias, kurz darauf der blonde Kommandant. Der Klos in meinen Hals wird dicker und meine Hände werden feucht. Als Erwin eben noch zu Mike sprach, schmückt ein kaum zu erkennendes Lächeln seine Lippen, doch als er den Blick zu mir wendet versteinert sich seine Miene. Zwar blickt er mir in die Augen, doch dieses Blau, dieses unvergleichliche Blau ist nicht mehr das, was es einmal war. Wir sind uns wieder so nahe, doch ich fürchte wir sind weiter von einander entfernt als jemals zuvor.

Mit sicheren Schritten und leicht zittrigen Händen schreite ich auf die beiden Männer zu. Mein langer Rock schwingt rhythmisch in meiner Bewegung mit. Kurz vor Erwin bleibe ich stehen. Keine einzige Sekunde riss die Verbindung unserer Augen ab, doch nun senke ich den Kopf.

„ Ich grüße Euch, Kommandant. Ihr wolltet mich sprechen?", sage ich und sehe dann zu Mike auf.

„ Guten Tag, Mike.", grüße ich ihn und vernehme nur, wie er schnaubend durch die Nase lacht.

„Lange nicht gesehen!", brummt er und verschwindet dann ohne ein weiteres Wort.

Abwesend sehe ich ihm einfach nach, bis seine Gestalt um die nächste Ecke verschwindet. Mein Mund wird staubtrocken und mein Herz beginnt plötzlich zu Rasen. Ich fühle mich unwohl in Erwins Nähe. Diese unausgesprochene Sache steht zwischen uns und scheint jedes positive Gefühl zu vertreiben. Ich traue mich nicht zu ihm empor zu blicken. Aber ich kann spüren dass er mich betrachtet. Er spricht nicht zu mir. Ich spreche nicht zu ihm. Keiner von uns beiden hatte sich jemals so verhalten.

Ein Schauer jagt meinen Rücken hinunter, als er seine Hand auf meiner Schulter bettet, sich in Bewegung setzt und mich so herumdreht. Seine Hand wandert auf meinen Rücken und so treibt er mich langsam vor sich her. Die Tür zu seinem Büro kommt immer näher und lässt mein Herz nur noch aufgeregter schlagen. Er öffnet sie und schiebt mich schweigend hinein.

Verkrampft bleibe ich im Raum stehen und als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen höre, muss ich mir selbst beruhigende Worte zuflüstern. Ich höre Erwins kräftige Schritte auf dem hölzernen Boden, die Dielen knirschen leicht. Doch dieses Geräusch verstummt plötzlich. Ich hebe den Blick und sehe zum prunkvollen Schreibtisch. Da ist er nicht. Mein Blick gleitet zu den gepolsterten Möbeln die seitlich stehen, ein großer Tisch steht in der Mitte und ein riesiges Regal, zum bersten gefüllt mit Büchern, erstreckt sich dahinter. Der Kommandant sitzt auf dem, in einem satten Grün gepolsterten, Möbelstück. Er hat die Beine gespreizt , die Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln gestützt und sein Kinn auf die ineinander gefalteten Finger gestützt. Ausdruckslos starrt er auf den Boden.

Zögernd schreite ich voran und nehme dem Kommandanten gegenüber platz.

Wir sind uns so nahe, doch so weit von einander entfernt. 

Wallflower (Attack on Titan Levi x OC FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt