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Zimmer 121, mein neues Zuhause, mein Rückzugsort. Kurzerhand öffne ich die Tür und trete ein. Auf einem Schreibtisch in der Ecke flackert das Licht einer kleinen Öllampe. Draußen dämmert es bereits.

Ich ergreife eines der dicken, in schwarzes Leder gebundenen Bücher. Mich überrascht es, dass ich meine Aufzeichnungen selbst aufbewahren darf und sie nicht der Abteilungsführerin übergeben wurden. Erwin weiß anscheinend noch genau, dass mir geistiges Eigentum sehr wichtig ist.

Ich stelle sie nach und nach in das große Regal, welches neben dem Schreibtisch steht und bald habe ich es mit dutzenden Büchern und einigen losen, gerollten Blättern gefüllt. Die Truhe, in der sich meine Kleidung befindet schiebe ich einfach vor das kleine, alte Bett und die Kisten in der ich meine Aufzeichnungen herbrachte staple ich in einer Ecke des Raumes auf.

Ich gehe an dem Bücherregal entlang und lasse meine Finger über die abgewetzten, beschrifteten Buchrücken gleiten. Ich kontrolliere noch einmal, ob ich sie wie üblich geordnet habe. Aufzeichnungen zu Titanen, Analysen entnommener Proben und meine durchgeführten Experimente, verschiedenste Angriffsstrategien und Team-Zusammenstellungen, welche ich einst mit Erwin ausarbeitetet. Aufzeichnungen meiner Studienzeit in der Krankenstation, wichtige Praktiken zur Erstversorgung auf dem Schlachtfeld, Heilkräuter und deren Anwendungen. Alles, was ich in meinem Leben gelernt habe steht nun in diesem Regal.

Mein Finger, bleibt an einer kleinen gebundenen Mappe in rot hängen. Die gehört hier nicht her. Ein Wunder, dass ich sie noch aufbewahrt habe. Ich habe sie vor dreizehn Jahren gekauft. Ich nehme sie heraus und streiche vorsichtig über das gefärbte Leder, einige Stellen sind ausgeblichen. Eine kleine braune Kordel hält sie geschlossen. Ich gehe zu meinem Tisch und setze mich auf den wackeligen Stuhl. Weit nach hinten gelehnt schlage ich die Beine übereinander und öffne sie.

Die Seiten sind gelblich verfärbt und schlagen leichte Wellen. Ich hatte es ständig bei mir, bei Schnee , Regen oder der größten Hitze. Ein Stück angespitzte Kohle und das Papier waren meine treuesten Begleiter seit meiner Rekrutenzeit. Eine leichte Gänsehaut kann ich nicht unterdrücken, als ich die erste Seite betrachte.

Darauf zu sehen ist eine junge Frau. Ein schönes Gesicht, ein breites Lächeln, große, strahlende Augen mit dichtem Wimpernkranz. Leichte Sommersprossen zieren ihre Wangen und lassen sie im Zusammenspiel mit den wilden Locken sehr kindlich wirken. Amy Maison.

Ich blättere um. Ein junger Mann ist zu sehen. Dunkles kurzes Haar, ein breites Kreuz, ein sehr markantes und scharfkantiges Gesicht, dunkle Brauen und schmale, leicht nach oben verzogene Lippen. Erich Ritter.

Ich blättere immer weiter und sehe Paul. Anna. Freya. Imar.

Mein Herz wird schwer. Ich sehe immer mehr Menschen, mit denen ich eng verbunden war. Mit denen ich meine Tage in der Trainingseiheit verbrachte und später auch im Aufklärungstrupp. Ich sehe meine Zeichnungen von Ihnen. Ich sehe diese Menschen in ihrer Uniform und auch ganz privat. Ich habe sie aus der Ferne beobachtet und sie meist in alltäglichen Dingen abgebildet. Ich habe die Leute gezeichnet, denen ich am meisten vertraute, die ich respektiert und mochte. Und  doch muss ich bei jedem Bild schlucken.

Amy, tot.  Erich, tot. Paul, tot. Anna, tot. Freya, tot. Imar, tot.

Ich sehe weitere Gesichter auf dem alten Papier. Es fällt mir schwer mich an Jeden zu erinnern, doch ich bin mir fast sicher, dass sie nicht mehr leben und  sich deren Pläne für die Zukunft nicht erfüllt haben. Ich weiß nur, dass Einige unter meinem Befehl ums Leben kamen. Dass ich Schuld bin, dass diese Menschen nicht mehr existieren.

Ich reibe mir die glänzenden Augen. Ein leichter Schmerz hat dich bei den Erinnerungen daran in meinem Kopf gebildete. Ich lege die Mappe in meinen Schoß, reibe mir mit den Händen über das Gesicht und lasse mich in meinen Stuhl sinken. Meine Arme lasse ich an den Seiten herab baumeln und starre an die hölzerne Decke. Warum nur mussten sie sterben? Faszinierende, junge Menschen, talentiert und mutig. So viele gaben ihr Leben und nun beginnt der Terror erneut.

Ich Blicke nach unten, als ich das Rascheln von Blättern vernehme. Ich sehe auf die Mappe, welche sich weiter entfaltete hat. Ein erneutes Gesicht erscheint auf einer Seite. Vorsichtig streiche ich mit der Fingerspitzen über das mit Kohle geschwärzte Papier.

Ein Mann. Groß, muskulös, mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Er hat große, eindringliche Augen, markante Koteletten und auffallende Augenbrauen. Ich sehe das Abbild von Erwin Smith. Ich sehe mich, wie ich es am Abend nach seiner Ansprache aus dem Gedächtnis zeichnete. So intensiv hatte sich seine Erscheinung in meinen Geist gebrannt. Mein Finger fährt unter die Seite und schlägt sie um. Wieder ist Erwin zu sehen.

Ab diesem Moment an vergötterte ich ihn. Immer wieder setzte ich mich in einer ruhigen Minute zur Seite und beobachtet ihn. Ich kannte sein Gesicht auswendig, auf dem sich anscheinend kein Makel befand. Er war mein erster Gedanke am Morgen und mein letzter am Abend.

Ich blättere immer weiter um. Zig  Seiten sind mit dem Abbild von Erwin gefüllt. Manchmal zeichnete ich nur seine Augen, seine Lippen, seine Hände. Doch Alles gehörte zu ihm.

Ich blättere die letzte Seite um und schließe die Mappe wieder. Ich gehe an mein Bett und öffne knarzend die Truhe aus dunklem Holz. Ich nehme ein weißes Paket aus Stoff aus der Truhe und lege es auf die kratzige Decke. Vorsichtig entfalte ich es. Die markante Farbe der Uniform sticht mir sofort ins Auge. Ich entfalte auch sie und lege sie vorsichtig ab. Schluckend betrachte ich sie.

Der rechte Ärmel ist zerfetzt und dunkel verfärbt, dass Abzeichen auf dem Arm und der Brust ist nicht mehr als dieses zu erkennen. Mein eigenes Blut klebt noch immer daran. Mir dem Daumen streiche ich über das verfärbe Abzeichen und löse etwas getrocknetes Blut von dem Stoff. Ich wollte sie entsorgen, doch ich konnte nicht. Ich spüre ein Zucken in meinem Arm. Der Schmerz, den ich damals spürte frisst sich in meine Gedanken.

Ich nehme die rote Mappe, lege sie mit zittrigen Finger in meine Jacke und schlage sie vorsichtig mit dem zerstörten Kleidungsstück ein. Diese Zeichnungen sind Erinnerungen an eine Zeit, die vergangen ist. Hier wird sie niemand finden.

Ich wickle den weißen Stoff um das gefaltete Paket und verknote es.

Hastig verstecke ich meine Erinnerungen hinter meinem Rücken, als es klopft und die Tür ohne zu zögern geöffnet wird.

Wallflower (Attack on Titan Levi x OC FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt