7. Finstere Nacht

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In eines ihrer Lieblingsbücher vertieft saß Nava auf dem weichen Ledersessel ihres Arbeitsplatzes und genoss die friedliche Stille, welche sich seit Beginn des Abendessens in der Schulbibliothek verbreitet hatte. Keine zehn Pferde hätten sie in die große Halle hinunter zerren können, ihr wurde bereits übel, wenn sie sich all die Blicke vor Augen führte, die sie dort zweifellos erwarten würden. Es war ihr ein Rätsel, wie sie es jemals wieder schaffen sollte, einen Fuß vor die Tür zu setzen, ohne vor Scham im Erdboden versinken zu wollen. Doch wohl oder übel musste sie es tun, wenn sie weiterhin in ihrer geliebten Bibliothek arbeiten und nicht verhungern wollte. Warum hatte Severus Snape seinen sogenannten ‚Abschied' ausgerechnet inmitten des Schlosshofes vollziehen müssen, wo er doch sonst so viel Wert auf Diskretion legte und es tausend weitere Möglichkeiten gab, die entschieden weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. Plötzlich ertönte ein leises Knarren, das vom Öffnen der Tür herrührte, gleich darauf schob sich die Gestalt eines Mädchens mit wilder Mähne und haselnussbraunen Augen in die Bibliothek. Überrascht legte Nava das Buch beiseite, um den unerwarteten Besuch in Augenschein zu nehmen. „Hermine, was tust du denn hier?", begrüßte sie die Gryffindor, deren Augen nur so vor Unsicherheit strotzten. „Störe ich?" Die Kleine sah sie schüchtern an, bevor ihr Blick an der noch immer aufgeschlagenen Seite des Buches, das auf dem Schreibtisch lag, haften blieb. „Nein, ganz und gar nicht. Setz dich doch", bot Nava an und deutete auf einen Stuhl in unmittelbarer Nähe. Ohne zu zögern, nahm Hermine das Angebot an.

„Und ... wie geht es deinem Freund Harry? Der Gute hat heute beim Quidditch ganz schön was durchgemacht, hm?", erkundigte sich Nava rückblickend auf den verhängnisvollen Vorfall am Vormittag. „Ganz gut soweit, denke ich. Es wird ihn jedenfalls nicht davon abhalten, beim nächsten Turnier erneut mitzuspielen", berichtete Hermine stolz, doch nicht ohne Sorge. „Zäher Bursche, was – ist nicht so leicht kleinzukriegen?", lächelte Nava, worauf die kleine Gryffindor zustimmend nickte. „Also", begann die junge Frau, wandte sich gespannt zu Hermine und stütze ihren Ellenbogen auf die Tischplatte, „was führt dich zu mir?" Hermine erstarrte augenblicklich, als hätte ihr diese Frage einen Schuss in die Brust versetzt. „Ich ... es geht um ...", stammelte sie, da sie nun nicht mehr sicher war, ob sie den Grund ihres Erscheinens wirklich ansprechen sollte, doch es war bereits zu spät, um wegzulaufen. Nava geduldete sich und gab ihr die Zeit, um in Worte zu fassen, was sie bedrückte. Schließlich nahm die Kleine all ihren Mut zusammen. „Sie waren immer sehr nett zu mir, haben mir geholfen und vorhin, als ich gesehen habe, wie ... wie Sie und Professor Snape ... Ich möchte nicht, dass er Ihnen wehtut. Er ist ... gefährlich." Sie hielt augenblicklich inne, als sich Navas Mund entsetzt öffnete, da diese scheinbar verstanden hatte, wohin das führen sollte. Hermine schluckte, begann vor Angst zu zittern und wünschte sich, dass sie niemals auf diese lächerlich dumme Idee gekommen wäre, hier aufzutauchen. Sie musste von allen guten Geistern verlassen sein, Nava, einer weitaus klügeren und reiferen Hexe, vorzuhalten, dass sie einen Fehler machte. Diese runzelte die Stirn, schien vielmehr belustigt als erbost. „Also bitte, Hermine, Severus ist womöglich einiges und ich gebe dir insofern recht, dass er nicht gerade freundlich und Vertrauen erweckend erscheint, aber er ist mit Sicherheit kein Monster."

Hermine sah betreten zu Boden. Nava ging um den Tisch herum und hockte sich vor die kleine Gryffindor, welche sich beschämt zusammengekauert hatte. „Ich bin nicht wütend auf dich", begann sie beruhigend und blickte dem Mädchen tief in die Augen. „Es ist wirklich süß von dir, dass du dir Sorgen machst, aber das musst du nicht. Ich weiß, was ich tue und ich weiß, was Severus tut. Bitte glaube mir, wenn ich dir sage, dass er nur versucht, uns alle zu beschützen. Mich zu warnen, war sehr mutig von dir und ich kann verstehen, warum du es getan hast, aber es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst." Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Hermine, ihr vom Stein der Weisen zu erzählen, dass Snape ihn stehlen wollte und dass er versucht hatte, Harry umzubringen, doch sie traute sich nicht. Sie hatte zu große Angst davor, dieses Mal wirklich Ärger zu bekommen. „Bitte passen Sie auf sich auf", sagte sie stattdessen, ohne den Anschein einer tieferen Bedrücktheit zu erwecken. „Das werde ich – und jetzt ab in den Gemeinschaftsraum mit dir, sonst vermissen dich die Anderen noch", meinte Nava in liebevoller Strenge. Hermine nickte eifrig, hüpfte mit einem frischen Grinsen im Gesicht vom Stuhl, huschte zur Tür und verschwand.

Der Schein trügtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt