Schuldgefühle

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Das Essen war eine reine Katastrophe. Dads Laune war eine Mischung aus Wut, weil ich ihn angelogen habe und dann war er auch noch peinlich berührt wegen vorhin.  Andrés Eltern nahmen es wohl eher mit Humor und erzählten von ihren peinlichen Missgeschicken aus Jugendzeiten, die ab und zu für meinen Geschmack etwas zu eklig waren. Dad nickte zustimmend um nicht ganz teilnahmslos dazusitzen und lachte manchmal etwas zu laut. Und ich und André saßen da, ich gelangweilt und er mit einem Gesichtston von dunkelrot. "Und dann machte ich einen Handstand und mir ist dabei das T-shirt runtergerutscht, damals war ich vierzehn. Das war vielleicht peinlich, vor allem weil ich da meinen rosa pünktchen BH, mit-", erzählte Andrés Mutter Belmira lebhaft bevor sie André unterbrach. "Du musst jetzt wirklich nicht deinen BH detailliert beschreiben Mum!" Und so ging es weiter bis den Erwachsenen wohl ihre Ansammlung an peinlichen Geschichten ausgegangen ist.

Ich denke über gestern Abend nach während ich an meiner Cola nippe. Dann stehe ich auf, hol mir eine Zeitschrift und blättere darin herum. Mir ist einfach total langweilig. Ich werfe die Zeitung auf den Couchtisch und schalte den Fernseher ein. Vielleicht kommt da ja was gescheites. Nachrichten, kochen, irgendeine Dokumentation. Ich schalte so ziemlich alle Kanäle durch bis mein Dad aus seinem Zimmer kommt. Ich lasse den Fernseher einfach an und gehe zu ihm. "Morgen", sagt er und gähnt. "Morgen Dad", antworte ich darauf,"geh schon mal ins Wohnzimmer ich mach uns Kaffee"

Mit den zwei befüllten Tassen gehe ich zu ihm und und stelle sie ab. "Jamie?" "Ja?" "Warum war gerade als ich ins Wohnzimmer gekommen bin, der Erotik Kanal an" "Was?", frage ich verwirrt. "Der Erotik Kanal war an", ruft er jetzt schon und ich hoffe sehr das die Putzfrau nicht gerade unseren Gang putzt. "Ich weiß wirklich nicht wie das passiert ist, ich habe einfach alle Kanäle durchgeschaltet und dann bin ich aufgestanden um dir deinen Kaffee zu machen, der übrigens schon langsam kalt wird" "Jaja, das sagen sie immer" "Wer sagt was immer?", frage ich. "Na die Jugend von heute" "Die Junge von heute", äffe ich ihn nach und strecke ihm die Zunge heraus. "Jamie Barbara Agate, du benimmst dich wie ein Kleinkind", seufzt Dad genervt. Ich hasse es wenn er mich so nennt. "Und das gerade von dem Mann, der Damenunterwäsche angezogen hat" "Woher....Woher weißt du das?", fragt Dad leise und sieht auf den Boden. Na toll jetzt hab ich mich auch noch verplappert! "Äh von...von Dings...von Dings...ähm naja von...äh Dings eben" "Wer zum Henker ist Dings" "Äh Annabelle", sage ich schnell. "Wer ist das?" "Meine neue Freundin. Sie war auch dort und hat dich gesehen" "Doch nicht etwa die mit diesem unanständigen roten BH und den Stöckelschuhen" Ich weise ihn lieber nicht darauf hin, dass er genau das selbe angehabt hat. "Naja der erste Eindruck kann schon mal täuschen hihi" Ich kratze mich am Kopf und verschränke mit der anderen Hand die Finger hinter meinem Rücken. "Sie hat mich total an Savka erinnert, kennst du sie noch?", fragt mich Dad. Wie kann man die vergessen, denke ich. Savka war unser Au-pair Mädchen aus Tschechien. Als ich fünf war, ist sie zu uns gekommen. Sie hat den Haushalt geführt und auf mich aufgepasst als meine Eltern gearbeitet haben. Anfangs waren alle ziemlich begeistert von ihr, vor allem ich, weil sie immer mit mir mein Lieblings Spiel gespielt hat: Der Luftballon darf nicht den Boden berühren. Ich war von diesem Spiel besessen. In unserer Wohnung hatten wir immer zwei Telefone, eins im Wohnzimmer und eins im Arbeitszimmer meines Vaters und wenn jemand mit dem einen telefonierte konnte man am anderen mithören. Savka telefonierte damals ganz schön oft und so kam es dazu, dass ich immer mitgehört habe. Ich dachte es wären magische Walkie Talkies. Nicht das ich großartig den Sinn von ihren Gesprächen verstande habe, aber manchmal habe ich Pistolengeräusche gemacht. Savka hatte sich deswegen am nächsten Tag auch beschwert, dass unser Telefon Störungen hat. Sie organisierte auch meinen sechsten Geburtstag und als sie wieder verschwand um zu telefonieren, lotste ich meine ganzen kleinen Freunde ins Arbeitszimmer. Eine Minute später stand Savka dann mit dem anderen Höhrer in unserem Zimmer und schaute schockiert als sie die Rasselbande in einem Kreis beim lauschen erwischte. Ich war allerdings auch schockiert und rief:" Du hast das magische Walkie Talkie kapput gemacht. Böse Savka!" (Eigentlich hat sie nur ein neues schnurloses Telefon gekauft, weil die "Störungen" nicht aufgehört haben, aber ich dachte sie hätte es von der Schnur abgerissen.) Irgendwie war der ganze Geburtstag in die Hose gegangen, wortwörtlich denn ein damaliger kleiner Freund von mir, Benjamin, hatte einen braunen Fleck auf unserem weißen Vintage Sofa hinterlassen, weil Savka vergessen hatte ihm seine Windel zu wechseln und sie leider naja...übergelaufen ist. Igitt. Dieses Sofa haben wir, sehr zu meinem Bedauern, immer noch (Dad hat es bloß mit Duftspray und einer Fluffidecke darüber aufgepeppt.) Ein mal bin ich sogar auf dem Sofa eingeschlafen- da war ich natürlich noch viel kleiner, denn heutzutage gehe ich zum Fernsehen zu meinen Freundinnen und meide dieses Sofa- und mir ist versehentlich die Decke weggerutscht. Am nächsten Morgen öffnete ich meine Augen und das erste was ich sah war nicht das helle Tageslicht sondern dieser Fleck, der mich praktisch direkt anstarrte.  Gruselig. Ich habe mich später auch gefragt, warum sie so geschockt war, weil wir sie beim telefonieren belauscht haben schließlich wird sie ja wohl kaum Telefon-Sex gehabt haben oder so. Aber dann hat Dad mir ihre Visitenkarte gezeigt, die sie damals hatte: Sexy Savka. Telefon-Sex Anbieterin. (Die Beste, die sie für Ihren kleinen Freund finden können) Und darunter stand UNSERE Telefonnummer. Der Gedanke, dass irgendwelche Pedos bei uns angerufen haben als ich sechs Jahre alt war und ich noch zugehört und gelacht habe war richtig beängstigend. Das war dann das Ende ihrer Kindermädchen Karriere.

"Natürlich erinnere ich mich noch an sie", sage ich zu Dad. "Wie auch immer, ich gehe jetzt zu Andre. Wir haben uns gestern etwas ausgemacht" Ich stehe auf und gehe aus dem Raum bevor Dad widersprechen kann. 

Als ich an unserem Treffpunkt, dem Srand, angekommen bin, winkt Andre mir zu und wir begrüßen uns. "Und war dein Dad dir noch beleidigt, weil du in angelogen hast?", fragt er und legt eine Hand auf meine Schulter woraufhin ich eine Gänsehaut bekomme. Seine Hand ist kühl da er scho im Wasser war. "Ja. Er hat mir bei jeder Gelegenheit böse Blicke zu geworfen" "Hat es funktioniert" "Was?" "Hattest du Angst?", fragt er. Ich muss lachen. "Nein nicht wirklich. Ich meine wie kann man vor jemandem Angst haben, der Damenunterwäsche trägt?" "Ach da fällt mir ja noch was ein. Meine Cousine Maya wird morgen endlich aus dem Krankenhaus entlassen. Früher als vorhergesehen. Und da dachte ich mir, ich mache so eine Art Überraschungsparty für sie. Ich habe schon fast alles fertig. Du kommst doch oder? Ich habe es ihr im Krankenhaus erzählt und bin mir sicher sie hätte gelächelt, wenn der Gibs nicht da wäre" Ja, weil sie mich ja so gerne mag. Ich war ja nur diejenige, die ihr das ganze überhaupt eingebrockt hat, indem ich ihr eine 20 kg Melone auf  ihren Kopf geworfen habe. André schenkt mir ein süßes Lächeln und kriege aufeinmal Schuldgefühle, sodass ich einfach nicht anders kann als "Ja" zu sagen. Und dann denke ich 'Scheiße'

Immer Pech für JamieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt